Kronacher Berufsschüler erleben Europapolitik
Autor: Heike Schülein
Kronach, Mittwoch, 18. Dezember 2013
An zwei Tagen schlüpften vier Klassen der Lorenz-Kaim-Schule in die Rolle realer Politiker. In "Europapolitik erleben!" der Akademie für Politische Bildung Tutzing stellten sie den Entstehungsprozess einer Richtlinie in der EU dar.
"Wir brauchen ein starkes Europa", fordert Annika Gehring vehement am Rednerpult. Applaus brandet auf. Josep Borrell, Präsident des EU-Parlaments (alias Nadja Gehring), und Umweltkommissar Stavros Dimas (alias Fabienne Dillmann) sind von der flammenden Rede der EU-Abgeordneten angetan. Die Drei entsprechen nicht unbedingt dem konservativen Image von politischen Vertretern der verschiedenen EU-Staaten. Anstelle von Anzug oder Kostüm tragen sie legere Kleidung, Jeans und Pferdeschwanz. Und auch die neue "Europaabgeordnete" Annika Gehring dürfte wohl nicht jedem auf Anhieb ein Begriff sein.
Bei den drei jungen Damen handelt es sich um Schülerinnen der Lorenz-Kaim-Schule in Kronach. Nadja ist 18 Jahre und besucht die elfte Klasse der Berufsfachschule für Kinderpflege, ihre zwei Jahre jüngere Schwester Annika die gleiche Jahrgangsstufe jedoch für Ernährung und Versorgung. Die 19-jährige Fabienne Dillmann ist Schülerin in der zehnten Klasse der Berufsfachschule für Sozialpflege. Die Schüler dieser drei Klassen sowie einer elften Berufsschulklasse für angehende Mechatroniker im dualen System inszenierten an zwei Tagen den Entstehungsprozess der "Richtlinie 2006/66/EG - die "Akku-Richtlinie". Die Positionen und Rollenprofile folgten dabei der realen Verhandlung.
Über Europa geredet
"Am ersten Tag haben wir zunächst über Europa geredet. Wir lernten die Institutionen der Europäischen Union näher kennen", erzählen die "Nachwuchs-Politikerinnen". Zur Vorbereitung erhielten sie "Starter-Infos" mit relevanten Fakten zur EU, zur Thematik sowie zum Verhalten des Planspiels. Als Sitzungsräume dienten verschiedene Klassenzimmer. Auch wurden Schüler als Presseteam eingeteilt, um den Fortgang des Gesetzesentwurfs durch alle Instanzen zu begleiteten. Jeder Teilnehmer erhielt ein individuelles Rollenprofil, bei der die Meinungen zu den einzelnen Themenpunkten dargestellt wurden.
"Wir mussten das uns zugewiesene Profil vertreten - also nicht unbedingt unsere eigene Meinung", erklärt Nadja, die im Planspiel Mitglied des Europarats in Straßburg war. Ihre Schwester war in der Kommission sowie Fabienne im Europaparlament in Brüssel vertreten. "Die Aufgabe der Kommission bestand in der Vermittlung. Wir suchten eine Zwischenlösung zwischen Parlament und Rat, was gar nicht einfach war", erzählt Annika, die wie ihre Schwester in Grün wohnt. Nadja bestätigt dann auch: "Im Europarat diskutierten wir Punkt für Punkt und wir hatten manchmal ganz andere Meinungen als das, was uns das Parlament vorgelegt hatte." Ständig habe man daher zwischen zwei Stockwerken der Schule - Straßburg oben, Brüssel unten - hin und herlaufen müssen.
Das macht richtig Spaß
Von der Simulation sind sie begeistert. Keine von ihnen hätte vorher gedacht, dass das so interessant sei. "Man muss sich halt darauf einlassen. Die Sachverhalte und Prozesse sind schon kompliziert. Aber wenn man einmal drin ist, macht das richtig Spaß", meint Nadja. Etwas unfair findet sie, dass die kleinen Länder wenig zu melden hätten. Fabienne, die in Hof an der Steinach wohnt, räumt ein, dass die beiden Tage schon anstrengend gewesen seien - insbesondere wegen der Informationsflut. "Das Thema war nicht einfach. Ich hätte mir im Vorfeld mehr Infos gewünscht und nicht alle auf einmal. Wir haben ja über ein Thema diskutiert, von dem wir so gut wie keine Ahnung hatten", meint sie.
Ziel des Planspiels war es, den Teilnehmern die Komplexität politischer Entscheidungsfindung zu verdeutlichen und dabei das System der Europäischen Union lebhaft und praxisbezogen näher zu bringen", erklärt Robert Lohmann, der mit Sarah Marcos von der Akademie das Planspiel leitete.
Für "Live"-Einblicke sorgte Heinz Köhler (SPD), der selbst von 1989 bis 1994 Abgeordneter des Europäischen Parlaments war.
Die Akku-Richtlinie
Richtlinie Bei der Simulation ging es um die Akku-Richtlinie. Damit sollte der Anteil von Blei, Quecksilber und Cadmium in allen Arten von Akkus generell verringert werden.
Rücknahme Weiter sollte vereinbart werden, im welchem Umfang Akkus dem normalen Abfallsystem entsorgt werden müssen. Ein Rücknahmesystem von gebrauchten Akkus gehörte zum Beginn dieses Gesetzgebungsverfahrens 2003 noch nicht zum Standard.
Recycling Zudem sollten zwischen 55 und 75 Prozent der Bestandteile eines gebrauchten Akkus recycelt werden. Die Verhandlungen erstrecken sich über drei volle Jahre und gingen bis in die letzte Instanz - in den Vermittlungsausschuss.