Im Ludwigsstadter Hort dürfen alle "Kind" sein
Autor: Sarah Seewald
Ludwigsstadt, Donnerstag, 13. August 2015
Der Hort in Ludwigsstadt möchte eine "integrative Kindertageseinrichtung" werden. Der Beschluss lag dem Jugendhilfeausschuss am Donnerstag vor. Damit spricht der Kreis nicht nur über Inklusion, sondern stellt die Weichen dafür.
Fabian läuft den Schulflur entlang. Der Achtjährige schert nach links aus, schaut sich an, was da für eine Jacke auf dem Boden liegt, schert nach rechts aus ... der Gang, den Fabian passiert, ist eher ein unbestimmter Weg. Eine Strecke, auf der er immer wieder von äußeren Einflüssen abgelenkt wird, immer wieder Umwege einschlägt.
Den Jungen Fabian gibt es so gar nicht wirklich. Das beschriebene Szenario ist - wie Name und Alter - frei erfunden. Die Beobachtungen aber, die könnten Eltern, Lehrer, Erzieher oder Kinderpflegerinnen wohl trotzdem so oder so ähnlich machen. Für Sozialpädagogin Angela Schmitt und ihre Kolleginnen im Kinderhort in Ludwigsstadt bedeutet eine solche Beobachtung, besonders aufmerksam zu sein.
Hat das Kind Schwierigkeiten? Zeigt es besondere Auffälligkeiten?
Obwohl Angela Schmitt kein Freund davon ist, verhaltensauffälligen Kindern gleich einen Stempel aufzudrücken, soll es ab dem kommenden Schuljahr in Ludwigsstadt eine "teilstationäre Tagesbetreuung für seelisch behinderte oder von einer seelischen Behinderung bedrohte Schulkinder" geben. So steht es in der Beschlussvorlage, die dem Jugendhilfeausschuss am Donnerstag vorlag. Damit ist der Hort in Ludwigsstadt offiziell als "integrative Kindertageseinrichtung" anerkannt. Neben den formalen Begrifflichkeiten geht es darum, dass die Betreuer sich auch die Zeit für die Sonderbetreuung nehmen können.
Toben und Hausaufgaben machen
Ein Hort ist mehr als eine Hausaufgabenbetreuung. Im Hort müssen ausgebildete Kräfte arbeiten, erklärt Elisabeth Töpper, die Leiterin der Einrichtung.
"Der Bedarf ist auf jeden Fall da", sagt sie über das neue inklusive Angebot in Ludwigsstadt. Trotzdem könne es zwei, drei Jahre dauern, bis die drei neuen "Inklusionsplätze" auch in Anspruch genommen werden. Oft wüssten die Eltern nämlich gar nicht, an wen sie sich wenden können. Der erste Schritt, sich als Eltern einzugestehen, dass man mit seinem eigenen Kind "Probleme" hat, überfordert ist, das sei besonders schwierig. Wichtig ist, "dass wir gerüstet sind", so Töpper. Kindern wie Fabian, die zum Beispiel über den Flur wuseln, müssen die Betreuerinnen sagen: "Bitte geh' geradeaus." Kinder, wie Fabian, brauchen mehr Zuspruch, für alle Aufgaben ein bisschen mehr Zeit, mehr Zuwendung, eine Bezugsperson, tun sich schwer mit Regeln ... so erklären die Hort-Mitarbeiterinnen mögliche Anzeichen einer seelischen Behinderung.
Eine schöne Aufgabe
Für Angela Schmitt ist die neue Betriebserlaubnis des Hortes ein Schritt in Richtung inklusive Gesellschaft: "Man liest immer nur den Begriff ,Inklusion‘, aber ausführen ist doch noch einmal etwas anderes." Zwar können die Frauen überhaupt nicht einschätzen, wie mögliche Fälle - komplizierte Kinder - ihren Berufsalltag beeinflussen werden, für Schmitt ist es aber eine "schöne Aufgabe", eine Herausforderung, die sich lohnt. "Ich glaube, ganz viele Kinder haben gar nicht die Möglichkeit, zu sein, wer sie sind", sagt Angela Schmitt. Die Sozialpädagogin weiß, dass Kinder stark von ihrem familiären Umfeld geprägt sind. Probleme können entstehen, "wenn ein Kind nicht so aufwächst, wie ein Kind", sagt sie.
Mehr Zeit für die Kinder
Auch schon ohne den neuen Beschluss über das inklusive Betreuungsangebot, erleb(t)en die Mitarbeiterinnen Tage, an denen sie mit manchen Kindern an ihre Grenzen (ge)stoßen (sind). Die Weichen für eine Betreuung behinderter Kinder sind im Oberland gestellt. Vorbereitet sind sie in Ludwigsstadt auch. Doch: "Man kann sich immer vorbereiten und dann ist es trotzdem anders", sagen die Fachkräfte. Bis die Betreuung gefragt ist, werden sie den Schulkindern, die bereits im Hort Hausaufgaben machen, zu Mittag essen, toben, spielen ... Begriffe wie Inklusion, Integration, Behinderung kindgerecht erklären.Dabei versichert Sozialpädagogin Schmitt: Von den Kindern kann man durchaus etwas erwarten. Schwierigkeiten unter Kindern könne es zwar immer mal geben, sagt die Hort-Leiterin. Wichtiger, beachtlicher und wertvoller seien aber die Freundschaften, die wachsen, die soziale Kompetenz, die gefordert und gefördert wird... ein Kind entwickelt sich - ob mit erhöhtem Förderungsbedarf oder ohne. Eines bleibt nämlich außer Frage: Auch wenn Kinder wie Fabian ein bisschen anders sind als andere Kinder, hat er das Recht auf ein "selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben". Dieses schriftlich festgehaltene Ziel muss nun mit Leben gefüllt werden.
4500 Euro wird die Umstellung der Betriebserlaubnis in Ludwigsstadt den Kreis Kronach circa jährlich kosten.
Infos rund um den Kinderhort
Seit 2006 ist der Kinderhort von Ludwigsstadt in der Grundschule "Am Grünen Band" untergebracht. Von Montag bis Donnerstag werden Kinder von 7 bis 8 Uhr und von 11 bis 17 Uhr betreut. Freitags schließt der Hort um 16 Uhr.
In den Ferien gelten die gleichen Öffnungszeiten, sofern nicht geschlossen ist. Zwischen 55 und 75 Euro - je nachdem, wie viele Stunden in Anspruch genommen werden, kostet das Betreuungsangebot in Ludwigsstadt. Den Kinderhort können maximal 60, davon drei integrative Kinder, ab der ersten Klasse bis zum Ende des 12. Lebensjahres besuchen.
Der Begriff "Integration" wird als Wiederherstellung eines Ganzen verstanden. Dementsprechend ist die Bedeutung von Inklusion bezogen auf den Hortalltag als Einbeziehung und Einbindung von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf in eine Gruppe mit Kindern ohne Förderbedarf zu verstehen.
Auch wenn es drei integrative Hort-Plätze in Ludwigsstadt geben wird, können beispielsweise Kinder, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nicht aufgenommen werden, da zum Gebäude kein barrierefreier Zugang möglich ist.
Ein Inklusionsplatz in einem Hort kann über den Bezirk (bei körperlicher und geistiger Behinderung) oder das zuständige Jugendamt des Landkreises (seelische Behinderung) beantragt werden.