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Ein letzter Gang mit Würde? Hinter den Kulissen des Kronacher Schlachthofs


Autor: Sandra Hackenberg

Kronach, Samstag, 22. August 2020

Vadim Zamanov und seine Kollegen schlachten in Kronach jede Woche alleine rund 460 Schweine, damit die Menschen Fleisch essen können. Es ist ein harter Job. Und hart sind auch die Zeiten für den privat geführten Schlachthof geworden. Eine Reportage von Sandra Hackenberg
Die letzten Meter im Leben der Schweine. Hinter der Klappe ist die Tötungsfalle. Foto: Sandra Hackenberg


Schlachttag ist erst morgen. Doch dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Schweinestall handelt, liegt trotzdem in der Luft. Anfangs noch subtil unter dem typischen Bauernhofgeruch verborgen, setzt es sich mit der Zeit auf der Haut und in der Kleidung fest, kratzt irgendwann im Rachen und will auch Stunden später nicht weggehen. Das hier ist der letzte Stall, in dem die Eber, Ferkel und Muttertiere stehen, trinken und fressen, bevor sie ihren letzten Gang hinter die unscheinbare Klappe antreten und ihr Leben binnen eines flüchtigen Moments endet. Schweine sind intelligent. Ob sie ahnen, was sie erwartet?

Gerald Bayer glaubt das nicht. "Die Schweine werden häufig bereits einen Tag, bevor sie geschlachtet werden, angeliefert", erklärt der Metzgermeister. So sollen sie sich an die ungewohnte Umgebung gewöhnen. "Wir versuchen, ihnen die letzten Stunden so angenehm wie möglich zu machen."

Ein Schwein spielt mit einem Volleyball. Es sei ein wenig rebellisch, erklärt der Obermeister der Kronacher Fleischerinnung, Eberhard Kraus, und zuckt mit den Schultern. "Das ist bei den Schweinen wie bei den Menschen. Sie stehen zusammen im selben Stall und können sich doch nicht riechen." Zuvor hat es einen Artgenossen attackiert. Die Ablenkung zeigt jedoch ihre Wirkung.

Kraus bringt seine Tiere seit Jahr und Tag in den örtlichen Schlachthof. Er kennt das Prozedere und weiß, dass es sein muss. Ein Tier schaut ihm in die Augen. "Das fällt mir trotzdem jedes Mal schwer."

In den Kronacher Schlachthof werden überwiegend Schweine und Rinder gebracht, gelegentlich ein Pferd oder ein Schaf. 30 Metzger aus dem Kreis Kronach, darunter die Väter der heutigen Mitglieder, haben den Betrieb am Ortsrand 1995 aufgebaut. Neben kommunalen Zuschüssen wurde vor allem das eigene Geld investiert.

Die Kunden kommen bis aus Jena und Lichtenfels, doch die Zeiten sind hart geworden. Während Massenschlachthäuser, in denen getötet wird wie am Fließband, möglichst viel Gewinn erzielen wollen, geht es hier um kurze Wege für die heimischen Metzger und ihre Tiere - und darum, die laufenden Kosten zu decken. Doch es sind immer weniger Metzger und Landwirte geworden. Und so wird auch weniger geschlachtet.

Alleine 1200 Schweine pro Woche wurden hier noch vor wenigen Jahren angeliefert, inzwischen sind es ungefähr noch 460. Immer größer werdende Agrargenossenschaften wollen immer günstiger schlachten. Da kann der Kronacher Betrieb, der im Gegensatz zum Kulmbacher Schlachthof nicht städtisch, sondern von den Metzgern aus der Umgebung geführt wird, nur schwer mithalten. Von den einst 30 Mitgliedern sind noch 20 übrig.

Wenn der Moment gekommen ist, werden die Tiere einzeln durch einen schmalen Gang in die Tötungsfalle geführt - entlang von weiß gekachelten Wänden, die nicht mehr weiß sind. Wird denn im Schlachthof nicht sauber gearbeitet? "Für die Tiere ist diese Umgebung ungewohnt, und schneeweiße Wände würden sie zusätzlich erschrecken", klärt Kraus auf. Darum soll es im Stall auch nicht nach Desinfektionsmittel riechen.

Hinter der Klappe am Ende des Gangs darf es nicht mehr nach Stall riechen: Hier beginnt der sterile Weiß-Bereich - und das endlose Weiß der Wände sticht im Auge. Jetzt spürt auch das Tier, das etwas nicht stimmt. Da setzt jedoch schon die Betäubung ein. Rinder werden mit einem Bolzenschuss in die Stirn narkotisiert, Schweine mit einem Stromschlag von bis zu vier Ampere.

