Guerilla Knitting im Kreis Kronach: Mit der kalten Nadel gestrickt
Autor: Marian Hamacher
Kronach, Mittwoch, 05. Dezember 2018
Seit fünf Jahren zieren in Kronach bunte Wollüberzüge die Straßenpfosten von der Schwedenstraße hoch zum Bamberger Tor. Dahinter stecken der Strick-Enthusiasmus der 75-jährigen Heike Bär - und eine klare politische Haltung.
Es ist düster. Die Laternen hüllen die Straße hoch zum Bamberger Tor und den umliegenden Bereich entlang der Schwedenstraße in ein dumpfes gelbes Licht. Zu wenig, um ihr Vorhaben umzusetzen - weshalb zusätzlich die Lichtkegel einiger Taschenlampen nervös durch die Dunkelheit flackern. Nach und nach strahlen sie die Metallpfosten des Geländers an. Als wenige Stunden später die aufgehende Sonne die Arbeit der Straßenlaternen wieder übernimmt, offenbart sie das Ergebnis der nächtlichen Aktion aus dem Winter 2013. Und damit erstmals das, was schon seit fünf Jahren gefühlt zum Stadtbild gehört wie der Cranach-Drache zu Kronach: bunt umstrickte Straßenpfosten.
Mal rot-weiß gestreift, mal gelb-rot gekringelt. Jede Farbe scheint vertreten. "Das war eine echte Nacht-und-Nebel-Aktion. So richtig mit Herzklopfen", erinnert sich Heike Bär und muss schmunzeln, wenn sie die fünf Jahre zurückdenkt. "Wir hatten ja schließlich keine Erlaubnis", erinnert sich die inzwischen 75-Jährige. "Es war ja ein wildes Stricken."
Von den Reaktionen überrascht
;Für die nächtliche Strick-Aktion von Bär und ihren "Komplizinnen" der Strickgruppe vom Café "Tante Anne" gibt es gleich mehrere Bezeichnungen. Mal ist von Urban Knitting die Rede, mal von Guerilla Knitting (siehe Infokasten). Manchmal auch einfach nur von Strick Graffiti. Und doch meinen alle dasselbe: Alltagsgegenstände wie Bäume, Statuen oder Ampeln, die plötzlich eine wollene Hülle ziert.
Was die Strickgruppe um Heike Bär in Kronach an Straßenpfosten fortführte, begann 2005 in Houston (USA) mit einer Türklinke. Die Texanerin Magda Sayeg wollte an ihrem Laden etwas mehr Farbe in die ansonsten eher graue Umgebung bringen - von den Reaktionen war sie ebenso überrascht wie begeistert. Menschen seien in ihren Laden gekommen und hätten wissen wollen, von welchem Künstler die Woll-Klinke stammt. "Deshalb habe ich meine Freundin angerufen und gesagt: "Es klingt vielleicht blöd, aber mach einfach mit! Ich möchte den Pfahl des Stoppschilds am Ende der Straße umstricken", wird Sayeg in dem 2011 erschienenen Buch "Strick Graffiti" zitiert.
Eine Idee, die sich rasch um die Welt strickte. "Ich hatte das damals in Berlin gesehen und fand es einfach nur schön", erzählt Bär. Wie Sayeg acht Jahre zuvor, war auch die Kronacherin auf die Reaktionen ihrer Mitbürger gespannt, bezog am Bamberger Tor ihren Beobachtungsposten und wartete. "Es wusste ja keiner, dass ich das war", sagt sie. "Ich wollte wissen, ob da ein Aufstand kommt oder nicht. Dann kam der Bürgermeister und war begeistert."
"Schöne Farbtupfer"
;Fünf Jahre später erfreut sich Wolfgang Beiergrößlein noch immer an den Woll-Kreationen. "Das sind ein paar schöne Farbtupfer, die mittlerweile ganz gerne gesehen sind", findet das Kronacher Stadtoberhaupt. "Wir haben es dann auch offiziell geduldet und mitgetragen", erklärt er. Aus der Guerilla-Aktion ist daher längst ein zeitlich geregeltes Stadtverschönerungsprojekt geworden.
Nach dem Totensonntag darf Bär anfangen, die Pfosten in ihre Mützen und "Schals" einzumummeln. "Kurz vor Ostern muss ich sie dann wieder abnehmen, weil sie laut der Stadt nicht so gut zu den stillen Tagen passen", erklärt die Rentnerin.