Druckartikel: Endstation Erinnerung: Wie Demenzkranke im Altenheim gepflegt werden

Endstation Erinnerung: Wie Demenzkranke im Altenheim gepflegt werden


Autor: Anja Greiner

Kronach, Donnerstag, 24. Sept. 2015

Im ersten Teil der Serie geht es um Björn Müller und Elke Gampert - beide sind Pflegekräfte mit einer gerontopsychiatrischen Ausbildung im Caritas-Pflegeheim in Wallenfels. Das Ziel: Demenzkranke verstehen und sie in ihrer Welt begleiten.
An der "Bushaltestelle" im Caritas-Alten- und Pflegeheim in Wallenfels sitzt Käthe Deckelmann oft und hält Aufsicht darüber, wie sie sagt, wer in dem beschützten Wohnbereich ein und aus geht. Pflegefachkraft Björn Müller sagt: "Man muss in ihren Schuhen laufen".  Foto: Anja Greiner


Alle 4 Sekunden erkrankt weltweit ein Mensch an Demenz. In Deutschland sind derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen betroffen. Bis 2050 rechnet man mit 3 Millionen Erkrankungen. Im Rahmen der Demenzwoche beleuchten wir das Thema von unterschiedlichen Seiten. Wir begleiten Pflegekräfte im Altenheim, sprechen mit Angehörigen, die ambulante Pflege leisten und werfen einen Blick auf die aktuelle Forschung.


Wenn es im Sommer schneit, dann baut Elke Gampert einen Schneemann.
Elke Gampert ist seit 20 Jahren Altenpflegerin, seit sechs Jahren hat sie eine zusätzliche Ausbildung für den Umgang mit Demenzkranken - Schneemänner im Sommer bauen inklusive. Gerontopsychiatrie lautet der Fachbegriff. Eigentlich, sagt sie, gibt es nur eine Regel im Umgang mit Demenzkranken: Der Bewohner hat immer Recht. Die tägliche Herausforderung für die Pfleger ist es, einen Zugang zu den Betroffenen zu finden.

Man muss in seinen Schuhen gehen, sagt Björn Müller, der neben Gampert in dem kleinen Besprechungsraum im Wallenfelser Altenheim sitzt. Björn Müller ist 35 Jahre alt, Altenpfleger und im zweiten Ausbildungsjahr zur gerontopsychia trischen Fachkraft. Einmal im Monat hat Müller eine Woche Blockunterricht.

Acht Teilnehmer sind sie in dem Kurs, den es seit 2002 an der Caritas-Pflegeschule in Kronach gibt. Müller ist der einzige Mann.
Sie lernen die theoretischen Grundlagen, Krankheitsbild und Symptome. Vor allem aber lernen sie verschiedene Methoden kennen, wie sie die Welt der Demenzkranken besser verstehen können. Laienhaft könnte man es wohl wie folgt umschreiben: Wäre die Krankheit ein See, so tauchten die Menschen in jedem Stadium ein Stück weiter hinein. Irgendwann verschwimmen die Umrisse des Festlandes. Sie sind abgetaucht in eine andere Welt. Wer ihnen helfen will, darf sie nicht rausziehen. Er muss hinterherspringen. Untertauchen. Versuchen zu sehen was sie sehen. Stück für Stück. Bis zum Boden.

Wenn jemand fragt, wann kommt der Herbert? Und der Herbert ist seit 20 Jahren tot, dann sieht Elke Gampert auf ihre Uhr und sagt: "Der müsste eigentlich gleich kommen, wahrscheinlich hat der Bus Verspätung." Wenn die Hausfrau ihr Leben lang eine Kittelschürze getragen hat, dann wird sie auch im Wallenfelser Altenheim eine tragen. Milieutherapie ist der Fachbegriff.

Zu sehen auch an den Zimmertüren der Bewohner. Da steht mal der Name ausgeschrieben auf einem Foto, da hängt mal ein Bild, das einen Bauern in seinem Stall zeigt oder das Foto einer jungen Frau. Manche, sagt Pflegedienstleiterin Fabiola Maier, erkennen sich heute nicht mehr im Spiegel. Sie haben sich so in Erinnerung, wie sie mit 20 aussahen. Oder, wie der Landwirt, erinnern sich nur an eine bestimmte Tätigkeit.

Jeder Bewohner kann Möbel und Bilder von zu Hause mitbringen, es ist sogar erwünscht. Nur wenige würden das auch in Anspruch nehmen, sagt Maier und dann etwas leiser: "Der Aufwand ist den Angehörigen meist zu groß."


