Die perfekte Absperrung der Grenze bei Heinersdorf
Autor: Friedwald Schedel
Stockheim, Donnerstag, 30. Oktober 2014
Otto Heinlein hat in Bildern dokumentiert, wie sich die innerdeutsche Grenze vom einfachen Zaun zum Tod bringenden und schier unüberwindlichen Hindernis entwickelte. Zahlreiche historische Aufnahmen sind in Leitz-Ordnern gut sortiert.
Wer Otto Heinleins alte Schwarz-Weiß-Bilder anschaut, kann gar nicht glauben, dass das einst die Grenze zwischen Bayern und Thüringen war. Ein kleiner Graben, ein eher nach Weidezaun aussehendes Hindernis markierten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und bis Anfang der 1950er Jahre die Grenze.
Otto Heinlein hat sich besonders für die Grenzbefestigungen bei Heinersdorf interessiert und dies bei unzähligen Wanderungen mit Fotos dokumentiert. Sehr oft hat er seinen Hund dabei gehabt. "Heinersdorf war deshalb so interessant, weil man dort direkt Einblick in das Leben in der DDR nehmen konnte. Andere Dörfer waren von der Demarkationslinie nicht einsehbar", begründet der Heimatforscher sein besonderes Interesse an diesem thüringischen Dorf. So stellen seine Bilderordner ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte dar. "Seit ich im Ruhestand bin, mach ich das noch intensiver", berichtet Otto Heinlein.
Gebäude an Grenze abgerissen
Der 85-jährige Heimatkundler blättert in den Leitzordnern und weiß zu jedem Bild, selbst wenn es schon über 60 Jahre alt ist, eine Geschichte zu erzählen, als wäre dies gestern gewesen. Er zeigt Fotos von Gebäuden, die ganz in der Nähe der Grenze standen, aber von DDR-Behörden vor den Augen der Frankenwälder abgerissen wurden, beispielsweise bei Schauberg, bei Bächlein oder Heinersdorf. Dort stand einst die Massamühle. Otto Heinlein zeigt bei einem Bild aus dem Jahr 1960 auf eine Person: "Das war Willi Schreiber, FT-Redakteur und Kreisheimatpfleger", ist sich der Stockheimer Heimatkundler absolut sicher.
Schikanen in der Eisenbahn
Otto Heinlein erinnert sich auch an Geschichten über die Bahnlinie von Pressig nach Tettau, die zwischen Heinersdorf und Schauberg auf Thüringer Gebiet verlief und bis 1952 intakt war. Die Sowjets hätten die Reisenden so sehr schikaniert, sagt Heinlein, dass die Zugverbindung aus Angst immer weniger in Anspruch genommen worden sei. Manche Pressiger seien mit dem Zug zum Fußballspiel nach Tettau gefahren. Nach den Schikanen im Bahnhof Heinersdorf habe mancher die Rückfahrt lieber nicht auf der Schiene angetreten. Ein Sparkassenangestellter fuhr mit dem Zug von Pressig nach Tettau. Die Fahrt dauerte von 7 bis 10 Uhr vormittags. Ab 8 Uhr standen die Kunden vor der Zweigstelle in Tettau und wussten nicht, was los war. "Schließlich ist die Linie über Nacht eingestellt worden", sagt Heinlein.
Bis zum Jahr 1952 war die Grenze zwischen Heinersdorf und Welitsch leicht zu überwinden. Am Anfang wurde mit einem Pflug eine Furche gezogen, dann wurde ein Zaun gesetzt, den man leicht übersteigen konnte. Viele Heinersdorfer taten das, um Lebensmittel oder andere Dinge des täglichen Lebens aus dem Westen zu holen, manche blieben aus Angst, ins Landesinnere umgesiedelt zu werden, bei Freunden oder Verwandten im Westen. Dieser Exodus wurde immer schlimmer. Otto Heinlein berichtet, dass in einer Nacht des Jahres 1952 über 200 Heinersdorfer flüchteten. Ab diesem Zeitpunkt rüstete die DDR an der Grenze auf. Es wurden Zäune mit Stacheldraht gezogen, immer höher, immer dichter, Minenfelder wurden verlegt und im Jahr 1982 die 700 Meter lange Mauer bei Heinersdorf gebaut, die aber nur acht Jahre stand.
Die Toten an der Grenze
Otto Heinleins Stimme wird unruhig, fast zitternd, als er von den Toten an der Grenze bei Heinersdorf berichtet. Seiner Zählung nach müssen es mindestens 15 gewesen sein, von einigen kennt er die Namen. Als er auf die Killer zu sprechen kommt, die die Flüchtenden mit Gewehrsalven umbrachten, wird sein Tonfall vorwurfsvoll und anklagend: "Das waren die Stalin-Schüler. Die wollten sich besonders hervortun und haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat", beschreibt er die Grausamkeit besonders der Sowjetsoldaten in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.
Drei schlimme Schicksale
Otto Heinlein erinnert an drei besonders grausame Schicksale:
1. Da gab es einen schwerhörigen alten Bauern, der mit seinem Pferdegespann Mist fahren wollte. Eine Streife der sowjetischen Besatzungsarmee rief von hinten, er solle anhalten, was der Mann aber wegen seiner Schwerhörigkeit nicht verstehen konnte. Kurzerhand mähten ihn die Soldaten mit einer MP-Salve vom Kutschbock.
2. Ein Mann wurde bei einem Fluchtversuch nahe Heinersdorf angeschossen und fiel in den Tettaubau. Die Soldaten fischten ihn raus und legten den Schwerverletzten auf eine Bahre. Da sie ihn für tot hielten, trugen sie ihn zum Heinersdorfer Leichenhaus. Am nächsten Morgen war der Mann wirklich tot, aber er hatte sich auf der Bahre umgedreht, was zeigte, dass er noch am Leben war, als er im Leichenhaus abgestellt wurde.
3. Ein Bräutigam wollte zusammen mit Freunden in der Nacht vor der Hochzeit in Welitsch Lebensmittel holen. Die Rucksäcke vollgepackt, traten sie den Rückweg an. Der Grenzübertritt in Richtung Heinersdorf wurde von Soldaten bemerkt und der Bräutigam erschossen. Am Tag seiner Hochzeit lag er auf der Bahre im Leichenhaus.