Land unter auch im Landkreis Kronach?
Autor: Maximilian Glas
LKR Kronach, Freitag, 19. Februar 2016
Die Hälfte aller zehnjährigen Kinder in Deutschland kann heute nicht mehr richtig schwimmen. Schwimmlehrer aus dem Landkreis Kronach erklären die Gründe.
Wenn es um die motorischen Fähigkeiten von Kindern geht, findet Volker Rauh deutliche Worte. "Die sind heute nicht nur schlecht, die sind katastrophal schlecht", sagt der Sport- und Schwimmlehrer, der seit 27 Jahren am Kaspar-Zeuß-Gymnasium in Kronach unterrichtet. "Die Bewegungserfahrung geht bei vielen gegen Null, ein Ball ist heute ein unbekanntes Wesen", sagt Rauh und ergänzt mit einem Beispiel: "Gab es früher in der fünften Klasse noch Kinder, die beim Schlagball 45 Meter weit warfen, werfen sich heute dreiviertel der Kinder auf die Füße."
Während man im Alltag über Defizite in der Leichtathletik noch hinwegsehen kann, wird das beim Schwimmen schwieriger. Das zeigt auch die Zahl an Todesfällen bei Badeunfällen, die seit Jahren auf einem recht hohen Niveau stagniert. Im Jahr 2014 sind in Deutschland 392 Menschen ertrunken, alleine 79 davon in Bayern. Eine Studie der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) kam vergangenes Jahr zu dem Ergebnis, dass fast jedes zweite zehnjährige Kind in Deutschland nicht mehr richtig schwimmen kann.
Ganz so prekär ist die Lage im Landkreis Kronach noch nicht. Das ergab eine Umfrage an Schulen in der Region. "In der sechsten Klasse sind von 25 Kindern im Schnitt ein, zwei Nichtschwimmer und ein, zwei Halbschwimmer dabei", sagt Franz Mairoser, Konrektor an der Siegmund-Loewe-Realschule.
"Bewegung wird nicht gefördert"
Einen guten Einblick in den Schwimmunterricht hat Richard Bär von der DLRG Kronach. Er unterstützt an Grundschulen Schwimmlehrer bei ihrer Arbeit:"Es hat sich bisschen verbessert in den letzten Jahren, aber zehn Prozent der Kinder können nach der vierten Klasse noch nicht schwimmen", sagt er. Verwundern tut das nur bedingt - angesichts der Tatsache, dass im Kreis Kronach fast jede zweite Grundschule keinen Schwimmunterricht anbietet (siehe Artikel unten). "Schwimmen wird von Schulen aus Zeitgründen oft abgewälzt", sagt Detlef Haffelt, Schwimmtrainer bei der Turnerschaft Kronach.Ab wann zählt ein Kind überhaupt als Schwimmer? "Mit dem Seepferdchen können es die Kinder noch nicht, es ist mindestens das Bronze-Jugendschwimmabzeichen nötig", erklärt Eva-Maria von Nordheim, Geschäftsführerin des Schwimmvereins Kronach. Voraussetzung hierfür sind ein Sprung vom Beckenrand und 200 Meter Schwimmen in 15 Minuten, ein Sprung aus einem Meter Höhe und zwei Meter Tieftauchen mit Heraufholen eines Tauchrings. Eine Herausforderung, die für viele Zehnjährige noch nicht zu meistern ist. "Die Koordinationsfähigkeiten bilden sich bei den Kindern immer später heraus. Die Motorik hat deutlich nachgelassen", erklärt Haffelt. Kinder würden sich heute allgemein viel zu wenig bewegen. "Sie sitzen einfach zu lange zu Hause vor dem PC oder der Xbox", sagt er. Das sieht Eva-Maria von Nordheim genauso: "Die Bewegung wird vom Elternhaus nicht mehr ausreichend gefördert." Daraus resultierten gesundheitliche Probleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen oder Fettleibigkeit.
Schwimmen hält Detlef Haffelt für eine der gesündesten Sportarten. "In über 20 Jahren Wettkampfschwimmen hatte ich keine einzige ernsthafte Verletzung in meinem Schwimmteam, das wäre für einen Fußballtrainer ein Traum", sagt der 52-Jährige, der aber in jungen Jahren noch keine Spezialisierung empfiehlt: "Die Kinder sollten die ganze Palette des Sports mitbekommen, Schwimmen ist ein kleiner Teil davon."
Schwimmlehrer empfehlen Eltern, ihre Kinder mit fünfeinhalb Jahren ans Schwimmen heranzuführen. "Da sind die Kinder groß genug, um im Lehrschwimmbecken stehen zu können, und sie haben die nötige Konzentration, um in einem Schwimmkurs durchzustarten", erklärt von Nordheim. Natürlich gebe es auch Kinder, die durch gute Koordination früher beginnen können, ergänzt sie.
Wenn ein Kind neu in einen Schwimmkurs von Detlef Haffelt kommt, erkennt dieser sofort, inwieweit die Eltern bereits Vorarbeit geleistet haben. Diese scheint es heute nicht mehr häufig zu geben.
Das bestätigt auch Richard Bär: "Zum größten Teil sind die Eltern an der Situation schuld. Es kann nicht sein, dass ein Kind in der vierten Klasse noch nie in einem Schwimmbad war." Problem sei auch, dass heute viele Eltern keine guten Schwimmer mehr seien, dies aber ungern zugäben, so Bär.