Der Euro und die Bomben

Es gibt eine Themenwand - eine Pinnwand hinter Glas, darin ist im August ein Strand zu sehen, Meer, darüber steht Urlaub. Es gibt eine Wohlfühlwand - da hängen in Bilderrahmen zum Anfassen Papier, Wolle, Luftpolsterfolie, Stoff und Schleifpapier. Da Ziel ist es, alle Sinne anzusprechen. Manchmal wird gebacken, nur wegen des Kuchengeruchs. Stellen Sie sich ein Seil vor, sagt Maier, in dem Seil sind Knoten an jedem Lebensabschnitt: Schule, Ausbildung, Heirat, Kinder. Die Demenz nimmt sich Stück für Stück die Knoten und die Zwischenräume. Was übrig bleibt, sind meist nur ein oder zwei prägende Erlebnisse. In der vorherigen Generation war das der Krieg.

Selten würde heute noch einer sagen, jetzt fallen die Bomben. Die Währungsumstellung und die notgedrungene Sparsamkeit in der Nachkriegszeit - das sind heute die prägenden Erinnerungen. Das Ergebnis: Es wird gehortet. Da werden Obst und Joghurt beim Frühstück für sich und die Familie eingepackt, da wird das Wurstbrot beim Abendessen eingewickelt, schnell in der Jacke verstaut bis es nach Wochen wieder vertrocknet auftaucht. Im Winter hängen schon mal uringetränkte Windeln über der Heizung. Jeder Pfennig zählt in einer Gegenwart, die längst vergangen ist.

Björn Müller setzt sich an die Bushaltestelle. Käthe Deckelmann ist schon da. Eine kleine, alte Frau, so zierlich wie eine Ballerina. Über dem rosa Pullover trägt sie einen schwarz-weißen Blazer zur schwarzen Hose. Sie strahlt diese Eleganz aus, wie sie nur alte Frauen besitzen können.

Eine Art von Perfektion, als würde alles auseinander fallen, wenn nur eine Falte, ein graues Haar anders sitzen würde. Björn Müller hört zu wie sie erzählt, dass sie hier sitze als Aufpasserin, beobachte, wer alles durch die Tür kommt. Die Tür ist der Eingang zum so genannten behüteten Wohnbereich für Bewohner mit "Weglauf-Tendenzen". Hier kommt nur durch, wer einen Schlüssel hat, neben der Tür ist eine Alarmanlage angebracht.

Die Bushaltestelle war früher in den Ortschaften der Treffpunkt für viele Ältere. Heute im Pflegeheim ist sie ein Stück Vertrautheit in der Fremde.

Pflegedienstleiterin Maier war noch nicht lange in der Einrichtung in Wallenfels, sie hatte im beschützten Wohnbereich etwas zu erledigen. Als sie wenig später wieder raus wollte, stand eine Frau neben ihr - mit Mantel, Hut und kleinem Koffer. Ob sie mit raus könne, fragte sie. Maier dachte, es wäre eine Besucherin, hielt ihr die Tür auf, da rief eine Pflegerin: Stopp! Jeden Morgen hatte die alte Frau ihren Koffer gepackt und sich abfahrbereit an die Bushaltestelle gestellt. Sie wollte nach Hause.

91 Bewohner leben in dem Altenheim, verteilt auf drei Wohngruppen. Etwa 70 davon weisen demente Züge auf. Die älteste Patientin ist 95 Jahre, die durchschnittliche Verweildauer im Heim sind dreieinhalb Jahre.

Es gibt Bewohner, sagt Maier, die sind schon seit 20 Jahren hier. Damals seien die Menschen noch früher ins Heim gekommen, heute kämen die meisten erst, wenn die Angehörigen zu Hause die Pflege nicht mehr stemmen könnten. "Der Heimaufenthalt ist teuer", sagt Maier. Rund 2000 Euro beträgt der Eigenanteil pro Monat in Wallenfels. Tendenz steigend.

Was bei der Wahl eines Pflegeheims zu beachten ist

Grundsätzlich gilt: Rechtzeitig (zum Teil gibt es Wartelisten) über die Heime in der Region informieren und einen Termin mit der Heim- oder Pflegedienstleitung vereinbaren. Im Gespräch und bei der Besichtigung sollte dann besonders auf folgende Punkte geachtet werden:

(1) Gibt es ein Pflegekonzept, das die Bedürfnisse Demenzkranker berücksichtigt?
(2) Werden die Angehörigen einbezogen, wird ihr Wissen über das Verhalten, die Vorlieben und Abneigungen des Kranken genutzt?
(3) Gibt es Angebote zur Aktivierung der Bewohner, z.B. durch Singen, Musizieren, Tanzen, Bewegung, Spazierengehen, Beschäftigung, Tiere?
(4) Atmosphäre und der Umgangston im Heim: Werden die Bewohner würdevoll behandelt?
(5) Größe und Ausstattung der Zimmer und der sanitären Einrichtungen. Dürfen eigene Möbel mitgebracht werden? Kann ein Garten genutzt werden?
(6) Wie wird mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen umgegangen?

Tipp
Unter http://pflegeheim.weisse-liste.de/gibt es die Möglichkeit, sich eine ganz individuelle Checkliste für die Pflegeheim-Auswahl zusammenzustellen. Das Thema "Betreuung bei Demenz" hat dort einen eigenen Abschnitt. Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft