Druckartikel: Ehefrau als notorische Lügnerin bezeichnet

Ehefrau als notorische Lügnerin bezeichnet


Autor: Marco Meißner

Wallenfels, Dienstag, 12. Juli 2016

Seit Dienstag stehen Andrea G. und ihr Mann vor Gericht. Der Ehemann bezeichnet am ersten Verhandlungstag seine Frau als notorische Lügnerin.
Johann G. (Zweiter von rechts) ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Vor Gericht äußerte er sich zum Verhältnis zu seiner Frau, die sich wegen Mordes verantworten muss. Foto: Ronald Rinklef


Andrea G. sitzt ruhig zwischen ihren beiden Verteidigern. Mit einem aufgeklappten Ordner vor dem Gesicht lässt die Wallenfelserin zu Beginn des Verfahrens das Blitzlichtgewitter im Coburger Gerichtssaal über sich ergehen. Das Interesse der Medien ist groß. Kamerateams, Fotografen, Reporter sind angerückt, weil der Hausfrau vierfacher Mord an ihren eigenen Neugeborenen vorgeworfen wird. Ihr Ehemann Johann G. sitzt drei Plätze weiter. Er hat seine Schildmütze tief ins Gesicht gezogen. Seine Finger und Füße bewegen sich nervös. Der 55-Jährige ist der Beihilfe zum Mord angeklagt.

Welche Rolle hat Johann G. bei den Taten gespielt? Diese Frage haben sich auch viele Bürger seitdem gestellt. Der Angeklagte wollte keine Stellung zur Sache nehmen, nur über seine Lebensumstände berichten. Man habe oft getrennt voneinander geschlafen, sagte er über die Beziehung zu seiner "Noch-Frau". Der 55-Jährige, der wie seine Frau zwei Kinder mit in die Ehe brachte, ging auch darauf ein, dass ihm seine ersten gemeinsamen Kinder mit Andrea G. erst nach einigen Monaten als "seine" präsentiert worden seien.

Während er zu den Vorwürfen gegen sich selbst keine Angaben machen wollte, sprach er sehr wohl über das Verhalten von Andrea G. "Sie ist eine notorische Lügnerin", schimpfte er über verschwundene Post, nicht bezahlte Rechnungen oder geklaute Geldbörsen und Sparbücher aus dem Familienkreis. Nie habe sie zu solchen Taten gestanden; sie habe andere beschuldigt und ihm Schulden hinterlassen. Über 50 Müllsäcke mit noch etikettierter Kleidung für seine Frau und die Kinder habe er einmal aus der Wohnung geschafft, dazwischen wichtige Unterlagen gefunden, die ihm zuvor nie zu Gesicht gekommen seien.

Johann G. widersprach dem Eindruck, das Ehepaar könnte ein Alkoholproblem gehabt haben. Beide seien zwar ein-, zweimal pro Woche ausgegangen, und "sie hat immer ein Bier mehr getrunken als ich", doch daheim habe man keinen Alkohol gebraucht. Und man habe auch nicht zurückgezogen gelebt. Er beteuerte: "Wir waren voll in der Öffentlichkeit." Auch seine Frau sei gerne unter Menschen gegangen. Den Haushalt habe die 45-Jährige eher schlecht als recht geführt, zu den Kindern habe sie ein "normales Verhältnis" gehabt.

Die Lügen seiner Frau hätten den 55-Jährigen dann allerdings immer stärker belastet. Deshalb sei er seit August 2015 in psychiatrischer Behandlung. "Ich war mit den Nerven durch", sagte er. Mehr und mehr habe sich das Paar über die Jahre entfremdet.


Die Verteidiger sprechen

Andrea G. selbst überließ es ihren Verteidigern Till Wagler und Julia Gremmelmaier, Antworten zu geben. Während die Anwälte die Stellungnahmen abgaben, saß die Angeklagte da, den Kopf leicht gesenkt, Stirn und Wange auf die gespreizten Finger gestützt. Kein Blick ging in den Saal, wo mehr als 30 Zuhörer und 20 Journalisten dem etwa achtstündigen Prozessverlauf folgten. Das sollte sich den ganzen Tag über nicht ändern.

Wagler stellte fest, dass die Wallenfelserin kaum in der Lage sei, frei heraus über die Vorfälle zu sprechen, über die acht Geburten, die sie allein zu Hause gehabt haben soll. "Meine Mandantin ist sehr verschlossen", beteuerte der Anwalt. Dass ihr Mann erbost über eine erneute Schwangerschaft nach dem dritten gemeinsamen Kind gewesen sei, sie zur Abtreibung und Sterilisation zur Klinik gefahren habe, habe sie "am Boden zerstört". Sie habe die Eingriffe nicht vornehmen lassen, sich stattdessen in ein Ignorieren und Verdrängen dieser und der folgenden Schwangerschaften geflüchtet. Die Kinder habe sie zu Hause zur Welt gebracht; einige von ihnen seien still gewesen, einige schreiend zur Welt gekommen. Sie habe die Kleinen alle in Tücher gewickelt und den Schreienden die Handtücher aufs Gesicht gepresst.

