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Freispruch für 45-Jährigen trotz sexueller Übergriffe


Autor: Katja Nauer

Kronach, Mittwoch, 17. Dezember 2014

Ein 45-Jähriger gibt sexuelle Übergriffe auf die minderjährige Tochter seiner Lebensgefährtin zu. Weil ihm kein Geschlechtsverkehr nachgewiesen werden kann und sich die Tat auf ein anderes Zeitfenster bezieht, wird er freigesprochen.
Vor der Großen Jugendkammer in Kronach wurde ein 45-Jähriger freigesprochen. Foto: Archiv/Christopher Schulz


Er habe die minderjährige Tochter seiner Verlobten geküsst und an den Geschlechtsteilen berührt, weil er ihr zeigen wollte, wie masturbiert werde: Das gab ein 45-jähriger Mann aus dem Landkreis Kronach vor der Großen Jugendkammer in Coburg zu. Dass er allerdings den Geschlechtsverkehr mit dem damals elfjährigen Mädchen vollzogen haben soll, leugnete er und sagte weiterhin aus, die Schülerin sei seiner Erinnerung nach damals bereits 15 Jahre alt gewesen.

Die Mutter der heute 18-Jährigen, ihr Bruder und dessen Freundin glaubten dem Mann und nicht dem Mädchen, das den Mann im August 2013 angezeigt hatte. Sie habe schon immer zu Übertreibungen geneigt, hieß es einstimmig.

Die Polizeibeamtin, die die Schülerin nach der Anzeige vernommen hatte, sagte aus, dass der jungen Frau bewusst gewesen sei, dass es damit zum Bruch kommen könne mit der Familie und der Mutter. Deren Beziehung zum Angeklagten habe die Tochter als "blinde Liebe" bezeichnet. "Meiner Meinung nach handelte sie nicht aus einer Laune heraus", sagte die Beamtin. Ihr Lebensgefährte habe zugegeben, dass er und ihre Tochter dreimal beieinander waren, berichtete die Mutter. Ihr Verlobter sei ein Mann, der an Frauen großen Gefallen finde: "Ich kann mir vorstellen, dass sie in ihn verliebt war."

Der Vorsitzende Richter Michael Koch hakte nach: "Er schildert Ihnen, dass es mit ihrer minderjährigen Tochter zu Masturbationshandlungen kam", und fragte nach ihrer Reaktion darauf. "Ja, was soll ich dagegen machen?", antwortete die Frau. "Ich muss es hinnehmen, wie es ist."


Racheakt vermutet

Sie mutmaßte, die Anzeige sei ein "Racheakt" der Tochter gewesen, weil sie deren Freundin kurz vorher das Verbot erteilt habe, auf dem heimischen Hof zu übernachten. Eben diese Vermutungen äußerte auch der Rest der Familie. "Das hören wir heute schon zum dritten, vierten Mal und haben das gestern auch gehört", sagte Koch. "Wessen Idee war es jetzt, diesen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Hofverbot und der Anzeige?" "Das haben wir so für uns gedacht", antwortete ihm die Freundin des Bruders. "Wir waren ziemlich schnell einer Meinung." "Das haben wir gemerkt", so der Richter. "Da haben Sie sich gesagt, das sagen wir jetzt mal so vor Gericht."


Sinneswandel

Eine gute Bekannte der Familie, die von dem Mädchen ins Vertrauen gezogen wurde und die sie am Tag der Anzeige zur Polizei gefahren hat, äußerte sich in der polizeilichen Vernehmung über den Angeklagten: Er habe sie massiv angemacht und von einer "tollen sexuellen Beziehung aus Berlin" gesprochen, mit der sie einen "Dreier" machen könnten. Es seien Worte wie "Zeig mal deine Möpse" und "Drück' dich an mich ran" gefallen. Einmal habe er sie aufgefordert, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen. Sie sei bei der Polizei damals so in Rage gewesen, dass sie den Angeklagten am liebsten geohrfeigt hätte, sagte sie aus.

Dann kam aber der Sinneswandel: Nachdem sie Zeit zum Nachdenken gehabt habe, sehe sie ihre damalige Aussage - und auch die Glaubwürdigkeit der Schülerin - heute anders. Das Gericht hakte nach: "Ist das normal, dass ein erwachsener Mann Ihnen gegenüber solche Äußerungen macht?" Das habe er auch vor seiner Verlobten gemacht, antwortete die Frau. "Da hieß es immer, er sei halt so offen."


Keine Zweifel

Der Staatsanwalt, der die Schülerin vernahm, gab an, er habe keinen Zweifel gehabt, dass ihre Angaben nicht gestimmt hätten. Dass sie die Anzahl der Übergriffe, die sie bei der Polizei angab und die von der Mutter angezweifelt wurden, nachträglich nach unten korrigiert habe, konnte die junge Frau seiner Meinung nach plausibel erklären: Sie habe den Lebensgefährten ihrer Mutter nicht unnötig belasten wollen.

Eine Gutachterin, die zu klären hatte, ob die von dem Mädchen beschriebenen Tatvorgänge auf tatsächlichem Erleben basierten, gab an, dass die von der Familie angesprochenen Übertreibungen normale Alltagsübertreibungen seien. Auch könne sie keine Neigung erkennen, Geschichten erzählen zu wollen.

Den Zusammenhang mit dem Hofverbot der Freundin und der Anzeige fand sie nicht völlig plausibel nachvollziehbar. Allerdings sei die Aussage vor der Polizei sehr allgemein gewesen, und die Angaben in der Hauptverhandlung seien nicht konkreter geworden. "Theoretisch könnte die Aussage schon erfunden sein", schlussfolgerte die Gutachterin.

In ihren Plädoyers beantragten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung daraufhin einen Freispruch. Das Gericht stützte sich bei der Urteilsfindung auf die Gutachterin und die zu dürftige und wenig detaillierte Aussage der 18-Jährigen und sprach den Angeklagten frei. "Die von ihm eingeräumten Straftaten sind nicht Bestandteil der Anklage", äußerte sich Koch auf Nachfrage. Zudem habe der Angeklagte nur Taten zugegeben, die außerhalb des von der Anklage benannten Tatzeitraums lagen.