Deutschland mit aus dem Dreck gezogen
Autor: Gerd Fleischmann
Steinwiesen, Freitag, 23. März 2018
Das "Ochsensepp"-Denkmal in Steinwiesen erinnert an den CSU-Mitbegründer Josef Müller, der vor 120 Jahren geboren wurde.
Der bekannteste Sohn des Frankenwaldes, Josef Müller, genannt "Ochsensepp", stammt aus Steinwiesen. Ein sechs Meter langes Ochsengespann erinnert vor dem Steinwiesener Rathaus an den legendären Gründervater, der nach dem Zweiten Weltkrieg ganz wesentlich die politischen Weichen der bayerischen CSU gestellt hat. Durch seine Meisterschaft im Improvisieren und seine Volksnähe, auch durch sein listenreiches Taktieren, ebnete er der CSU den Weg zur Volkspartei.
Müller, am 27. März 1898 in Steinwiesen als sechstes Kind einer Kleinbauernfamilie geboren, war von 1946 bis 1949 Parteivorsitzender der CSU in Bayern, von 1947 bis 1950 stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates und von 1947 bis 1952 Staatsminister der Justiz. Dem Bayerischen Landtag gehörte er von 1946 bis 1962 an. Der Vollblutpolitiker mit Weitblick, der unter anderem auch mit parteiinternen Intrigen zu kämpfen hatte, starb am 12. September 1979 in München. Drei Tage später wurde sein politisches Wirken mit einem Staatsbegräbnis gewürdigt.
Als Tagelöhner Mist gekarrt
Den Spitznamen "Ochsensepp" erhielt Müller bereits in seiner Schulzeit. Während der Ferien als Student arbeitete er als Tagelöhner und karrte mit einem Ochsenfuhrwerk Mist, was ihm seinen lebenslang mit Stolz getragenen Spitznamen "Ochsensepp" einbrachte."Ich bin geboren am 27. März 1898 in Steinwiesen in Oberfranken als sechstes Kind des Bauern Georg Müller und seiner Ehefrau Margarete, geb. Riesgraf. Meine Vorfahren waren in der Hauptsache Waldbauern und Floßherren. Mein ältester Bruder Wolfgang Müller ist katholischer Pfarrer und Dekan in Rothenburg o. d. Tauber." Mit diesen schnörkellosen Sätzen beginnt der handschriftliche Lebenslauf von Müller, der diese Zeilen am 7. November 1945 auf Geheiß der US-Militärregierung zu Papier brachte.
Kosmopolit mit Wurzeln im Frankenwald
"Ein sehr geschickter, bodenständiger Politiker, beinahe nach amerikanischer Manier", so das Urteil der US-Behörden nach Kriegsende. Er war ein Kosmopolit, ein Mann, der auf der ganzen Welt Freunde hatte und sich überall hoher Wertschätzung erfreute. Patriotismus, Toleranz und Religiosität zeichneten ihn ebenso aus wie Lebensfreude und Unpünktlichkeit. Durch das katholische Elternhaus geprägt, fand Müller in jungen Jahren den Weg zur Bayerischen Volkspartei, der auch sehr viele Pfarrer angehörten - ein Pfund, mit dem der Steinwiesener bei der Gründung der CSU insbesondere in Oberfranken wuchern sollte.
Ab 1943 im KZ
Zur Eintrittskarte für eine Polit-Karriere nach Kriegsende wurde für Müller seine Tätigkeit im Geheimdienst der Wehrmacht, wo sich unter Admiral Wilhelm Canaris und General Hans Oster eine Widerstandsgruppe formiert hatte. Seit Ende 1939 selbst Abwehroffizier, führte der "Sepper", wie ihn seine Geschwister riefen, im Auftrag der Militäropposition Verhandlungen mit England unter der Vermittlung des Vatikans. Das war ein äußerst riskantes Unterfangen. 1943 von den Nationalsozialisten verhaftet und vor dem Reichskriegsgericht unter anderem wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt, wurde der Steinwiesener zwar freigesprochen, blieb aber weiterhin in KZ-Haft, aus der er erst Anfang Mai 1945 von den Amerikanern befreit wurde.
