Eine Frage des Bratwurst-Glaubens
Autor: Bastian Sünkel
Kronach, Mittwoch, 21. Oktober 2020
Evangelisch oder katholisch? Längsschnitt oder Coburgerisch "von oben"? Die Bratwurst ist im Landkreis Kronach nicht nur Tradition, sondern auch ein Streitthema. Zwei beliebte Fleischhandwerker - einer grob, der andere fein - sprechen über ihr Geheimnis der perfekten Paar im Semmerla.
Regelrechte Hetzschriften finden sich im Internet, wie sie zu Zeiten der Reformation kaum hätten heftiger formuliert werden können. Es ist von einem Richtig und einem Falsch die Rede. Von geschmacklichen Verirrungen und keinen zwei Meinungen: Eine Bratwurst ist gut, die andere schlecht. Es kommt nur darauf an, welcher Konfession, Verzeihung, welchem Landkreis der Wurstfreund angehört.
Glaubensdifferenzen am Grill
Zwischen Kronach und Coburg gibt es die groben und feinen Gerüchte: In den katholischen Regionen sind die Bratwürste fein. Sie zergehen wie Hostien auf der Zunge. In Coburg bis nach Thüringen herrscht das grobe Kaliber. 31-Zentimeter-lange, nach dem Maß des Heiligen Mauritius auf dem Rathaus berechnete Prügel, werden in eine von oben geteilte Semmel, ein halbes Doppelbrötchen, gezwickt. Es gibt etliche Theorien und Rezepte zu beiden Seiten der Bratwurstgrenze. Grob, weil die Protestanten das Feinhacken mit dem Kutter als unnötigen Tand und Luxus betrachtet haben. Oder: Katholiken waren vermögender. Sie schafften sich als erste zu ihren alten, grobschlächtigen Fleischwölfen den kleinhäckselnden Kutter an. Und weil es noch nicht reicht: Sogar der Fränkische Rechen wird unter das Geflecht aus Verschwörungstheorien und Tatsachen um die Bratwurst verwurstet. Der Rechen besteht laut Bratwurstrezept aus Rot und Weiß, aus möglichst gleichen Anteilen rotem Magerfleisch und weißem Speck.
Wie sieht das in der Praxis aus? Die gute Nachricht für alle Katholiken vorneweg: Weder Stefan Hopf noch Robert Bayerkuhnlein schneiden ihre Semmeln von oben auf. Und das, obwohl Hopf erfolgreich die Coburger Bratwurst früher in Johannisthal, nun seit neun Jahren in Küps brät und verkauft. Er ist stolz auf seine Groben aus der Residenzstadt. Aber die Brötchen anders aufschneiden? "Wir schneiden die Semmeln morgens alle längs auf. Coburger Kunden müssen wir hin und wieder enttäuschen." Woher kommt eigentlich der unterschiedliche Schnitt? Stefan Hopf sagt, dass die Semmel in Coburg mehr Beiwerk ist. Haben die Coburger früher ihr Gebäckstück nach dem Verzehr der Wurst nicht weggeschmissen? Die Frage lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit beantworten. Manche Traditionen bedürfen keiner Erklärung.
Sein Vater hat als Besitzer der Gastwirtschaft Hopf in Johannisthal 1990 einen Bratwurststand eröffnet, um Coburger zu verkaufen. Der Grund dafür klingt recht pragmatisch: "In Kronach gab es ja sonst nur Feine." Der Sohn blieb dabei. Ihm schmeckt das Würzige, das Rauchige, gebraten auf Buchenholz. "Feine sind mir geschmacklich oft zu leer." Seine Würste bekommt er auch aus Coburg: "Die Rezeptur wird immer mal wieder angepasst." Stefan Hopf baut auf Tradition. An seiner Wurst verändert sich seit Jahren, wenn überhaupt, nur der Gewürzanteil, sagt er. Er hat seinen Handel, verkauft die Würste auch verpackt und in fünf Rewe-Filialen. Selbstbewusst sagt er: "Wer einmal bei mir war, kommt wieder."
Robert Bayerkuhnlein, 49, der Inhaber der Traditionsmetzgerei Höring in Kronach, liebt die Feinen, die Katholischen. Die seien bekömmlicher, sagt er, während er den Saitling befüllt. Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen den Coburgern und den Kronacher Bratwürsten: Die grobe Masse wird in den Bändel, also in den Schweinedarm, gefüllt. Die Feinen in den Saitling, den Schafsdarm.
Das Geheimnis der Bratwurst
Das machen viele Metzger. Aber was ist das Geheimnis der beliebten Höringswürste? "Unsere Würste sind über die Jahre gewachsen", sagt der Kronacher Metzger. Sein Schwiegervater Rudi Höring hat die Rezeptur entwickelt. Fein, aber nicht ganz so fein wie die Kulmbacher. Nicht die gesamte Masse wird bei ihm gekuttert, sondern 70 Prozent aus dem Fleischwolf vermengt. Auf den Glauben übertragen: Es klingt und schmeckt nach Ökumene, eine Annäherung ans Grobe.
Aber es gibt den Punkt, der nicht überschritten wird. Die Semmel von oben aufschneiden? "Auf keinen Fall", schießt es aus Robert Bayerkuhnlein heraus, als wäre das Blasphemie. Und auch in einem weiteren Punkt sind sich die beiden einig. Keiner möchte auf die Bratwurst der anderen Konfession verzichten. Das wiederum ist ein fränkisches Glaubensbekenntnis.