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Kriminalitätsopfer haben immer lebenslänglich


Autor: Lisa Kieslinger

Kronach, Donnerstag, 10. März 2016

Inge Schaller und Irene Dicker helfen Kriminalitätsopfern. Für die neuen Außenstellenleiterinnen ist die ehrenamtliche Arbeit eine Herzensangelegenheit.
Irene Dicker und Inge Schaller mit ihren Ausweisen des Weissen Rings. Das Einzige, was sich für die beiden mit der Amtseinführung geändert hat, ist die Aufschrift "Außenstellenleiterin". Den Opfern zu helfen bleibt weiterhin ihre Hauptaufgabe. Fotos: Lisa Kieslinger


Die Opferschutzhilfe Weißer Ring war in den letzten Wochen oft in den Schlagzeilen. Grund war der Rauswurf zweier langjähriger Mitarbeiter. Peter Bürgin und Alfonz Hrubesch sollen laut einer Pressemitteilung von Anfang März äußerst unprofessionelle Opferhilfe-Arbeit geleistet haben. Doch mit diesem dunklen Kapitel soll nun endgültig Schluss sein. "Egal, was war, das ist nicht das Ausschlaggebende. Die neuen Leiterinnen bringen nun wieder Kontinuität rein", sagt Landrat Oswald Marr (SPD).

Inge Schaller wird künftig die Außenstelle des Weißen Rings in Kronach leiten und ihre Kollegin, Irene Dicker, die Außenstelle in Lichtenfels. "Ich bewundere Sie beide, dass Sie den Mut haben, eine solche Tätigkeit zu übernehmen", so der stellvertretende Landrat von Lichtenfels, Helmut Fischer (CSU). Das brauche Kraft. Schließlich müsse man neben der Opferhilfe, die Schicksale der Leute selbst auch erst einmal verarbeiten.


Viel Arbeit und alles ehrenamtlich

Vor 40 Jahren begann die Geschichte des Weißen Rings mit 17 Gründungsmitgliedern. Heute zählt der Verein knapp 50 000 Mitglieder deutschlandweit. In Kronach sind es aktuell laut Josef Wittmann, Landesvorsitzender Bayern-Nord des Weißen Rings, 43 Mitglieder und in Lichtenfels 54. Neben den beiden Außenstellen in Kronach und Lichtenfels gibt es bundesweit rund 418 andere mit rund 3200 ehrenamtlichen, professionell ausgebildeten Helfern.

Sie betreuen Kriminalitätsopfer und deren Angehörigen nach einer Straftat, begleiten sie zu Terminen bei der Polizei, bei der Staatsanwaltschaft oder zum Gericht. Zudem kümmern sie sich um finanzielle Unterstützung oder die Übernahme von Anwaltskosten. Alles ehrenamtlich.

"Der Verein fordert von Politik, Justiz und Verwaltung die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situationen von Kriminalitätsopfern", so Wittmann weiter. Deshalb sei eine gute Zusammenarbeit mit der Polizei, dem Gericht und den Kommunen enorm wichtig für die Arbeit.

Jürgen Fehn, Direktor des Amtsgerichtes Kronach, betont in seiner Festrede die Bedeutung des Weißen Rings. "Ein Strafverfahren darf nicht dazu führen, dass Kriminalitätsopfer noch einmal traumatisiert werden. Man darf sie da nicht alleine lassen."

In seiner langjährigen Erfahrung als Jugendrichter hat er hautnah miterlebt, wie sich die Jugendkriminalität und auch der Opferschutz in den Jugendstrafverfahren mit der Zeit verändert haben. Als Beispiel nennt er Mobbing im Internet. "Es ist gut, dass sich der Weiße Ring dieses Themas bereits angenommen hat", meint der Direktor. Auch die ethnischen Konflikte unter Jugendlichen steigen weiter. "Das wird in Zukunft noch schlimmer werden."


