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Flüchtlingsfamilie in Rothenkirchen gestrandet


Autor: Hendrik Steffens

Rothenkirchen, Montag, 27. Oktober 2014

Seit gut einem Monat lebt eine zehnköpfige Familie aus Syrien in dem ehemaligen Alten- und Pflegeheim des Arbeiter-Samariter-Bunds in Rothenkirchen. Jetzt geht es darum, sie zu integrieren. Zara (19) will rasch Deutsch lernen.
Ihren sehnlichsten Wunsch hat Zara (19) in ihren kleinen Computer getippt und übersetzen lassen. Die Qualität der Übersetzung ist schlecht. Auch deshalb will die junge Frau möglichst schnell Deutsch lernen.  Foto: Hendrik Steffens


Der Empfangstresen ist verstaubt, im leeren Flur hallen die Schritte zweier Kinder. Zehn Flüchtlinge aus der syrischen Stadt Homs leben seit Ende September im ehemaligen Alten- und Pflegeheim des Arbeiter-Samariter-Bunds in Rothenkirchen. Sie haben eine kleine Wohnung bezogen, die mit dem Notwendigsten möbliert war. Jetzt muss ihr Aufenthalt organisiert werden: In welche Schule und welchen Kindergarten sollen die Kleinen gehen? Wo werden die Erwachsenen Deutsch lernen?

Das Haus, in dem die syrische Familie lebt, wurde von einem privaten Eigentümer an das Landratsamt vermietet. Es ist nicht schön, wirkt leer und verstaubt, aber es erfüllt seinen Zweck. Der Dritte Bürgermeister der Gemeinde Pressig, Wolfgang Förtsch, Elmar Jonas vom Diakonischen Werk Coburg sowie zwei ehrenamtliche Helferinnen sind gekommen. Sie betreuen und koordinieren den Aufenthalt der syrischen Flüchtlingsfamilie in Rothenkirchen.



Übersetzungsprogramm auf dem Tablet-Computer

Elmar Jonas hat gute Neuigkeiten für die Familie. Er spricht mit der 19-jährigen Zara (Name geändert, Anm. d. Red.), die einige Brocken Englisch beherrscht. Ab der kommenden Woche dürfen die drei schulpflichtigen Kinder der Familie in die Pressiger Grundschule gehen. Auch die zwei Jüngsten können bald in den Kindergarten. "Zusätzlich kann Förderunterricht zum Deutschlernen in Absprache mit der Schule organisiert werden", sagt Elmar Jonas, der für den Fachdienst für Migration und Integration der Coburger Diakonie arbeitet.

Für die fünf erwachsenen Familienmitglieder beginnt im November ein Integrationskurs an der Kronacher Volkshochschule. Sie werden Unterricht in Sprache und Kultur bekommen. "Wann genau können wir beginnen", fragt Zara. Sie will rasch lernen und etwas selbstständiger werden. Wenn ihr Englisch mal nicht ausreicht, zückt sie einen kleinen, flachen Computer und gibt ihre Frage auf Arabisch in ein Übersetzungsprogramm ein. Die 19-Jährige hat eine kleine Tochter und ist hochschwanger. Für die Kinder will sie gut sorgen. Einen Starttermin kann Jonas allerdings noch nicht nennen. Er werde sich erkundigen, wann es im November losgeht.

Beim Neuanfang helfen

Was er von Coburg aus nicht leisten kann, vertraut der Experte den Helfern in Pressig an. Einer ist der Dritte Bürgermeister Wolfgang Förtsch. Der erinnert sich noch gut an die Umstände, als Zara und ihre Familie im September nach Pressig kamen: "Übertrieben gesagt hat morgens das Landratsamt angerufen und abends waren die zehn Flüchtlinge hier", sagt Förtsch. Er habe dem Bürgermeister direkt angeboten, sich um die Familie zu kümmern. Jetzt agiert er - gemeinsam mit Stefan Heinlein, dem Leiter des Ordnungswesens - als Bindeglied zwischen Bürgern, die sich engagieren wollen, und der Gemeinde. Mit der Resonanz ist er zufrieden: "Viele geben Sach- und Geldspenden. Die Herausforderung ist nun, das zu bekommen, was gerade benötigt wird", sagt Förtsch. Das Haus ist für 30 Flüchtlinge ausgelegt. Es ist also gut möglich, dass Zaras Familie bald Gesellschaft bekommt.

Unterstützung erhält der Politiker von Ursula Ringlstetter und Hildegard Nietzel. Die Schwestern aus Rothenkirchen waren die ersten Bürger, die auf die neuen Nachbarn aufmerksam wurden: Beim Einkaufen erfuhr es Ringlstetter von einer Kassiererin. Ein arabisch aussehender Mann war mit seinem Sohn in dem Laden. Der Kleine wollte Chips, die ihm der Vater aus Geldnot nicht kaufen konnte. Gemeinsam mit ihrer Schwester sammelte Ringlstetter Sachspenden für die Neuankömmlinge. "Uns tun die Menschen leid, die alles zurücklassen und fliehen mussten. Wir wollen ihnen beim Neuanfang helfen", sagt sie. Unter anderem haben sie eine Menge Kleider und einen Kinderwagen für die hochschwangere Zara organisiert.

"Ich wollte Medizin studieren"

Zaras Vater sollte jetzt auch in Rothenkirchen sein. "Er wurde bei der Flucht angeschossen", sagt die 19-Jährige und fasst sich an den Rücken. Da habe ihn der Splitter einer Panzergranate getroffen. Die Wunde hat sich entzündet. Er musste zurückbleiben.

Die 19-Jährige machte Abitur, als der Krieg in ihre Heimat kam. "Danach wollte ich Medizin studieren", sagt sie. Wenn sie dauerhaft in Deutschland bleiben darf, will sie es hier versuchen, sagt sie. Doch ihr größter Wunsch wäre, mit ihrer Familie in einem friedlichen Syrien zu leben. Das Haus, in dem Zara und ihr Mann im syrischen Homs lebten, ist bei einem Luftschlag zerstört worden. Vor einem Jahr war das. Die Familie floh in den Libanon und schlug sich dort durch. Flüchtlingslager gibt es in dem arabischen Land nicht. Geflohene kommen bei Verwandten oder Wildfremden unter oder leben auf der Straße.

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