Verursacht werde die Wasserscheu einiger Kinder laut Haffelt in vielen Fällen durch ein negatives Erlebnis, beispielsweise durch einen ungewollten Sturz ins Nass. Solche Kinder dann ans Wasser zu gewöhnen, nehme in den Schwimmkursen schon gewisse Zeit in Anspruch. Eine Geduld, die Eltern für die Zukunft ihrer Kinder aufbringen sollten. Oder wie Franz Mairoser es ausdrückt: "Schwimmen ist ein Lebensziel."
Kein Schwimmunterricht an fast der Hälfte der Grundschulen im Landkreis
Nur 9 von 16 Grundschulen im Landkreis Kronach bieten einen regelmäßigen Schwimmunterricht an. Eine Ausbeute, mit der auch Schulamtsdirektor Uwe Dörfer nicht wirklich glücklich ist: "Das Angebot könnte schon besser sein, aber an manchen Schulen ist es einfach nicht möglich. Man kann es nicht erzwingen." Das größte Problem für die meisten Grundschulen sei, dass in unmittelbarer Nähe zu den Orten keine Hallenbäder zur Verfügung stehen. "Längere Fahrten sind logistisch schwierig. 90 Minuten sind mit Fahrt, Umziehen und Abtrocknen wenig Zeit, vormittags ist das zeitlich fast unmöglich", so Dörfer.Während die Schulen in Küps, Pressig, Teuschnitz, Tettau und Ludwigsstadt mit eigenen Lehrschwimmbecken über eine ausreichende Infrastruktur verfügen, müssen andere Schulen in die Röhre schauen - wie beispielsweise die Grund- und Mittelschule in Steinwiesen. Seit Längerem ist dort im Schwimmbad nach dem Umbau kein Bahnenschwimmen mehr möglich. "Da müssen Kinder schon für das Seepferdchen im Kreis schwimmen", sagt Eva-Maria von Nordheim vom Schwimmverein Kronach.
Für "reine" Schwimmbäder sieht Dörfer bei der gesamten Bevölkerung keinen Bedarf: "Die Öffentlichkeit will immer mehr Thermalbäder. Man kann den Kommunen nicht zumuten, dass sie in Bäder investieren, die dann nur von der Schule genutzt werden." Handlungsbedarf sehen Schwimmvereine und Schulen vor allem für ein neues Lehrschwimmbecken in Kronach. Das aktuelle Becken in der Realschule I stammt aus den 60er-Jahren und gilt bereits seit Jahren als sanierungsbedürftig. "Wir sind ständig am Zittern, wie lange es noch hält", sagt von Nordheim. Um Synergieeffekte zu nutzen, wäre für sie ein Neubau neben dem Crana Mare die "Toplösung". Den Schwimmunterricht betrachtend, können derzeit die Lucas-Cranach-Schule und die Grundschulen in Pressig und Teuschnitz richtige Toplösungen anbieten. Die drei Schulen sind Teil der bayernweiten Aktion "Sichere Schwimmer", die von der AOK, der DLRG und dem Gesundheitsministerium initiiert wurde.
Richard und Marliese Bär von der DLRG Kronach unterstützen dabei den Schwimmunterricht vor Ort. Die meisten Schwimmlehrer im Landkreis hält Richard Bär für gut ausgebildet. Für eine einzelne Lehrkraft sei aber eine Gruppe mit 25 Kindern eine echte Zumutung. "Entweder er arbeitet mit den Schwimmern oder mit den Nichtschwimmern. Der andere Teil sitzt dann draußen und langweilt sich", sagt Bär. "Wenn man sich auf acht Kinder konzentrieren kann, ist das eine ganz andere Sache." Für die fruchtbare Kooperation sprechen auch individuelle Erfolge. Bär berichtet von zwei Viertklässlern der Lucas-Cranach-Schule, die das Gold-Jugendschwimmabzeichen abgelegt haben und von vielen Erstklässlern, die einen Kopfsprung beherrschen. Erfolge, die es nicht im ganzen Landkreis gibt. Der Wunsch des Kultusministeriums, die Aktion auf mehr Schulen auszudehnen, kann vorerst nicht erfüllt werden. Bär: "Man braucht Leute, die entsprechend ausgebildet sind und Zeit haben. Und die gibt es nicht."
Schwimmunterricht: Übersicht der Schulen im Landkreis Kronach
Grundschulen Schwimmunterricht findet an folgenden Schulen statt: Windheim, Pressig, Teuschnitz, Tettau, Ludwigsstadt, Mitwitz, Johannisthal, Küps, Lucas-Cranach-Schule Kronach. In Nordhalben, Weißenbrunn (teilweise im Freibad), Steinwiesen, Rodachtal, Wallenfels, Stockheim und Wilhelmsthal gibt es derzeit keinen Schwimmunterricht.
Mittelschulen An der Gottfried-Neukam-Mittelschule Kronach und den Schulen in Windheim, Küps und Pressig wird Schwimmunterricht angeboten, in Steinwiesen nicht.
Realschulen An der Maximilian-von-Welsch-Schule findet für die Schüler der fünften bis siebten Klassen von September bis zu den Pfingstferien jede zweite Woche Schwimmunterricht statt. Auch die Klassen acht bis zehn schwimmen gelegentlich. An der Siegmund-Loewe-Schule haben die Kinder der fünften und sechsten Klassen einen Schwimmplan, der über das ganze Jahr fünf bis sieben Doppelstunden beinhaltet.
Gymnasien Am Kaspar-Zeuß-Gymnasium schwimmen in der Regel die sechsten Klassen in den Wintermonaten. In diesem Schuljahr fiel das allerdings aus organisatorischen Gründen aus. In den Stufen 11 und 12 kann Schwimmen gewählt werden. Das Frankenwald-Gymnasium bietet Schwimmen blockweise für sechs bis acht Wochen in den fünften, siebten und achten Klassen an.