Für ein christliches Europa
Geprägt von den bitteren Erfahrungen im Dritten Reich, fasste Josef Müller noch in den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg und Dachau den Entschluss, für ein christliches Europa und Vaterland politisch zu wirken. Er war davon überzeugt, dass nur ein totaler geistig-moralischer, politischer und sozialer Neubeginn aus der Not herausführen und den Rückfall in eine Diktatur verhindern konnte. Die Erfahrungen aus Kirchenkampf, aus Widerstand und Verfolgung sowie die hoffnungslos erscheinende geistige und materielle Notlage im besiegten Deutschland bildeten für Josef Müller den Antrieb, mit Kraft und Optimismus und unter bewusster Berufung auf das christliche Sittengesetz sich dem demokratischen Neuaufbau Bayerns und Deutschlands zu widmen.
Unmittelbar nach seiner Heimkehr verfolgte er, in Zusammenarbeit mit Adam Stegerwald, das Konzept einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei. Am 17. Dezember wurde Müller zum Vorsitzenden des Vorläufigen Landesausschusses der CSU, am 8. Januar 1946, als die CSU landesweit lizenziert wurde, zum vorläufigen Landesvorsitzenden gewählt. Die endgültige Bestätigung erfuhr Müller am 31. März 1946 durch den Vorläufigen Landesausschuss.
Fein, Todfeind, Parteifreund
Schon in der Gründungsphase wurde deutlich, dass die Ideen Josef Müllers von einer interkonfessionellen fortschrittlichen Sammlungspartei nicht den Vorstellungen aller Gründungsmitglieder entsprachen. Heftige Richtungskämpfe waren die Folge. Schließlich verschärfte das Erstarken der Bayernpartei den innerparteilichen Konflikt. Die Landesversammlung 1949 in Straubing versagte Josef Müller schließlich die Wiederwahl zum Parteivorsitzenden. Damals entstand aufgrund der Kultur des problematischen Umgangs miteinander die Wortsteigerung "Feind, Todfeind, Parteifreund", die auch heute noch ihre traurige Gültigkeit hat. Als im September 1947 die SPD in Bayern die Koalition aufkündigte, berief Ministerpräsident Hans Ehard Josef Müller als Justizminister in sein Kabinett. Im Zusammenhang mit Prüfungen von Vorgängen im Landesentschädigungsamt durch einen Untersuchungsausschuss des Landtags wurden auch Vorwürfe gegen Josef Müller erhoben. Im Zuge der Auerbach-Affäre sah er sich gezwungen, am 26. Mai 1952 vom Amt des Justizministers zurückzutreten.
Niederlage gegen Hans-Jochen Vogel
Um den verlorenen Einfluss in der Parteiorganisation zurückzugewinnen, strebte Josef Müller den Vorsitz des CSU-Bezirksverbands München an und wurde am 22. März 1951 gewählt. Am 27. März 1960 kandidierte er bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl für die CSU, unterlag Hans-Jochen Vogel (SPD) aber deutlich. Als zwei Jahre später sein Landtagsmandat endete, zog sich Müller - der übrigens Franz Josef Strauß förderte - aus der Politik zurück und arbeitete wieder als Anwalt. Das vom Kronacher Bildhauer Heinrich Schreiber geschaffene "Ochsensepp"-Denkmal in Steinwiesen, am 19. Juli 1996 im Beisein von CSU-Parteichef Theo Waigel eingeweiht, erinnert plastisch an die große politische Lebensleistung des CSU-Gründers Josef Müller, die dieser dem Wiederaufbau Bayerns und Deutschlands mit aller Kraft gewidmet hat.
"Politik für eine neue Zeit"
Am 30. März 1998 stand der "Ochsensepp" erneut im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Bei einem Festakt in Steinwiesen würdigte CSU-Vorsitzender und Bundesfinanzminister Theo Waigel das Engagement des politischen Urgesteins aus der Region. Und schließlich widmete die Hanns Seidel Stiftung 1998 dem ehemaligen Steinwiesener eine umfassende Dokumentation mit dem Titel "Politik für eine neue Zeit", über die sich bei der Vorstellung Tochter Christa Müller freuen durfte. Bereits 1976 wurde Josef Müller mit der großen Verdienstmedaille in Gold des Landkreises Kronach bedacht und zum Ehrenbürger von Steinwiesen 1977 ernannt. Im Alter von 81 Jahren verstarb der außergewöhnliche Politiker mit großem Weitblick am 12. September 1979 in München.