"Die Gefühle und der Vorgang wiederholten sich immer ähnlich", so Wagler. Mit der Zeit habe sich seine Mandantin in den Alkohol und zu Hause in ein Zurückziehen geflüchtet. Die Beziehung zu Johann G. sei zerbrochen, ein anderer Mann in ihr Leben getreten. Letztlich sei sie aber froh gewesen, dass ihr dunkles Geheimnis aufgedeckt wurde. Das sei auch eine Art Befreiung für sie gewesen.

"Wie kann eine Mutter das ihren Neugeborenen antun", rätselte eine Zuhörerin während einer Sitzungsunterbrechung. Und eine andere Frau meinte empört: "Wenn sie gemeinsam das Bad benutzt haben, dann muss man doch gemerkt haben, dass da etwas zappelt." Die folgenden Zeugenaussagen sprachen jedoch dagegen. Immer wieder war aus der Verwandtschaft der Angeklagten zu hören, dass man ihr die Schwangerschaften nicht angemerkt habe. Doch es gab auch viele Vorwürfe gegen die 45-Jährige aus dem engsten Familienkreis.

Die Stieftochter von Andrea G. rang immer wieder mit den Tränen, als sie von der Entdeckung der Babyleichen sprach. Sie habe die Angeklagte zuvor aus dem Haus geworfen, weil diese ihren Vater betrogen und die Familie kaputt gemacht habe. Die Angeklagte sei nämlich alles andere als eine gute Mutter gewesen.

Beim "Ausmisten" nach dem Rauswurf kamen die Gedanken der Stieftochter wieder auf eine frühere "Aussage im Rausch" der Angeklagten. Zwar habe die 45-Jährige eine heimliche Geburt schon am Tag darauf wieder verleugnet, doch die jüngere Frau befürchtete, dass ein Funken Wahrheit an der Geschichte der Stiefmutter sein könnte. Beim Durchsuchen der Wohnung sei sie mit einer Freundin im längst nicht mehr genutzten Sauna-Raum auf eine stinkende Kiste gestoßen. "Ich konnte dann nicht weitermachen, weil ich wusste, dass ich gefunden hatte, was ich nicht finden wollte", stellte die Zeugin fest.

Eine weitere Bekannte habe dann den Blick hinein gewagt, den sich selbst der Vater offenbar nicht zugetraut habe. "Sie hat ausgeräumt und mir ein Stück von einem Babykopf hingehalten", erinnerte sich die Stieftochter mit stockendem Atem. Daraufhin begannen die Ermittlungen der Polizei. "Ich hätte mir gewünscht, dass ich's nicht gefunden hätte", beteuerte die Zeugin, die kein allzu gutes Verhältnis zur Angeklagten beschrieb. "Wer denkt denn schon, dass er mit einer Mörderin unter einem Dach wohnt."

Auch die Freundin, die beim Leichenfund dabei war, habe der Angeklagten diese Tat nicht zugetraut. Soweit sie gehört habe, soll die Angeklagte Schwangerschaftsanzeichen mit der angeblichen Einnahme von Hormonpräparaten erklärt haben. Johann G. habe nie abfällig über seine Frau gesprochen, ergänzte sie, als sie auf das Scheitern der Ehe einging.

Der Stiefsohn der Angeklagten erzählte, dass Andrea G. zeitweise "weite Klamotten" getragen habe. Weil die 45-Jährige von einer Sterilisation berichtet habe, habe er sich jedoch keine Gedanken wegen einer Schwangerschaft gemacht. Dass der Zeuge die genauen Umstände des Gesprächs vor rund zehn Jahren über die angebliche Sterilisation nicht mehr schildern konnte, ließ bei Verteidiger Till Wagler Zweifel an der Glaubwürdigkeit keimen.


"Ewige Lügen"

Der Rechtsanwalt sprach sich auch dagegen aus, die früheren Vernehmungen des Ex-Mannes der Angeklagten und der beiden Kinder, die sie mit ihm hatte, für die Verhandlung zuzulassen. Eine Aussage vor Gericht verweigerten diese drei Personen. Vorsitzender Richter Christoph Gillot ließ die alten Aussagen jedoch zu. Darin wurde die Angeklagte als kaufsüchtig, lügnerisch und zweifelhafte Mutter dargestellt. Der Bruder der 45-Jährigen ging darauf ein, dass seine Schwester alle Hilfeangebote ausgeschlagen habe. Schluchzend sprach er von "ewigen Lügen", welche die Geschwister immer weiter auseinandergebracht hätten.

Noch deutlicher wurde die Mutter der Angeklagten, die den Vorwürfen ihrer Tochter zu deren Kindheit ("eine Beziehung von Kälte und Strenge geprägt") widersprach. Die Seniorin wetterte los: "Sie sagt nur Lügen! Sie hat gar keinen Charakter!" Dabei habe ihre Tochter zu Hause alles bekommen. "Sie hat mein Leben zerstört, sie hat das Leben meiner Enkelchen zerstört", schimpfte die Mutter, die ihre Tochter gar als "saufrech" und als "eiskalte Mörderin" bezeichnete.

Seit der Ehe mit ihrem zweiten Mann habe die 45-Jährige sich immer mehr von ihrer Mutter abgewandt. Ihre Tochter sei nur noch auf Geld aus gewesen, habe Klamotten gekauft und gehortet und auf heile Welt gemacht, betonte die Zeugin. Für ihre Kinder habe sie nichts übrig gehabt.