Direktor am Amtsgericht erzählt: So dreist sind Kronachs Angeklagte
Autor: Sandra Hackenberg
Kronach, Donnerstag, 18. Juni 2020
Von Jugendlichen, die lieber ins Gefängnis gehen anstatt Sozialstunden abzuleisten bis zu jungen Damen, die Fahrerflucht begehen, weil sie Angst vorm Papa haben - Richter Fehn hat schon alles erlebt.
Für den Jugendlichen auf der Anklagebank geht es um viel. Mit zwei Kumpels war er in eine Schlägerei geraten - und das nicht zum ersten Mal. Diesmal könnte es für drei Wochen in Jugendarrest gehen. Das zumindest fordert der Staatsanwalt. Doch sein Verteidiger versucht alles, um den jungen Mann vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren.
Der engagierte Anwalt hält ein flammendes Plädoyer, das ihn von Richter und Schöffen anerkennende Blicke einbringt. Abschließend bittet er darum, seinen Mandanten noch einmal mit Sozialstunden davonkommen zu lassen. "Sie sehen ihn hier bestimmt nicht mehr wieder", beteuert er.
Der Angeklagte hat das letzte Wort. "Sie können sich den Worten ihres Verteidigers anschließen", erklärt ihm Richter Fehn, denn eigentlich ist alles gesagt. Doch er hat die Rechnung ohne den Angeklagten gemacht. "Die Worte meines Verteidigers in allen Ehren, aber der Staatsanwalt hat recht."
Rumms. Damit hatte ihm Gerichtssaal niemand gerechnet - auch nicht Jürgen Fehn, seines Zeichens Direktor am Kronacher Amtsgericht, und schon gar nicht der Verteidiger des Angeklagten, der in diesem Moment am liebsten vor Scham im Boden versinken möchte. Ein Angeklagter, der lieber ins Gefängnis geht anstatt Sozialstunden abzuleisten.
Da entgleiten auch dem erfahrenen Richter, der sich sonst selten in die Karten schauen lässt, kurzzeitig die Gesichtszüge. Fehn hebt die Hände zu einer Geste der Hilflosigkeit und grinst verschmitzt. "Was hätte ich machen sollen? Den Wunsch habe ich ihm dann natürlich erfüllt." Zumindest in einem hatte der blamierte Verteidiger recht: Sein Mandant geriet nach dem mehrwöchigen Aufenthalt im Jugendknast nie wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Resozialisierung mal anders.
Auch wenn es eher die negativen Fälle sind, die im Gedächtnis bleiben: "Ich freue mich über jeden Angeklagten, den ich nicht mehr wieder sehe", beteuert der gebürtige Neuseser, der sein Abitur am Kaspar-Zeuß-Gymnasium gemacht hat. "Als Jugendrichter kann man schon etwas bewegen."
Dabei wäre der 55-Jährige um ein Haar Gymnasiallehrer für Latein und Fremdsprachen geworden. Den Worten seiner damaligen Lateinlehrerin ist es zu verdanken, dass es anders kam. "Das wäre genau das Richtige für dich. Aber ob du in fünf Jahren auch eine Stelle kriegst?"