Diese psychisch belastende Aufgabe kann keine Maschine übernehmen, die sich ein kleiner, privat geführter Schlachthof leisten kann. Männer wie Vadim Zamanov erledigen sie. "Einer muss den Job machen." Eine inzwischen abgedroschene Floskel, die aber nur in diesem Zusammenhang ihre Berechtigung hat.Wenn sie den genauso emotionslosen wie natürlichen und urzeitlichen Vorgang beschreibt, das Leben eines Tiers zu beenden, um an sein Fleisch zu kommen. "Jeder will Steak und Bratwurst haben. Die Tiere werden für diesen Zweck gezüchtet. Man muss da drüber stehen", bekräftigt Zamanov. Die Art, wie er das sagt, vermittelt einen Eindruck davon, wie schwer es dennoch fällt.

Ein Ende mit WürdeMit Tieren ist er in Kasachstan großgeworden, seine Oma hat auf einem Bauernhof gearbeitet, und dorthin hat sie ihn früher oft mitgenommen. Es gibt eine andere Art, Schweine anstatt mit Elektroschocks zu töten: Vier Tiere werden in eine Gaskammer gestellt, dann wird sie mit Kohlenmonoxid befüllt. Bis die Schweine bewusstlos werden, dauert es vier Minuten. Vier Minuten Schreie - und, Zamanov hat es in Kasachstan selbst erlebt: vier Minuten Qual.

Die Methode ist in Deutschland zugelassen und wird auch angewandt, vor allem in den Großbetrieben. Kohlenmonoxid ist günstig.

Eingestellt wurde Zamanov vor sechs Monaten als Schlosser. Inzwischen steht er häufig an der Tötungsfalle für die Schweine. "Doch bei CO2 hätte ich gesagt: Das mache ich nicht." Ob er noch Mitgefühl mit den Tieren habe, fragt ihn die Reporterin, und mit ernstem Blick antwortet er: "Natürlich, bei jedem einzelnen. Ich will, dass kein Tier hier unnötig leiden muss." Weder er noch seine Kollegen, die schlachten, wollen das. Das oberste Gebot, an das sich jeder hier hält.

Welche Art, ein Tier zu töten, ist vertretbar? Auf diese Frage liefern Gesetze ständig neue Antworten. Die Technik im Kronacher Schlachthof ist mitunter so alt wie das Gebäude selbst. Zuletzt hätte die Tötungsanlage für die Schweine ausgetauscht werden müssen. Denn vor allem kleinere Schweine konnten die Mitarbeiter mitunter nur schwer mit der Stromzange greifen, durch die das Tier binnen weniger Sekunden betäubt wird. 90 000 Euro, die der Schlachthof nicht hat.

Kurzerhand haben die Mitarbeiter ein Brett in die Anlage gebaut, dass bei Bedarf hochgeklappt wird und dafür sorgt, dass kleinere Schweine nicht zurückweichen können. Eine Dauerlösung ist das nicht, doch der Betrieb kann vorerst weitergehen. "Die Anlage muss trotzdem zeitnah erneuert werden", erklärt der Obermeister der Fleischerinnung. Wie sie die Investition stemmen sollen, wissen die Mitglieder derzeit noch nicht.

In einem kommunalen Betrieb kommen solche Probleme oft gar nicht erst auf: Der Kulmbacher Schlachthof bekommt gerade eine neue Kühlanlage für 500 000 Euro.

Mehrmals stand der Kronacher Schlachthof in den vergangenen Jahren kurz vor dem Aus. Bislang konnten die Metzger das Ruder immer herumreißen. Mal ist ein Metzger mit einem Darlehen in die Bresche gesprungen, mal hat sich der Betrieb selbst neu erfunden. "Den Zerlegebetrieb hat früher eine externe Firma übernommen", erinnert sich der Vorsitzende der Kronacher Fleischerinnung. Doch die sind alle nacheinander pleite gegangen.

Ein Betrieb erfindet sich ständig neuAlso haben die Mitglieder das Zerlegen 2012 selbst übernommen. Das Fleisch, das die Mitglieder und Kunden nicht selbst benötigen, wird direkt im Schlachthof in einem Stück verkauft. Ein Kilo Schweinelende für 5,90 Euro, 1000 Gramm Schweinelachs für 4,40 Euro. Das Geschäft laufe im Großen und Ganzen gut, sagt Kraus. "Darüber finanzieren wir uns auch ein großes Stück weit."

Vorerst geht der Betrieb im Kronacher Schlachthof weiter. Die finanziellen Sorgen bleiben. Doch es gibt Hoffnung: Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat jüngst einen bundesweiten Umbau der Schlachthof-Strukturen nach bayerischem Vorbild gefordert. Kurze Wege und regionale Wertschöpfungsketten seien das Gebot der Stunde.

Die nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angekündigte Agrarwende, sie könnte die Rettung für den Kronacher Schlachthof sein, der schon seit 25 Jahren das umsetzt, was sich die Regierung nun wünscht: Wenn Tiere sterben müssen, damit die Menschen Fleisch essen können, sollten sie das mit Würde tun dürfen.