Einmal Drogenhölle und zurück: Nürnberger spricht in Kronach über seine Sucht
Autor: Marian Hamacher
Kronach, Donnerstag, 02. Februar 2017
In zwei Vorträgen versuchte der Nürnberger Dominik Forster am Mittwoch in Kronach darüber aufzuklären, was das Tückische an Rauschmitteln ist.
Damit hat selbst die Spezialeinheit der Polizei nicht gerechnet. Mit gezückten Waffen stürmen die Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK) in Dominik Forsters Wohnung - und wenige Sekunden später erschrocken mit der Hand vor dem Mund wieder hinaus. Erst mit Atemschutzmasken wagt sich das SEK in den mit Schimmel und Kot verdreckten Raum. "Die haben es darin nicht ausgehalten, ich habe dort aber monatelang gewohnt", sagt Dominik Forster. "Und es hat mir nichts ausgemacht."
Weshalb? Als Antwort reicht ein Blick auf seinen damaligen Drogenkonsum. Mit fünf Gramm Speed, einem Gramm Crystal Meth und einem Gramm Koks täglich führte der inzwischen 28-Jährige seinen Körper an die Grenzen der Belastbarkeit. Dazu kamen noch Joints und Zigaretten. Da befinde man sich dann in einer völlig anderen Welt erzählt er, alles andere werde egal. 1,5 Kilogramm Speed (Amphetamin) stellte die Polizei bei ihm sicher. 30 Monate saß er dafür im Gefängnis.
Alternativ-Droge
Fünf Jahre lang nahm Forster Drogen, seit sieben Jahren hat er kein Rauschmittel mehr angefasst. Ist "clean". Den "Kick", wie der Nürnberger es nennt, suche der Körper aber noch immer. Seine neue Droge ist jedoch eine andere: Vorträge. Mehr als 300 hat er in den vergangenen Jahren an Schulen, Gefängnissen oder auf Bühnen gehalten. "Nach der ersten Stunde vor einer Klasse habe ich gemerkt, dass das meine Bestimmung ist."In Kronach kam er dieser am Mittwoch gleich zweimal nach. Morgens vor über 500 Neuntklässlern aus dem gesamten Landkreis im Kreiskulturraum, abends vor rund 80 Zuschauern unterschiedlichen Alters im Pfarrzentrum St. Johannes. "Wir haben für die Morgen-Veranstaltung sogar noch zwei Klassen aus Platzgründen absagen müssen", sagt Nadine Förtsch vom Kreisjugendamt, das die beiden Vorstellungen veranstaltete.
Zu berichten hat Forster einiges: Von seinem Weg vom Süchtigen zum Drogendealer hin zu seinen Erlebnissen im Gefängnis. Intensiv wird es aber, sobald er anfängt, über die Wirkungen der unterschiedlichsten Mittel zu sprechen. Meist frei von der Leber, besonders eindrückliche Erlebnisse liest er aus seinem Buch "crystal.klar" vor, in dem er seine Erfahrungen aufgeschrieben hat. "Darin beschreibe ich bestimmt 20 Szenen, in denen ich eigentlich hätte sterben müssen, aber irgendwie überlebt habe", sagt Forster. "Dank der Vorträge weiß ich jetzt auch, warum."
Zwischen Traum und Realität
Äußerlich ist ihm seine Suchtvergangenheit nicht anzumerken. In seinem blau-geringelten Pullover, mit der schwarzen Kurzhaarfrisur mit farblich passender Brille sowie leicht geröteten Wangen, wirkt er längst wie ein gut motivierter Referendar. Völlig in seinem Element.Inzwischen hat er seine eigenen Erklärungen dafür gefunden, wie passieren konnte, was er durchlebte. Etwa die tägliche Suche nach Käfern unter seiner Haut. Mit einer Nagelschere versuchte Forster, in seiner Paranoia die imaginären Tiere herauszustechen. Stundenlang. Denn Zeit hatte er. "Mein Rekord waren 13 Tage ohne Schlaf . Da ist man total zerstört. Ich glaube, dass der Kopf dann irgendwann nicht mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden kann und die Albträume in die Wirklichkeit transportiert", vermutet er.
Glücklich sei er trotzdem gewesen - jedenfalls in der Anfangszeit seiner Sucht. "Irgendwann kommt der Punkt, an dem du auf dem Höhepunkt bist, dann geht es bergab", sagt Forster. Das komme zwangsläufig. Doch gerade der erste Teil bleibe Abhängigen im Gedächtnis. Der, in dem es scheinbar keine Grenzen gebe, das Gefühl den Körper beherrsche, um die Welt joggen zu können.
Es gebe für jeden die passende Droge. "Fang' mit einer an und sie wird dir gefallen", warnt er. "Das ist ja das Tückische. Am Anfang ist alles geil. Sie macht dich von einem Spast zum Superhelden." Und das sei er gewesen, ein "Spast"- ein Verlierer. Gemobbt von den Mitschülern in der neuen Schule. Zwar sei sein Vater alkohol- und seine Mutter tablettenabhängig gewesen, eine glückliche Kindheit habe er dennoch gehabt.
Die endete mit 13 Jahren. Nach einem Schulwechsel fehlten plötzlich die Freunde, aus dem fröhlichen Kind wurde ein Mobbing-Opfer. Vier Jahre später aus dem "Spast" nach der Einnahme von Speed ein "Superheld" - der sich wieder glücklich und stark fühlte. Ein "Superheld" aber, zu dessen Alltag es wurde, sich Schleimpfropfen aus dem Hals zu ziehen. Ablagerungen der geschnupften Drogen. "Das war eine ganz normale Handbewegung für mich geworden, sonst wäre ich erstickt."
Dass Drogen schädlich sind, müsse er angesichts seiner Schilderungen wohl nicht mehr extra betonen, bemerkt Forster. Falls Jugendliche dadurch noch nicht abgeschreckt sind, werden sie es wohl spätestens sein, sobald der Ex-Junkie von den Folgen erzählt, unter denen er noch heute leidet - und die er wohl auch nicht mehr loswerden wird.
An der Grenze des Erträglichen
Neben einer kaputten Bauchspeicheldrüse oder einem gestörten Kurzzeitgedächtnis wäre da auch noch eine Posttraumatische Belastungsstörung. "Jedes Mal, wenn ich die eine Türklingel höre, denke ich, dass ein Psychopath vor der Tür steht, um mich zu töten." Völlig unbegründet sei die Sorge nicht. Misshandlungen an der Grenze des Erträglichen habe er während seiner Sucht oder im Gefängnis in Nürnberg erlebt, waren oftmals Alltag. "Meine Traumatherapeutin hat die Therapie abgebrochen, weil sie meine Erlebnisse nicht mehr ertragen konnte, es ihr zu nah ging", erzählt er. Die Weiche auf das Gleis, das ihn aus der Sucht führte, stellte ihm der Sozialpädagoge Norbert Wittmann mit dessen Programm "Über den Berg".
Nun versucht Forster mit seinen Vorträgen dafür zu sorgen, dass Jugendliche diesen beschwerlichen Weg, der oft auch im Tod endet, gar nicht erst beschreiten müssen. Damit hätte er wohl selbst vor rund acht Jahren nicht gerechnet.