Kronacher Gymnasien sehen G9 sehr positiv
Autor: Marco Meißner
Kronach, Dienstag, 17. Januar 2017
Wird der gymnasiale Weg zum Abitur künftig acht oder neun Jahre dauern? An den Kronacher Gymnasien hat sich dazu ein Wunsch herauskristallisiert.
An 47 bayerischen Schulen läuft das Pilotprojekt "Mittelstufe plus". Diese Variante des neunjährigen Gymnasiums soll nun in eine tragfähige, zukunftsorientierte Form für diese Schulart münden - das fordert jedenfalls Kultusminister Ludwig Spaenle. Bis zum Sommer wird eine Entscheidung angestrebt, wie es weitergehen soll. Deren Umsetzung könnte ab 2018/19 anlaufen.
Was wünschen sich die Kronacher Gymnasien? Der Schulleiter des Frankenwald-Gymnasiums (FWG), Klaus Morsch, und sein Stellverteter Alf Merkel, Schulleiterin Renate Leive vom Kaspar-Zeuß-Gymnasium (KZG), der Pressesprecher des Ministeriums, Ludwig Unger, sowie Jürgen Baumgärtner (MdL, CSU) zeigen ihre Sichtweisen auf. Was sich die Eltern im Freistaat erhoffen, soll bald eine Umfrage der Landes-Eltern-Vereinigung (LEV) aufzeigen, die am Dienstag endet.
Wie sehen die Beteiligten die aktuelle Hängepartie?
FWG: Für Klaus Morsch steht fest, dass gerade die 47 Projektschulen, dazu zählt auch das Frankenwald-Gymnasium, zeitnah wissen müssen, wie es weitergehen soll. Die Aussage eines Staatssekretärs zur "Fortsetzung" des Pilotprojekts hatte für Verunsicherung bei den Schulleitern gesorgt. Bedeutet Fortsetzung, weitere Jahrgänge können die Mittelstufe plus nutzen? Oder bezieht es sich nur auf den weiteren Weg für die bisherigen Jahrgänge in dem auslaufenden Pilotprojekt? Klaus Morsch ergänzt: "Wir würden es begrüßen, wenn wir das Pilotprojekt fortsetzen könnten" - auch für die nachrückenden Jahrgänge.KZG: Für Renate Leive ist klar: "Auf jeden Fall fände ich die Möglichkeit des G9 besser." Allerdings ist sie unsicher, ob - selbst im Falle einer Wahlmöglichkeit für die einzelnen Schulen - bei mehreren Gymnasien an einem Ort nicht erwartet wird, dass eines davon das G8 vorhält.
Ministerium: Ludwig Unger weist darauf hin, dass bis zum Sommer klare Rahmenbedingungen für die gymnasiale Bildung aufgezeigt werden sollen. Dann hätten die Schulen mindestens ein Jahr Zeit für eine Entscheidungsfindung - sofern es keine flächendeckende Lösung gibt. "Bis jetzt sind noch keine Entscheidungen getroffen", betont er. Gleiches gelte für die Mittelstufe plus: "Der Pilotversuch ist zunächst einmal auf zwei Jahre angelegt."
MdL: "Ich war immer für das G9", sagt Jürgen Baumgärtner. Er will sich zudem dafür einsetzen, dass der Pilotversuch verlängert wird. Er möchte "kein Loch" für die Schüler zwischen Pilotprojekt und Nachfolgelösung.
Könnten die Schulen rechtzeitig auf ein G9 umstellen?
Das FWG ist durch das Pilotprojekt auf ein G9-System vorbereitet. Doch wie ist es andernorts um die Rahmenbedingungen bestellt?KZG: Am Kaspar-Zeuß-Gymnasium ist man zuversichtlich. "Wir würden einen zusätzlichen Jahrgang unterbringen", ist sich Renate Leive sicher. Die Raum-Problematik, die sich in Ballungsräumen vielleicht stelle, "spielt für uns keine Rolle".
Ministerium: Das neue Konzept solle nicht ad hoc eingeführt werden, stellt Ludwig Unger fest. "Die Schulen werden eine lange Vorlaufzeit haben."
Gibt es Tendenzen, wohin der Weg führen sollte?
FWG: "Die Schüler stehen dahinter, die Eltern sowieso", ist Alf Merkel überzeugt, dass das Pilotprojekt und damit eine neunstufige Lösung am Frankenwald-Gymnasium auf eine sehr positive Resonanz stößt. Seiner Schätzung nach tendieren zwei Drittel der Schüler zum G9. "Die Verlängerung der Schulzeit wird von sehr vielen sehr positiv gesehen", meint auch Klaus Morsch. Das gelte sogar für hoch begabte Schüler. KZG: Am Kaspar-Zeuß-Gymnasium wurden die Eltern schulintern befragt, welche Lösung sie sich wünschen. Schon die ersten drei Dutzend Stimmen zeichneten ein klares Bild: 91,2 Prozent stimmten für ein flächendeckendes G9, 8,8 Prozent würden der Schule die Entscheidung überlassen. "Kein einziger hat das achtjährige Gymnasium als landesweite Lösung angekreuzt", stellt Renate Leive fest. Außerdem: Das Angebot der Mittelstufe plus spiele nachweisbar eine Rolle bei der Wahl des Gymnasiums.
Ministerium: Ludwig Ungers Erkenntnis nach, liegt das FWG im Trend. An den 47 beteiligten Gymnasien des Pilotprojekts hätten sich rund zwei Drittel der betroffenen Schüler für die "längere Laufzeit" entschieden. Dabei gebe es regional aber Unterschiede. In Nürnberg sei die Nachfrage nach dem neunstufigen Schulweg beispielsweise deutlich niedriger ausgefallen als etwa in Aschaffenburg. In München habe sich gar kein Gymnasium um die Teilnahme am Pilotprojekt beworben. Unger vermutet die kürzeren Wege und die Raumproblematik in der Metropole als mögliche Gründe für das Desinteresse.
Bietet das G9 neben mehr Lernzeit weitere Vorteile?
FWG: "Es gehört zum Gymnasium, dass die Schüler sich auch im sozialen oder technischen Bereich ausprobieren können", betont Klaus Morsch, dass neben dem Pflichtunterricht viel Raum für Wahlfächer sein sollte. Das gehöre dazu, wenn die Jugendlichen zu verantwortungsvollen Bürgern erzogen werden sollen. Das G9 biete hier größere Möglichkeiten.KZG: "Im ländlichen Raum wäre ein G9 sicher für ganz viele Schüler besser", ist Renate Leive überzeugt. Dabei denkt sie ebenso an die Schulwegzeiten wie an das Engagement, das manche Jugendliche in ihren Gemeinden zeigen möchten. "Die Vereine und die Organisationen, die auf das Ehrenamt angewiesen sind, wären froh, wenn die Schüler mehr Zeit hätten."
Gäbe es beim G9 Alternativen, um schneller vorzurücken? Und lässt sich das G8 entschleunigen?
KZG: Laut Renate Leive könnten die Schüler Klassen überspringen. Auf der anderen Seite gebe es im G8 das Flexibilisierungsjahr, eine freiwillige Wiederholung einer Klassenstufe: "Diese Möglichkeit besteht schon jetzt, aber dafür muss man aus seinem Jahrgang heraus." Da hierbei nicht alle Fächer belegt werden müssten, stecke der Schüler im neuen Klassenverband gleich in einer Sonderrolle. Das schrecke manchen ab. "Dieses Angebot ist nicht so wahnsinnig gut angenommen worden."Ministerium: "Die Flexibilisierungsjahre sind nur sehr begrenzt angenommen worden", räumt Ludwig Unger ein. "Das Überspringen ist ebenfalls eher selten."
Welche weitere Entwicklung wird erwartet?
FWG: "Die Akzeptanz ist mittlerweile bayernweit da", sagt Klaus Morsch. Davon sei auch die Regierung nicht ausgeschlossen. Daher hofft er auf eine baldige Entscheidung, welche die Möglichkeit zu einem neunstufigen Gymnasium eröffnet.KZG: Renate Leive erwartet, dass auch externe Meinungen in die Entscheidungsfindung einfließen werden. Sie denkt dabei zum Beispiel an die Umfrage der Landes-Eltern-Vereinigung. Ihre persönliche Auffassung ist, dass eine landesweit einheitliche Lösung gefunden werden sollte. Schon jetzt gebe es Diskrepanzen bei einem Schulwechsel von einem anderen Bundesland nach Bayern, doch bei einer Wahlmöglichkeit der Schulen zeichneten sich auch noch Schwierigkeiten bei regionalen Schulwechseln ab.
Ministerium: Ludwig Unger unterstreicht: "Der Minister hat angekündigt, dass es ein Dialogprozess ist." Stellungnahmen würden daher gebündelt und in die Entscheidungsfindung einfließen. Unger verweist auf eine Stellungnahme von Minister Ludwig Spaenle aus dem August. Darin heißt es: "Ziel der Gespräche ist es, auf der Basis der Erfahrungen mit dem Pilotversuch Mittelstufe Plus ein langfristig tragfähiges Modell für die Zukunft des bayerischen Gymnasiums zu entwickeln, das den geänderten Erfordernissen wie der zunehmend heterogenen Schülerschaft und unterschiedlichen Schulstandorten Rechnung trägt. Das werden wir mit der gymnasialen Schulfamilie, den Bildungspolitikern und den Verbänden diskutieren." Die Weiterentwicklung des Gymnasiums will Spaenle mit großer Sorgfalt angehen. "In Bildungs- und Wissenschaftsfragen geht für mich Qualität vor Geschwindigkeit", lautet sein Credo.
MdL: Jürgen Baumgärtner bestätigt, dass es keine Entscheidungen gibt, in welche Richtung die Politik gehen wird. Auch in der CSU-Fraktion wird noch diskutiert. Der Minister habe aber klar geäußert, dass er das G9 in irgendeiner Form umsetzen wolle, so der Abgeordnete.
Hintergrund: Zwischen zwei Bildungskonzepten
G8/G9: Im Jahr 2004 wurde das achtjährige Gymnasium in Bayern eingeführt. Zuvor gab es einen neunjährigen Bildungsweg. Stellungnahme: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat sich klar zur geplanten Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium bekannt (FT vom 9. Januar). Die Zusage, dass es künftig acht- und neunjährige Züge bis zum Abitur geben werde, stehe, sagte Seehofer der Deutschen Presse-Agentur in München. "Wer will, kann sich mehr Zeit zum Lernen nehmen. Das ist ein Beitrag zur Entschleunigung. Politik muss nicht immer nur das Schneller, Höher, Weiter formulieren, sondern die unterschiedlichen Lebensumstände berücksichtigen", betonte er.
Umfrage: Die Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern befragte bis Dienstag die Schülereltern. Sie sollen zwischen drei Konzepten entscheiden, was sie sich für die Gymnasien in Bayern wünschen: ein neunjähriges Gymnasium mit einem durchgehenden, neuen Lehrplan, ein achtjähriges Gymnasium mit dem bisherigen Lehrplan oder eine Festlegung der einzelnen Schule auf neun Jahre mit dem bisherigen, aber gestreckten Lehrplan in den Klassenstufen 6 bis 10. "Die LEV setzt sich dafür ein, die gymnasiale Bildung in Bayern strukturiert weiterzuentwickeln. Sie tritt vehement für ein qualitativ hochwertiges Gymnasium ein", heißt es auf der Homepage der Vereinigung. Deshalb sollten die Eltern mit der Umfrage ihre Haltung zeigen.
Meinung
Alle Mann an Bord behalten
Die Politik im Freistaat verkaufte das damals neunjährige bayerische Gymnasium vor der Pisa-Studie stets als ihr Aushängeschild. Doch mit einem Mal wurde das Gefühl geweckt, dass sich Bayern mit seinem Musterkonzept auf einem Irrweg befunden haben könnte. Das (jahrelang verteufelte) G8 war plötzlich das Maß der Dinge. Knapp sechs Jahre nachdem die ersten G8-Schüler ihre Abiturprüfungen abgelegt haben, wird nun moderat mit dem Zurückrudern begonnen. Das G8 ist nicht mehr das Allheilmittel. Das G9 soll zumindest wieder eine Option werden. Obgleich man abwarten darf, wie viel der Lehrplan eines möglichen G9-Konzepts im Jahr 2018 noch mit dem zur Jahrtausendwende gültigen zu tun haben wird. Denn G9 ist nicht gleich G9.
Während die Politiker das Ruder herumreißen, müssen sie allerdings aufpassen, dass nicht Tausende Schüler Pech haben und über Bord gehen. Die Mittelstufe plus läuft aus, das neue System zeichnet sich erst fern am Horizont ab. So könnte das Wendemanöver die Zwischenjahrgänge baden gehen lassen. Findet sich für sie keine Übergangslösung, steht ihnen wohl nur das G8 zur Wahl.