Die Bahn brachte Stockheim den Aufschwung
Autor: Gerd Fleischmann
Stockheim, Donnerstag, 03. Mai 2018
Vor 100 Jahren wurde die Pachtbahn von Hochstadt-Markzeuln nach Stockheim verstaatlicht. Sie war für den Kohlebergbau von enormer Bedeutung.
Im April 1918 - also vor einhundert Jahren - kam es zu einem historisch bedeutsamen Eigentumsübergang des Teilstücks Hochstadt-Marktzeuln nach Stockheim, der heute so genannten "Frankenwaldbahn". Die sich bis dahin im Eigentum der Stadt Kronach befindliche Eisenbahnstrecke wurde verstaatlicht. Ab diesem Zeitpunkt war die königlich-bayerische Staatsbahn nicht mehr nur Betriebsführer - d. h. sie stellte die Betriebsmittel und Personal und führte auf eigene Rechnung den Betrieb durch -, sondern ihr gehörten jetzt auch Strecke und Bahnhöfe.
Pachtbahnen waren ein reines Instrument zur Finanzierung des königlich-bayerischen Eisenbahnbaus und außerhalb Bayerns kaum üblich. Gegen einen zu entrichtenden Pachtzins an den Erbauer der Bahn - in unserem Falle die Stadt Kronach - betrieb die königlich-bayerische Staatsbahn die Strecke und nach einer vorab vereinbarten Pachtzeit - hier 56 Jahre - gingen die Eigentumsrechte an die Staatsbahn über. Die Einnahmen aus dem Betrieb der Bahn flossen von Beginn an - ab dem Zeitpunkt der Aufnahme des öffentlichen Verkehrs - in die königlich-bayerische Staatskasse.
Stadt Kronach war Eigentümer
Die Besonderheit bei der Pachtbahn von Hochstadt-Marktzeuln nach Stockheim lag darin, dass die Stadt Kronach zwar Eigentümer war, die Haftung für die Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen jedoch nicht bei ihr, sondern bei dem Nürnberger Fabrikanten Theodor Freiherr von Cramer-Klett lag, der in das Vorhaben 1,2 Millionen Gulden investierte.Und das ist die Vorgeschichte: Als am 7. Dezember 1835 die legendäre Adler-Lokomotive von Nürnberg nach Fürth dampfte, gab es nur wenige Optimisten, die einen Siegeszug der Eisenbahn für möglich hielten. Knapp 60 Jahre später war Europa mit einem weit verzweigten Schienennetz überzogen. Die Industrialisierung erlebte durch den "rollenden Fortschritt" einen ungeahnten Aufschwung. Mit der Bändigung der Dampfkraft wurde ein neues Zeitalter eingeleitet. Die fahrbare Energiequelle beförderte die uralte Agrar- und Handwerksgesellschaft empor zur Industriegesellschaft der Neuzeit. Und an diesem Aufschwung war auch Stockheim mit seinen Steinkohlengruben dank der Pachtbahn schon frühzeitig beteiligt.
Lösung des Transportproblems
Mit dem Bau der Ludwig-Süd-Nord-Bahn erreichte der Schienenstrang bereits 1846 den Bahnhof Hochstadt/Marktzeuln. Die Weiterführung der Linie erfolgte nach Kulmbach-Neuenmarkt-Hof. Der Frankenwald blieb zunächst außen vor. Das Ersuchen des Grubenbesitzers Joseph von Swaine wurde zunächst abgeschmettert. Am 23. Oktober 1853 hatte er erneut einen Vorstoß in Sachen "Eisenbahn" unternommen. Das Hauptargument des Bergwerksbesitzers: Aus dem Schacht Katharina und dem Schacht Sophie fördert man jährlich 700 000 Zentner, aus dem Schacht Vereinigte Nachbarn 200 000 Zentner Steinkohlen. Man könnte das Doppelte an Förderung erzielen, wenn es nicht immer Schwierigkeiten hinsichtlich des Transports gäbe. Ein weiteres schlagkräftiges Argument waren die aufstrebenden Schieferbrüche in Lehesten. Die Gewinnung des Schiefers und die Versendung würden sicherlich auf das Dreifache gesteigert werden können, wenn das Bahnprojekt zu Stande käme, so die verständlichen Argumente der Schieferbarone.
Immerhin kam es zu einer Zwischenlösung. Im Bahnhof Hochstadt hatten 1846 die Bergwerksbesitzer von Swaine und von Weiß von den Steinkohlengruben Stockheim und Neuhaus eine Kohlenverladestation errichtet. Der oftmals problematische Transport der Kohle mit Holzfässern auf den Frankenwaldflößen in Richtung Frankfurt neigte sich damit dem Ende zu.
Ein Industrieller investiert
Im Jahre 1859 kam es durch die Einschaltung des einflussreichen Freiherrn Theodor von Cramer-Klett zu einer Wende. Der Industrielle stellte für das Projekt "Stockheim" 1,2 Millionen Gulden zur Verfügung. Aber auch der Kronacher Stadtrat hatte nichts unversucht gelassen, den Anschluss möglichst bald zu erhalten. Die erfolgreiche Abteufung der Steinkohlenzeche "Maxschacht" ab 1855 beschleunigte außerdem den Bau der Schiene in Richtung Stockheim. Eine bahnbrechende Entwicklung bahnte sich nun für den Frankenwald an. Während bereits am 15. Dezember 1860 in Kronach eine große Menschenmenge den ersten Eisenbahnzug bejubelte, musste Stockheim noch fast 27 Monate auf den Anschluss warten. Der Grund: Der Weiterbau von Gundelsdorf (20. Februar 1861) nach Stockheim scheiterte vorerst an der Weigerung des Freiherrn von Würtzburg, seine Grundflächen nördlich von Gundelsdorf zu verkaufen. Nach einem langwierigen Enteignungsverfahren kam im April 1862 der Vertrag über die Weiterführung der Strecke bis Stockheim doch noch zustande.
Eröffnung 1863
Überraschend schnell schaffte der bauleitende Ingenieur Philipp Kühles in relativ kurzer Zeit mit einigen hundert Arbeitern die restlichen 3,47 Kilometer von Gundelsdorf nach Stockheim. Bereits am 10. Januar 1863 fanden die ersten Probefahrten statt. In einem feierlichen Rahmen beging am 1. März 1863 die Stockheimer Bürgerschaft die Eröffnung der Pachtbahn Hochstadt-Stockheim. Die Grubenbesitzer konnten aufatmen, die Transportprobleme waren damit gelöst. Das von der königlich-bayerischen Staatsbahnverwaltung im Wege der Pachtzahlung zu erstattende Baukapital der Strecke Hochstadt-Stockheim betrug 2 657 143 Mark. Zunächst verkehrten drei Zugpaare. Die fahrplanmäßige Fahrdauer zwischen Hochstadt und Stockheim betrug damals 70 Minuten. Und mit der Schiene entwickelte sich Stockheim zur Industriegemeinde.
Durchbruch mit der Glasfabrik
Schon bald gruppierten sich um das einstmals dreistöckige Stockheimer Bahnhofsgebäude (Nr. 52) das Gasthaus zur "Eisenbahn" sowie das Gasthaus "Zur Post". Der große Durchbruch gelang allerdings erst mit der Gründung der Glasfabrik Sigwart & Möhrle. Die Einwohnerzahl wuchs zwischen 1870 und 1900 von 500 auf 1000 Einwohner.Auch das Güteraufkommen entwickelte sich enorm: Die Steinkohlengruben sowie die zahlreichen Schiefertransporte von Lehesten nach Stockheim sorgten für einen Boom. Das zeigt die "Amtliche Verkehrsübersicht" der königlich-bayerischen Verkehrsanstalten im Jahr 1877. So lag die Bergwerksgemeinde mit einem Frachtaufkommen von 1,4 Millionen Zentner bei den bayerischen Bahnhöfen an 15. Stelle.
Zunächst befanden sich auf dem Stockheimer Bahnhofsgelände fünf Gleise, ein Empfangsgebäude, Ladehalle, Bahnwärterhäuschen, eine Drehscheibe zum Wenden der Lokomotiven mit einer Lokremise. Dieser Zustand sollte sich allerdings ab 1885 grundlegend ändern, denn mit dem Bau der Glashütte am Bahnhof sowie der Drahtseilbahn ab 1881 zum "Maxschacht" und nach Neuhaus waren zusätzliche Verladegleise erforderlich.
D-Züge hielten in Stockheim
Und die Bahn expandierte: Der Abschnitt Stockheim-Ludwigsstadt wurde am 8. August, der Abschnitt Ludwigsstadt-Probstzella am 1. Oktober 1885, beide Abschnitte von Anfang an als Staatsbahnen, eröffnet. Der große Durchbruch für den Stockheimer Bahnhof kam 1901 zustande. Die Bergwerksgemeinde erhielt Anschluss an das außerbayerische Netz im Raum Lauscha-Sonneberg, Sonneberg-Coburg, Sonneberg-Eisfeld und Erfurt. Dieser Anschluss wurde am 1. Juni 1901 mit der Aufnahme des Eisenbahnbetriebs zwischen Stockheim und Neuhaus über Burggrub hergestellt. Der örtliche Bahnhof erlebte seine Blütezeit. Alle D-Züge von und nach Berlin hielten in Stockheim. Und bis zum 1. Mai 1905 konnte der so dringend erforderliche doppelgleisige Streckenausbau abgeschlossen werden.Am 9. Oktober 1978 wurde der Niedergang der Eisenbahn in Stockheim optisch verdeutlicht: Das stattliche Bahnhofsgebäude wurde abgerissen. Kurz danach verschwanden die zwei Stellwerke und die Güterhalle. Schon 1963 hatte der ehemalige Wasserturm, der für die Lokomotiven erforderlich war, sein Leben ausgehaucht. Und nach 1990 erfolgte ein weiterer Rückbau der Gleise bis auf zwei. Heute erinnert nichts mehr an die einstige Bedeutung, die der Stockheimer Bahnhof innehatte.