Ein Nuklearmediziner kritisiert die Notdienst-Reform
Autor: Hendrik Steffens
Kronach, Donnerstag, 26. März 2015
Ab April sollen in Bayern alle Fachärzte in den medizinischen Bereitschaftsdienst einbezogen werden. Auch solche, die mit Allgemeinmedizin in ihrem Alltag faktisch nichts zu tun haben. Ein Kronacher Nuklearmediziner wehrt sich.
ennt jeder - aber nicht jeder kann mögliche Symptome deuten. Dass Stefan Lerch regelmäßig Patienten auf ähnliche Weise untersuchte, ist ein Weilchen her. So um die 20 Jahre, schätzt er. Doch wenn es nach der jüngsten Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Bayern geht, soll der Nuklearmediziner genau das ab April wieder tun. Als "völligen Unsinn" und "gefährlich" bezeichnet der Kronacher Facharzt das Konzept.
Lerchs Arbeitsalltag hat mit dem eines Allgemeinmediziners wenig gemein. Der Arzt hat mit strahlungsbasierter Diagnostik und Therapie zu tun. Er setzt bildgebende Verfahren - Szintigrafie - ein und wertet die Ergebnisse aus. Mit den "klassischen" Methoden zur Ursachensuche bei Schmerzen, Fieber, Übelkeit hat das wenig zu tun.
Grundsätzlich verlangt die Rechtsprechung von Fachärzten eine regelmäßige Fortbildungspflicht im Bereich der Notfallmedizin. Trotzdem würde Lerch, mangels Routine, ungern allgemeinmedizinische Diagnosen stellen. Doch das müsste er bald wieder.
Reform des Bereitschaftsdienstes
Ab April werden auch bisher dienstbereite Gruppen von Fachärzten in den Allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst einbezogen. Dazu gehören auch Radiologen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Psychiater (eine vollständige Liste lesen Sie weiter unten).
Die Bereitschaftsdienstordnung ist von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) beschlossen worden und am 20. April 2013 in Kraft getreten. Sie gilt - nach einer Übergangszeit von zwei Jahren - ab April verpflichtend.
Die Verstärkung des Bereitschaftsdienstes soll diejenigen Ärzte entlasten, die bislang schon Bereitschaftsdienste leisten mussten. "Vor dem Hintergrund eines zunehmenden ärztlichen Nachwuchsmangels war es unumgänglich, auch die bisher vom Dienst befreiten Fachgruppen mit einzubeziehen", hieß es von der KVB.
Diagnose eines Pathologen?
"Für diejenigen, die sich das ausgedacht haben, ist jeder Arzt ein Arzt", sagt Uwe Fleischmann, Chefarzt der Anästhesie der Frankenwaldklinik, und Vorsitzender des Kronacher Kreisverbands des Ärztlichen Bezirksverbands Oberfranken.
Man müsse sich fragen, "wie sinnvoll es ist, wenn ein Radiologe, der seit 20 Jahren Bilder auswertet, einen Säugling mit Fieber untersucht", meint Fleischmann. Oder ob ein Pathologe eine große Hilfe sei, wenn es darum gehe, eine Nierenkolik bei einem lebenden Patienten zu erkennen. Selbst wenn die betreffenden Ärzte zusätzlich fortgebildet würden, wie es die KVB vorsieht.
Hier hakt die KVB ein: Ärztlicher Bereitschaftsdienst dürfe nicht mit der notärztlichen Versorgung verwechselt werden. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen sei ein Notarzt zu verständigen. Der Ärztliche Bereitschaftsdienst sorge für Patienten, die nicht lebensbedrohlich erkrankt sind, deren Behandlung jedoch nicht bis zur regulären Sprechstunde warten könne. In der Realität sind diese Fälle jedoch nicht immer klar zu trennen, fürchten manche Experten.
Würde den Rahmen sprengen
Im Kreis Kronach wird die Neuregelung nur in geringem Maße spürbar sein. Grund ist, dass es hier nur wenige Fachärzte aus Gruppen gibt, die bislang vom Bereitschaftsdienst ausgenommen waren.
Stefan Lerch hilft das freilich wenig. Der Nuklearmediziner hat von der Kassenärztlichen Vereinigung mehrere Schreiben bekommen: mit Angeboten, wie er sich in Wochenendkursen fortbilden könne. Mit je mehreren hundert Euro sind die Kurse teuer. Und zeitaufwendig. "Ich bilde mich ohnehin in relativ engen Zeitabständen in der Nuklearmedizin fort - was auch nicht billig ist - und besuche Kongresse", sagt Lerch.
Zusätzliche Fortbildungen für den Bereitschaftsdienst zu besuchen, das "würde meinen zeitlichen und finanziellen Rahmen sprengen". Auch sei seine Praxis auf Szintigrafie ausgelegt. Nicht aber auf die Erfordernisse der "neuen" Aufgaben. Diagnosesoftware, diverses Besteck, Verbandszeug, eine Grundausstattung mit Medikamenten. All das müsse er neu anschaffen, meint Lerch. Er wehrt sich deshalb gegen seinen Einbezug in den Bereitschaftsdienst.
Für Ärzte, die von der Bereitschaft ausgenommen werden wollen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Kollegen an ihrer Stelle zu beauftragen. "Aber die werden Sie bei uns nicht immer in ausreichender Zahl finden", gibt er zu bedenken. Außerdem sei auch diese Lösung teuer.
Der Kronacher Mediziner hat an die Landesärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung geschrieben. Er gebe lieber seine Kassenzulassung ab und arbeite als Angestellter oder Honorararzt, als sich auf die Neuerung einzulassen. Zu groß sind seine Vorbehalte in Sachen Gefahr für das Patientenwohl und Wirtschaftlichkeit. Ob er befreit wird, muss sich zeigen. In Ausnahmefällen ist es möglich.
Diese Ärzte waren bislang ausgenommen
Befreiung In Bayern waren bislang vom Bereitschaftsdienst befreit:
• Fachärzte für Humangenetik
• Fachärzte für Laboratoriumsmedizin
• Fachärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
• Fachärzte für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
• Fachärzte für Neurochirurgie
• Fachärzte für Nuklearmedizin
• Fachärzte für Pathologie / Neuropathologie
• Fachärzte für Radiologie
• Fachärzte für Strahlentherapie
• Fachärzte für Transfusionsmedizin
• Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
• Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
• Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin
• Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Dienstgruppen Zirka 2500 Ärzte in Bayern gehören diesen bislang noch nicht verpflichteten Dienstgruppen an.
Einbindung Die künftige Einbindung bisher dienstbefreiter Vertragsärzte in den Allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst erfolgt nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren ab Inkrafttreten der Bereitschaftsdienstordnung (April 2015) für alle bereits im April 201