Druckartikel: Der Bauern Andres als Wegbereiter

Der Bauern Andres als Wegbereiter


Autor: Friedwald Schedel

Neuengrün, Mittwoch, 02. Sept. 2015

Am 5. September findet ab 18 Uhr zum 70. Mal die Friedenswallfahrt statt. Auch das Legendenspiel wird wieder aufgeführt. Ludwig Dietz aus Neuengrün blättert im Archiv. Er hat viele Bilder, Zeitungsausschnitte und Plakate gesammelt, die wir in einer Bilderstrecke zeigen.
Ludwig Dietz mit der ersten Standarte aus dem Jahr 1949. Im Hintergrund der Altar der Neuengrüner Kirche Mariä Himmelfahrt.  Foto: Friedwald Schedel


Am Samstagabend steht Neuengrün wieder im Zeichen der Friedenswallfahrt. Die wird am 5. September zum 70. Mal durchgeführt. Zahlreiche Gläubige beten für den Frieden. Wie alle fünf Jahre seit 1995 wird auch am Samstag das Legendenspiel aufgeführt, das in das Jahr 1720 zurückschwenkt und an die wundersamen Ereignisse rund um die Gnadenmadonna von Neuengrün erinnert.

Ludwig Dietz aus Neuengrün ist einer der Organisatoren der Friedenswallfahrt. Er hat viele Dokumente seit dem Jahr 1946 aufgehoben: Plakate, Fotos, Wallfahrerbüchlein, Briefe, Zeitungsausschnitte. Sechs Archivordner voll. Der 63-Jährige blickt auf die Anfänge der Wallfahrt, die als Heimkehrerwallfahrt begann. Andreas Bauer aus Kronach und Peter Löffler aus Effelter hatten während des Zweiten Weltkriegs geschworen, jedes Jahr eine Wallfahrt nach Neuengrün durchzuführen, wenn sie aus dem Krieg gesund heimkehren sollten.


Das Wallfahrerlied

Der Bauernandres mobilisierte die Leute, so dass rund 2000 bei der ersten Heimkehrerwallfahrt am 8. September 1946 im festlich geschmückten Neuengrün weilten, die meisten waren über weite Strecken zu Fuß gekommen. Andreas Bauer verfasste auch das Neuengrüner Wallfahrerlied. Das gibt es seit 1946, es hat vier Strophen und die Melodie ist die gleiche wie bei "O himmlische Frau Königin".

"In den Jahren 1947 und 1948 kamen jeweils über 7000 Wallfahrer. Die Bahn setzte einen Sonderzug von Ludwigsstadt über Kronach nach Mauthaus ein. Von dort wallten die Heimkehrer zu Fuß nach Neuengrün", berichtet Dietz. Anders als heute dauerte die Wallfahrt damals fast 24 Stunden. Die Betenden kamen am Samstagabend an, während der Nacht betreuten ehemalige Soldaten die Betstunden, die nach Frontabschnitten eingeteilt waren. Erst am Sonntagnachmittag traten die Wallfahrer den Heimweg an. Es gab einen "marianischen Ehrendienst": Männer mit Myrtenkränzen trugen die Madonna bei der Prozession und hielten die ganze Nacht lang Wache. "Das Dorf hat für die Wallfahrer gekocht", berichtet Ludwig Dietz. "Die mussten nur ihr Essgeschirr mitbringen."


Friedenskreuz aufgestellt

1947 wurde das erste Holzkreuz aufgestellt. Mit seinen stolzen 16 Metern Höhe grüßte es weit in den Frankenwald. Nachdem das Holz nicht so langlebig ist, steht nun ein Kreuz aus Metall auf der Anhöhe. Neu hinzu kam 1949 die Lichterprozession. Zu mitternächtlicher Stunde zogen 1600 Fackelträger zusammen mit 7000 Gläubigen zum Friedenskreuz. Die Madonna und die neue Friedensstandarte wurden vorangetragen. Diese erste Standarte wurde 1995 durch eine vom Papst geweihte ersetzt. Sie wird jedes Jahr an eine andere Gemeinde weitergegeben, in der Betstunden stattfinden.

Auch bekannte Redner trugen zur Attraktivität der Heimkehrerwallfahrt bei. Der damalige Kultusminister Alois Hundhammer, CSU-Gründer Josef Müller (Ochsensepp) und Franz Josef Strauß waren nur einige von ihnen. Strauß hielt seine Rede am Sonntag um 6 Uhr vor zahlreichen Zuhörern.