Opferhilfe wird immer wichtiger

Die Jugendkriminalität habe sich maßgeblich gewandelt. Das verstärke auch den Bedarf nach Opferhilfe. "Der Opferschutz in Jugendstrafverfahren ist nicht zuletzt auf das Engagement des Weißen Rings zurückzuführen", meint Fehn. Es gebe die Möglichkeit, dass Zeugen unter 18 Jahren nur vom Vorsitzenden befragt werden dürfen. "Das gewährleistet eine behutsame Vernehmung, ohne die aggressiven Fragen der Verteidigung."

Zu Beginn nächsten Jahres tritt ein weiteres Gesetz für den Opferschutz ein. "Ein Verletzter hat dann Anspruch auf einen psychosozialen Begleiter", erklärt der Jugendrichter. Das fördere die Wahrheitsfindung. Zumindest hoffe man darauf. "In den letzten Jahrzehnten ist viel im Bereich des Opferschutzes geleistet worden, auf das man stolz sein kann."


Drei Fragen an...
Inge Schaller: "Es ändert sich nichts"


Was erwartet Sie in ihrer neuen Position?
Inge Schaller: Meine Aufgabe ist eigentlich die gleiche wie seit acht Jahren. Ich habe jetzt vielleicht ein bisschen mehr Verantwortung, aber ansonsten bin ich nach wie vor für die Opfer da. Das ist für mich das Wichtigste. Außer dem Namen der Position ändert sich für mich gar nichts.

Welche Ziele haben Sie?
Meine Ziele sind, da weiterzumachen, wo ich bisher gestanden war: Den Opfern zu helfen.


Was bedeutet Ihnen der Weiße Ring?

Sehr viel, weil ich der Meinung bin, dass man solche Leute einfach nicht alleine lassen darf. Die brauchen Hilfe. Ich meine, in jedem Haus gibt es etwas, und ich glaube, es ist wichtig, dass man einem Menschen beisteht und dass sie merken, sie sind nicht allein. Das ist für mich das Allerwichtigste, und darum bin ich auch beim Weißen Ring.

Die Fragen stellte Lisa Kieslinger


Personeninfos:


Inge Schaller: Nach der Schule hat Inge Schaller in der Berufsfachsschule in Vierzehnheiligen eine Ausbildung zur Kinderpflegerin absolviert. Danach hat sie zehn Jahre lang den Gasthof "Hubertushöhe" geführt. Nach der Hochzeit mit ihrem Mann widmete sie sich dem Haushalt und ihren Kindern. Von 1999 bis 2015 betreute sie mit ihrem Mann ein autistischen Pflegekind. Seit August 2008 ist sie nun bereits bei der Opferhilfe des Weißen Rings tätig. "Besonders dankbar bin ich meinem Mann. Er hat mich immer unterstützt und mir den Rücken freigehalten. Auch meinem Chef will ich danken. Wenn mich ein Opfer braucht, stellt er mich dafür immer frei. Das ist nicht selbstverständlich."

Irene Dicker: Sie hat nach ihrer Schulzeit in der elterlichen Brauerei gearbeitet. Nach dem Tod ihres Vaters, ihrer Mutter und ihres Mannes, die kurz hintereinander gestorben sind, wurde Irene Dicker klar, dass sie Leuten helfen möchte. 2004 machte sie die Ausbildung zur Heilpraktikerin, der folgte ein Jahr später eine Sanitätsausbildung beim Bayerischen Roten Kreuz. Seit Januar 2005 ist sie zudem ehrenamtlich als Schöffin am Amtsgericht in Lichtenfels tätig. "Nach neun Jahren fragte ich mich dann: Wer hilft eigentlich den Opfern?", erzählt Irene Dicker. Bei einem Seminar in Wildbad Kreuth kam sie dann zum Weißen Ring und ist seit Mai 2009 ehrenamtliche Mitarbeiterin.