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Messermord in Kronacher Asylunterkunft: Bekannte des Täters wagen Erklärungsversuche


Autor: Sandra Hackenberg

Kronach, Montag, 06. April 2020

Jan Agha Hamidi floh vor dem Krieg in Afghanistan und hoffte hier auf einen Neuanfang. Am Samstag erstach er einen Landsmann. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche.
Hinter den Wänden der Kronacher Asylunterkunft setzte Jan Agha Hamidi dem Leben eines Landsmanns mit dem Messer ein Ende. Foto: Sandra Hackenberg


Afghanistan im Jahr 2015. In der Heimat von Jan Agha Hamidi tobt seit Jahren der Krieg. Der junge Mann entschließt sich dazu, die Nato in ihrem Kampf gegen die Taliban zu unterstützen. Daraufhin werden er und seine Familie massiv bedroht, der 23-Jährige fürchtet um sein Leben. Hamidis einziger Ausweg besteht darin, das Land zu verlassen. Er flüchtet nach Deutschland. Im Gepäck hat er nicht viel - außer unvorstellbare, traumatische Erlebnisse und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

All die Hoffnung gibt es jetzt nicht mehr. Am vergangenen Samstag stach der heute 28-Jährige in der Kronacher Asylunterkunft auf einen 23 Jahre alten Landsmann ein, das Opfer stirbt. Ein Leben wurde beendet, ein zweites für immer zerstört. Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen?

Täter war traumatisiert

Wir begeben uns auf Spurensuche. Messerstecherei in der Gemeinschaftsunterkunft, ein Asylbewerber zückt das Messer und sticht einen anderen nieder. Wann immer solche Verbrechen geschehen, ist das Urteil der Bevölkerung schnell gefällt.

Das Bild jedoch, das die Menschen von Hamidi zeichnen, die ihn und das Opfer seit Jahren kennen, passt nicht recht ins Bild. "Er ist kein aggressiver Mensch, sondern jemand, der aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung außer Kontrolle geraten ist", beschreibt den Täter ein Flüchtlingshelfer, der anonym bleiben möchte.

Was passiert ist, sei schrecklich und nicht zu rechtfertigen. Trotzdem müssten die Umstände berücksichtigt werden, wie es zu einer derartigen Gewalteskalation kommen konnte. "Das ist ein ganz besonderer, schrecklicher Fall." In seiner Heimat habe Hamidi Dinge erlebt, die sich niemand vorstellen könne. Noch immer werde seine Familie von den Taliban bedroht - eine Situation, die den Asylbewerber extrem belastet habe.

Der junge Mann habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich und sei in psychiatrischer Behandlung gewesen - leider habe die nicht den gewünschten Erfolg gebracht. "Ein Symptom seiner psychischen Erkrankung war die schnelle Reizbarkeit." Immer wieder sei Hamidi in Schlägereien verwickelt gewesen und war polizeibekannt.

Im letzten Jahr jedoch soll es für den Traumatisierten bergauf gegangen sein. Er hat laut dem Informanten Arbeit gefunden und hatte eine eigene Wohnung. "Dann sind ihm seine Vorstrafen auf die Füße gefallen." Zu diesem Zeitpunkt kam die Abschiebeandrohung. "Ihm wurde mitgeteilt, dass er seine Ausreise planen soll - das hat ihn dermaßen schockiert, dass er nach Frankreich abgehauen ist." Hamidi wurde aufgegriffen und zurückgebracht.

"Das war ein enormer psychischer Druck, dem er leider nicht standgehalten hat", glaubt Barbara Heinlein von der Flüchtlingshilfe Kronach. "Als er wieder hier war, war schnell klar, dass ihm das viel zu viel ist in einer Unterkunft mit sechs Mitbewohnern aus verschiedenen Ländern, ohne jegliche Privatsphäre." Die Abschiebeaufforderung habe wie ein Trigger gewirkt, der Erlebnisse aus seiner Heimat wieder aufleben ließ. "Doch die Tat ist damit natürlich nicht zu rechtfertigen."

Von einer Unterkunft zur nächsten

Trotzdem fällt es der Flüchtlingshelferin schwer, Hamidi als Mörder zu sehen, der einen Mann skrupellos umgebracht hat. "Für mich sind beide Opfer eines Systems, das dringend verändert werden muss." Kennengelernt habt sie Hamidi bereits während der Flüchtlingswelle 2015, damals in der Mitwitzer Unterkunft. "Dort hat er sich auch wirklich gut integriert", erinnert sie sich. "Ich habe ihn als wahnsinnig lieben Menschen kennengelernt."

Nicht zuletzt die Marktgemeinde habe sich sehr engagiert. Doch nach etwa zwei Jahren wurde das einstige Jugendübernachtungshaus saniert - und die Flüchtlinge auf andere Gemeinden umverteilt.

Hamidi sei nach Tschirn gekommen. "Auch dort haben die Leute ihr Möglichstes getan. Doch für junge Menschen war es wahnsinnig schwer, sich dort einzufügen." Anschließend kam Hamidi in die Unterkunft nach Oberlangenstadt, bevor er im vergangenen Sommer eine Wohnung in Kronach fand.

Diese habe er jedoch nur wenige Wochen bewohnt, weil dann die Abschiebeaufforderung kam und er daraufhin abgetaucht sei. Zuletzt soll Hamidi nach Informationen des Fränkischen Tags im Ankerzentrum in Bamberg gewohnt haben. Trotzdem war er am Samstag in der Kronacher Unterkunft, wo er auf das Opfer traf, mit dem es bereits seit längerem immer wieder zu Konflikten gekommen sein soll. Die beiden kannten sich seit ihrem Aufenthalt in Mitwitz.

Ob die Tat passiert wäre, wenn Hamidi nicht abgeschoben worden wäre? Wenn er keine Angst davor hätte haben müssen, dass er zurück in das Land muss, in dem ihn die Taliban tot sehen wollen? Darüber will Heinlein nicht spekulieren. "Sicher ist jedoch, dass ihn die deutsche Flüchtlingspolitik in eine Situation gebracht hat, die extrem belastend für ihn war." Afghanistan sei alles andere als ein sicheres Herkunftsland. "Wir können uns in unserem Wohlstand nicht so aufspielen, als ob wir die Welt gepachtet hätten. Für die Zukunft sollten wir dringend über eine andere Asylpolitik nachdenken."

Opfer hoffte auf Ausbildung

Doch was passiert ist, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Das 23-jährige Opfer habe vor kurzem eine Arbeitserlaubnis bekommen, auf eine Ausbildung und somit auf eine Duldung gehofft. Doch Hamidi beendete in einem Moment der Wut und Hoffnungslosigkeit sein Leben. Nach FT-Informationen hat die Mutter des Opfers darum gebeten, dass sein Leichnam nach Afghanistan zurückgeführt wird.

Der anonyme Informant fasst ernüchtert zusammen: "Leider ist Hamidi einer der seltenen Fälle, bei denen ich sagen muss: Für einen Menschen mit seiner Vorgeschichte gibt es keine Hilfe. Er wäre auch vor der Tat wohl nie wieder froh geworden."

Was bleibt, ist ein Toter. Und ein Mann, der vor dem Schrecken in seiner Heimat geflohen ist, doch dessen Herz der Krieg am Ende doch eingeholt hat.