Die Zeit lässt für einen Augenblick los
Autor: Mariell Dörrschmidt
Kronach, Montag, 18. Sept. 2017
Unter dem Titel "Warum so eilig?" stellt Nicole Bold bis 22. Oktober im Kronacher Kunstverein aus.
Die Kompositionen wirken spannend und dynamisch. Nicole Bold stellt in der Abstraktion die Lebendigkeit der Natur da. Es scheint, als lebe die Malerei auf den Leinwänden. "Farbenfroh", bekunden einige Besucher bei der Vernissage am Sonntagabend die Kunstwerke, bleiben eine Zeit lang vor den Bildern stehen und lassen die Bilder auf sich wirken.
Was beim ersten Blick noch unentdeckt bleibt, lässt auf den zweiten Blick erstaunen und erkennen. Das Wechselspiel hervor- und zurücktretender Elemente, aussagekräftiger Lichter und Schatten, amorphe Formen und unterschiedliche Farbintensitäten erwecken energiegeladene Natureindrücke. Kanten liegen der Künstlerin nicht, vielmehr die Formen der Natur und die Kombination von Schichten und Ebenen.
Der Titel der Ausstellung "Warum so eilig?" sei ein Appell an die Besucher, sich Zeit zu nehmen, sich auf die Kunstwerke einzulassen und die Philosophie dahinter zu verstehen. Denn dann passiere etwas ganz Besonderes. Die Bilder beginnen sich zu verändern: "Für einen Augenblick lässt die Zeit uns los", so Nicole Bold über ihre Kunst, die immer im Wandel sei. "Warum stehen bleiben, wenn es weitergeht?", denkt sie an das
Zuwuchern der Natur und erklärt: "Manchmal ergänze ich auch noch Bilder, die schon in Galerien ausgestellt wurden."
Die Bilder zeigen Durchblicke, Ausblicke, Einblicke, Überblicke und zielen vor allem auf die Vorstellungskraft der Besucher ab. "Ein übergeordneter Ort oder eine übergeordnete Wirklichkeit", beschreibt Bold ihre wirkungsintensiven Malereien selbst. Oft seien Reisen, Musik oder Literatur Anlass zur Inspiration: "Der Betrachter soll sich sein eigenes Bild von dem Ort machen." Jede Abbildung in der Fläche und jeder Umriss seien eine Abstraktion.
"Sie entwirft Utopien von Natur", geht Karol J. Hurec, Vorsitzender des Kronacher Kunstvereins, auf lebendig komponierte Raumstaffelungen, Überschneidungen und Verdichtungen von Flächen, Formen und wie zufällig wirkenden Elementen ein. Üblicherweise solle man Bilder auf sich wirken lassen, ohne dabei auf die Bildtitel zu schauen. Anders sei dies bei Nicole Bold: "Wir entdecken Beschreibungen von Handlungen, Interaktionen und wir werden zum Fabulieren angeregt. Wie geht der Text zum Bild weiter oder umgekehrt?", merkt Hurec an und denkt dabei an Bildtitel wie "Sie stießen Gesteinsbrocken die steilen Hänge hinab", "Wir mussten sehr früh starten", "Was geschieht im Verborgenen?" oder "Nichts bleibt jemals stehen."
Die Naturverbundenheit zieht sich wie ein roter Faden durch Leben und Werk von Nicole Bold. "Die Bildideen sind einfach gewachsen", erklärt die Künstlerin, die am Bodensee ihre Kindheit verbrachte. In ihren Abstraktionen erkenne man amorphe Formgebungen: "Sie sind nicht Abbild, sondern Erinnerung an etwas. Ein Horizont reicht beispielsweise, um an Landschaft zu denken", beschreibt Bold, die einen ganz bestimmten Effekt mit ihren Malereien erzeugen will: "Einige Farbelemente kommen nach vorne, andere treten nach hinten." Durch die vielen Schichten, die auf den Bildern zu erkennen sind, entstehe ein Raum, in dem verschiedene Elemente schweben: "Das sind Reaktionen der Farbe. Was nach vorne kommt, kippt und geht nach hinten, so verwebt und vernetzt sich das Ganze."
Um diesen Effekt zu erreichen, lässt sich Bold vor allem durch Farbwirkungen inspirieren: "Um bestimme Intensitäten zu erreichen, mische ich manche Farben selbst." Die Vielschichtigkeit der Natur entwickle die Künstlerin in ihren neuesten Arbeiten auf Glas weiter: "Wie bei chemischen Analysen werden Elemente unter ein Mikroskop gelegt, in einzelne Schichten aufgespalten, getrennt und dann wieder modellhaft im Bilderrahmen in mehreren Gläsern zusammengesetzt", beschreibt Hurec die kreativen Glasbilder der Künstlerin.
Auffallend sei, dass in den vergangenen zwei Jahren das Motiv der Natur im Kunstverein immer präsenter wurde: "Mir fällt auf, dass es zunehmend jüngere Künstler sind, die die Natur als Motiv wählen", erinnert sich der Vorsitzende an die Ausstellungen von Donata Benker, Philipp Kummers oder Andreas Fischbach. "Der Blick auf die Natur ist als aller Erstes eine Abwendung vom Urbanen, vom Technischen, vom Synthetischen, ist eine Abwendung von einer Cyberwelt, ist eine Hinwendung zur realen Welt." Diese Beschäftigung mit der Natur habe sich im Laufe der Zeit verändert. Zur Goethezeit sei die Natur noch als menschenfeindlich, gefährlich, ungeordnet empfunden worden. Erst als die damaligen Naturwissenschaftler die Ordnungen der Natur erforschten und erkannten, wandelte sich die Bewertung derselben: "Und jetzt wenden sich Menschen wieder der Natur zu, weil sie darin etwas erkennen, das ihnen nahe ist oder weil sie sich als Teil dieser Natur fühlen", begründet Hurec das Naturmotiv in der Kunst der Gegenwart.
Nicole Bold wurde 1969 in Überlingen am Bodensee geboren. Von 1990 bis 1998 studierte sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und war Meisterschülerin bei Professor Peter Chevalier. Ihre Malereien fanden bereits in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland ihren Platz. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Biberach.
Öffnungszeiten Kronacher Kunstverein: Donnerstag bis Samstag von 15 bis 18 Uhr und zu den Veranstaltungen im Kreiskulturraum