Druckartikel: Fleisch vom Wildschwein ist immer noch radioaktiv belastet

Fleisch vom Wildschwein ist immer noch radioaktiv belastet


Autor: Heike Schülein

Mitwitz, Donnerstag, 18. Dezember 2014

Der Jagdschutz- und Jägerverband Kronach, Kreisgruppe im Bayerischen Jagdverband, hat zwei neue Radiocäsium-Messstationen in Betrieb genommen. Die Jäger im Landkreis können nun auch in Ludwigsstadt und Mitwitz ihr Wildfleisch untersuchen lassen.
Kreisvorsitzender Bernhard Schmitt demonstriert die Funktionsweise des Messgeräts zur Radiocäsium-Messung. Foto: Heike Schülein


Auf den ersten Blick wirkt das Gerät, das Bernhard Schmitt gerade einem Koffer entnommen und in null Komma nichts aufgebaut hat, eher unscheinbar. Doch der erste Eindruck täuscht an diesem Dienstagabend in der Cramer-Klett'schen Forstverwaltung in Mitwitz: Das Messgerät zur Radiocäsium-Messung ist hochtechnisiert und hat mehr als 4000 Euro in der Anschaffung gekostet.

Zunächst führt der Vorsitzende der BJV-Kreisgruppe Kronach eine Nulleffektmessung durch. Dafür füllt er einen halben Liter Wasser in den Messbecher. Die optimale Messung der Probe ergibt sich, wenn das Gerät das Erreichen der Messgenauigkeit von drei Prozent anzeigt. Dann stopft Schmitt 500 Gramm gewürfeltes Muskelfleisch in den Messbecher, den er bis zum Markierungsstrich füllt. Mit einer Art Geigerzähler misst die hochempfindliche Apparatur die Verstrahlung.

Würde diese über dem Grenzwert von 600 Becquerel (Bq) pro Kilogramm liegen, müsste das Schweine-Gulasch über die Tierkörperbeseitigung entsorgt werden. Doch das ist nicht der Fall: Alles im grünen Bereich!

Grenzwert von 600 Becquerel für Fleisch, das in Verkehr gebracht wird

Wird Wildbret vom Jäger abgegeben oder verkauft und das Wildfleisch dem Verzehr zugeführt, spricht man von "In-Verkehr-Bringen". "Von der EU ist für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln ein Grenzwert von 600 Bq radioaktives Cäsium pro Kilogramm Wildfleisch festgelegt worden. Dieser darf nicht überschritten werden", erklärt Schmitt. Das Fleisch sei dann nicht verwertbar und nicht genusstauglich.
Aufgrund ihrer Ernährungsweise seien vor allem Wildschweine betroffen. Der Grund für die Verstrahlung liegt 28 Jahre zurück. Nach dem Reaktor-Unfall von Tschernobyl breitete sich 1986 eine Wolke von radioaktiver Strahlung aus. Durch den Regen wurde das radioaktive Cäsium 137 aus der Luft in den Boden gespült und wanderte mit den Jahren immer tiefer in den Boden. Die Folgen verspürten die Jäger - auch bei uns - noch immer.

"Das radioaktive Cäsium hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren - das heißt, 30 Jahre nach dem Unglück würde erst die Hälfte aller Atome des belasteten Stoffes zerfallen", erklärt Schmidt weiter.
Laut dem Bayerischen Jagdverband liegt im Freistaat die Radioaktivität bei rund zwei Prozent der geschossenen Wildschweine über dem Grenzwert. In manchen Regionen ist es aber viel mehr - aufgrund des damals erfolgten starken Regenfalls. "Beispielsweise im Raum Augsburg gibt es Frischlinge, bei denen die Messung teilweise 20 000 Bq angezeigt hat", erzählt der Kreisvorsitzende. Dass es solche Werte bei uns nicht gebe, liege daran, dass es zur Zeit des Unglücks im Frankenwald glücklicherweise nicht geregnet habe. Durch den Tau am Morgen sei aber dennoch Flüssigkeit in den Boden gelangt - insbesondere in den höheren Lagen. Zudem seien die bei uns bestehenden Gesteinsschichten eher günstig.

