Druckartikel: Donnerhall des Regierungsstreits grollt auch über Kronachern

Donnerhall des Regierungsstreits grollt auch über Kronachern


Autor: Marco Meißner

Kronach, Dienstag, 03. Juli 2018

Der Merkel-Seehofer-Konflikt in der Regierung hinterlässt seine Spuren auch im Kreis Kronach.


Als Betriebsseelsorger weiß Eckhard Schneider, wie der Bürger im Frankenwald tickt. Er steht bei Arbeitern, Angestellten und Unternehmern auf der Matte. Auch am Dienstag war er wieder in Betrieben bei Versammlungen. Sehr oft wird dann die tagesaktuelle Politik als Einstieg aufgegriffen. Diesmal nicht! "Das Thema Seehofer/Merkel wurde nicht mit einer Silbe erwähnt", betont Schneider. Und warum? "Die Leute sind dieser Sache müde. Sie haben die Schnauze voll."

Der Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) hinterlässt seiner Auffassung nach Spuren in Volkes Seele. In seinen Gesprächen stellt Schneider fest, dass den Menschen im Hickhack um die Flüchtlingspolitik das Konkrete fehlt. Und sie stören sich am Umgangston in Berlin. "Früher wurde die Politik in den Betrieben angeführt, wenn es um die Streitkultur ging. Und jetzt? Nix!"


Entfernt sich Politik vom Wähler?

Die große Politik entfernt sich seiner Ansicht nach zunehmend vom Bürger, im Gegenzug erkennt er, dass populistische Themen immer salonfähiger werden. Deshalb befürchtet er, dass es bei der Landtagswahl wieder ein blaues Auge für die traditionellen Parteien geben könnte.

Und wie sehen die heimischen Vertreter eben dieser Parteien die aktuelle Situation. Für SPD-Kreisvorsitzenden Ralf Pohl ist zur Asylfrage klar: "Das Thema spielt in der Wählerschaft schon eine Rolle - aber das Spektakel in Berlin schadet der Politik." Deshalb hätte er sich gewünscht, dass die Union die SPD stärker in die Debatte eingebunden hätte, schließlich bestehe die Regierung aus drei Parteien. So wie es jetzt gelaufen sei, hätten CDU und CSU mit ihrem Verhalten den Eindruck erweckt, es gäbe keine anderen Themen in Deutschland als die Flüchtlingsfrage. "Das bestätigt nur die ,Rechtsaußen‘."

Während er denkt, dass die AfD auch im heimischen Raum eher ein Nutznießer des Disputs zwischen Merkel und Seehofer sein könnte, glaubt er jedoch nicht, dass das Klima in der Kommunalpolitik darunter leider wird. Damit geht er konform mit dem CSU-Kreisvorsitzenden Jürgen Baumgärtner. "Der Konflikt spielt im Landkreis in der politischen Auseinandersetzung keine Rolle", unterstreicht dieser.


In der Sache korrekt, im Stil nicht immer

Und wie tickt der Wähler im Frankenwald? Er hat nach Ansicht Baumgärtners zunächst einmal ein Grundbedürfnis nach Sicherheit und Harmonie. Deshalb gäben viele Bürger Seehofer in der Sache auch Recht. "Allerdings hätte ich mir auch selbst manchmal einen anderen Stil gewünscht", fügt er an. Die Flüchtlingskrise selbst sei die Intensität der Diskussion aber wert gewesen, denn sie überlagere alle anderen Themen.

Empfindlich reagiert er auf die These, die CSU habe diese Angelegenheit nur als Wahlkampfthema missbraucht und sei auf Stimmenfang im AfD-Lager unterwegs gewesen: "Das können nur Menschen sagen, die mit dieser Herausforderung nicht konfrontiert sind." Wer die Flüchtlingssituation vor Ort erlebe, "weiß, dass das mit Wahlkampf nichts zu tun hat". Vielmehr gehe es darum, dem Wähler Lösungen zu präsentieren, um ihn von der eigenen politischen Arbeit zu überzeugen.

Hautnah hat Hans Michelbach den Konflikt miterlebt. Der CSU-Bundestagsabgeordnete betont sein "sehr persönliches und offenes Verhältnis" zu den beiden Protagonisten Merkel und Seehofer. Deshalb habe er als Vertreter des Unions-Wirtschaftsflügels auch Druck machen können. Er habe klargestellt, dass seine Kollegen und er genug vom persönlichen Disput hatten und man zur Not auch eine Entscheidung durch die Fraktion erzwungen hätte, um den Zusammenhalt der Union zu festigen.


Standpunkt klar darstellen

"Das hat gewirkt", stellt er fest. "So etwas kann man nicht oft machen, aber in diesem Fall war es notwendig." Dass es auch mal kracht, ist für ihn gerade mit dem Blick auf den Bürger übrigens kein Frevel. "Als Volkspartei kann man nicht Wischiwaschi machen. Man muss den Menschen einmal zeigen: Das ist mein Standpunkt", sagt er. Andernfalls drohe ein Abstrafen wie bei der Bundestagswahl 2017. Jetzt sei es allerdings an der Zeit, auch wieder in ein ruhigeres politisches Fahrwasser zu steuern.

Und wie sehen die drei Politiker die weitere Zusammenarbeit von Merkel und Seehofer? Hans Michelbach erwartet, dass beide wieder sachorientiert weitermachen. Und werden die beiden Spitzen bis zur nächsten Wahl in ihren Ämtern bleiben? Diese Antwort könnten nur die beiden Politiker selbst geben.

Jürgen Baumgärtner geht ebenfalls von einem professionellen Miteinander aus. Allerdings habe Angela Merkel ihren Zenit überschritten, und bei allen Leistungen seien Verschleißerscheinungen zu erkennen. Deshalb würde er sich einen Stabwechsel zur Mitte der Legislaturperiode wünschen. Horst Seehofer wiederum habe schon angedeutet, dass er den Stab weiterreicht, wenn die Herausforderung der Flüchtlingsfrage gelöst ist.

Sogar Ralf Pohl hofft, dass die beiden Unionspolitiker die Reihen wieder schließen können. "Sie kämpfen schon viele Jahre miteinander. Ich hoffe aber, dass sie noch einmal zu einer konstruktiven Arbeit zusammenfinden." Gerade innenpolitisch sei Pohl alles andere als überzeugt von Merkels Wirken, aber "angesichts der momentanen Lage in Europa wäre es der falsche Zeitpunkt für ein auseinanderbrechen der Regierung".