Der Ablauf wird geändert

Bis Ende der 1950er Jahre gab es rund 2000 Teilnehmer an der Heimkehrerwallfahrt. Danach sank die Zahl auf etwa 1000. 1964 gedachte man des verstorbenen Gründers der Wallfahrt, des Bauernandres. Mit seinem Tod wurde der Ablauf der Wallfahrt geändert. Sie hieß fortan nicht mehr Heimkehrerwallfahrt, sondern ab 1965 Friedenswallfahrt. Heinz Hausmann, Walter Kromp und andere brachten sich in die Organisation ein. Heuer organisieren der Pfarrgemeinderat, Heinz Hausmann und Ludwig Dietz die Friedenswallfahrt, zu der die Dekanate Kronach und Teuschnitz einladen.


Legenden um die Madonna

Es ranken sich verschiedene Legenden um die Madonna von Neuengrün. Allen gemeinsam ist, dass die Figur von Privatleuten in einer verschlossenen Truhe aufbewahrt wurde, aber jeden Morgen auf der Truhe stand. Deshalb wurde sie der Kirche geschenkt. Neuengrün entwickelte sich zum Wallfahrtsort, von Wunderheilungen wie in Vierzehnheiligen oder Marienweiher wurde berichtet.

Wer die Madonna geschnitzt hat, ist nicht bekannt, aber weil sie eine Ähnlichkeit zum "Prager Jesulein" hat, wird sie einem böhmischen Meister zugeschrieben.


Legendenspiel verfasst

Diese Legende nahm Andreas Bauer zum Anlass, ein Legendenspiel zu verfassen, das 1947 und 1948 aufgeführt wurde. Im Jahr darauf gab es die Uraufführung des Heimkehrerspiels, ebenfalls aus der Feder des Bauernandres. Das befasste sich mit den Zuständen in den Gefangenenlagern. Bauer verfasste auch "Das hohe Spiel von Neuengrün", das 1952 dargeboten wurde. Die Uraufführung des Spiels "Die Legende" von Schwester Hermengilda aus Wallenfels fand 1950 statt.

Bis 1953 wurden fünf verschiedene Spiele aufgeführt. Dann gab es eine lange Pause: bis 1995, zur 50. Friedenswallfahrt. Das Legendenspiel lebte wieder auf. Seitdem wird es alle fünf Jahre auf der Naturbühne gezeigt. Damals wie heute fungiert Wolfgang Eidloth als Regisseur.


Der Wallfahrtsort

Der Bauernandres erweckte den Wallfahrtsort Neuengrün wieder zum Leben. Schon Anfang des 18. Jahrhunderts zählte Neuengrün zu den Wallfahrtsorten in Franken. Es gab Berichte über Wunderheilungen. Votivtafeln wie in Vierzehnheiligen und Marienweiher wurden aufgestellt. Auf Geheiß des damaligen Erzbischofs von Bamberg musste der Steinwiesener Pfarrer alles, was mit Wunderheilungen zusammenhing, aus der Kirche in Neuengrün entfernen, aber sachte, damit es keinen Aufstand der Gläubigen gab. "Dieses Schreiben findet sich noch im Pfarrarchiv in Steinwiesen", weiß Ludwig Dietz.







Früher kamen weitaus mehr Menschen zur Friedenswallfahrt nach Neuengrün als heute. Nicht nur Einheimische drückten damit ihren Dank aus, den Wirren des Krieges entflohen zu sein und letztlich auch mit Blick in die Zukunft für ein Leben in Frieden zu beten. Eine 89-jährige Zeitzeugin kann sich noch gut darin erinnern, dass damals viele Gläubige mit dem Zug anreisten. Von der Station in der Maut am Fuße des Ködelberges pilgerten sie schließlich in einer langen Menschenschlange über Schlegelshaid nach Neuengrün.
Die Neuengrüner Landwirte hätten damals in ihren Höfen für die Kriegsheimkehrer Kartoffelsuppe gekocht, erinnert sich die 89-Jährige an die damals harten Zeiten. "Viele hatten nichts zu essen. Das war die Zeit, als es noch Essensmarken gab", betont die 89-Jährige.
Sie selbst habe viele Jahre kaum eine Friedenswallfahrt verpasst, zumal ihr bereits verstorbener Mann ebenfalls im Krieg und in Frankreich in Gefangenschaft war. Das Beten für den Frieden gehörte deshalb einfach dazu. Aus gesundheitlichen Gründen kann sie mittlerweile aber nicht mehr an der Wallfahrt teilnehmen.
Das Thema ist aber heute wohl wieder präsenter als in vielen Jahren zuvor.