Im Fichtelgebirge gab es damals einen stärkeren Fallout

Beispielsweise im Fichtelgebirge gebe es diesbezüglich mehr Probleme. "Wie hoch die Belastung von Wildfleisch ist, lässt sich heute mit einem Radiocäsium-Messgerät leicht und schnell feststellen", weiß Schmidt. Bislang gab es im Landkreis Kronach lediglich zwei davon - und zwar in Birnbaum und Nordhalben. Beide stehen im Besitz des Forstbetriebs Rothenkirchen beziehungsweise Nordhalben. Nun hat erstmals die BJV-Kreisgruppe Kronach zwei Messgeräte für die Standorte Ludwigsstadt und Mitwitz mit Kosten von gesamt weit über 8000 Euro angeschafft - insbesondere auch, um dadurch die teilweise recht weiten Anfahrtswege mancher Jäger zu den bisherigen Messstellen zu verkürzen. Der Messstellenleiter in Mitwitz ist Christian Holoch, Forstbetriebsleiter der Freiherr von Cramer-Klett'schen Forstverwaltung Mitwitz. Für Ludwigsstadt zeichnet Uwe Döring von der Hegegemeinschaft Ludwigsstadt verantwortlich.

Die Messgeräte bleiben im Eigentum der Kreisgruppe. Sie wurden durch die Jagdabgabe bezuschusst und stehen allen Jägern im Landkreis zur Verfügung. Mitglieder im Kreisverband zahlen pro Messung fünf Euro, alle anderen zehn Euro. Die Apparatur muss alle zwei Jahre kalibriert werden.
Bei in Handel gebrachtem Wild ist die Messung vorgeschrieben. "Sie sollte aber auch bei Fleisch für den Eigenverzehr erfolgen", betont Schmitt. Für jede Probe wird eine Bescheinigung über das amtliche Messergebnis erstellt, die beispielsweise auch als Nachweis beim Verkauf an eine Metzgerei dient. Ist der Grenzwert von 600 Bq überschritten, muss eine erneute Messung durch eine dafür zertifizierte Stelle erfolgen. Hier gibt es nur eine im Landkreis. Zertifiziert ist Alexander Schlee vom Forstbetrieb Rothenkirchen. Schlees Sitz ist in Birnbaum. Hier erhält der Jäger die erforderliche Bescheinigung, mit der er - für das zu vernichtende Fleisch - Antrag beim Bundesverwaltungsamt auf Ausgleichszahlung nach dem Atomgesetz stellen kann. "Der Jäger erhält einen guten Preis", lobt der Kreisvorsitzende.

Warum sind nun gerade Wildschweine von der Verstrahlung betroffen? Die Radioaktivität sei - so Schmidt - mittlerweile im Oberflächenbereich so gut wie abgebaut, im unteren Bereich in der Erde aber noch vorhanden. Wildschweine seien Allesfresser, die aufgrund ihrer typischen Futteraufnahme, nämlich Wühlen im Waldboden, auch nach 28 Jahren noch eventuell einer Belastung ausgesetzt seien. Auch bei Frischlingen könnten die Werte sehr hoch sein, weil sie die Nahrung durch die Muttermilch aufnehmen. Rehe und Hirsche seien aufgrund ihrer anderen Ernährungsweise dagegen kaum betroffen.


Messstationen Landkreis Kronach

Messstation Birnbaum (Forstbetrieb Rothenkirchen), Messstellen-Leiter: Alexander Schlee, Messstation Nordhalben (Forstbetrieb Nordhalben), Messstellen-Leiter: Hubert Kelle, neu: Messstation Mitwitz, Messstellen-Leiter: Christian Holoch, Messstation Ludwigsstadt, Messstellen-Leiter: Uwe Döring