"Deppen der Nation": Klinikmitarbeiter kritisieren Gesundheitsamt
Autor: Bastian Sünkel
Kronach, Donnerstag, 26. November 2020
Die "Helden des Alltags" werden zu "Deppen der Nation" degradiert: Mit heftigen Worten wehrt sich der Betriebsrat der Frankenwaldklinik gegen die verordneten Maßnahmen für die Krankenhaus-Belegschaft. Doch auch das Landratsamt reagiert auf die Vorwürfe.
Heribert Pietz ringt nach Worten. "Skandalös" ist eines davon, dass er schließlich am Donnerstagmorgen findet. Der Betriebsrat ist schlichtweg "enttäuscht und entsetzt" von den Ereignissen in dieser Woche rund um die Frankenwaldklinik. "Es werden Dekrete erlassen nach dem Motto: Friss oder stirb!"
Wenige Stunden später ist die Enttäuschung zu einem offenen Brief herangewachsen. Der Zorn der Belegschaft ist unschwer herauszulesen: "Die Helden des Alltags aus der ersten Coronawelle werden durch das aktuelle Agieren des Gesundheitsamtes zu den Deppen der Nation degradiert und gedemütigt", heißt es in dem Schreiben, das der Betriebsrat einstimmig verabschiedet und am Donnerstagnachmittag dem Landratsamt übermittelt hat, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden Manfred Burdich.
Betriebsrat Pietz hat seit Dienstag unzählige Anrufe verärgerter, enttäuschter, überlasteter Mitarbeiter entgegengenommen. Die negativ Getesteten arbeiten normal oder werden aufgrund des Personalmangels auf verschiedenen Stationen eingesetzt. "Stations-Hopping" nennt das der Betriebsrat im Schreiben. Zuhause muss das medizinische Personal aber in "Feierabendquarantäne".
Die Klinik ist im Minimalbetrieb und der Betriebsrat kritisiert das Gesundheitsamt, dass der Maßnahme jegliche Berechtigung fehle: "Wir widersprechen daher - in Ermangelung einer juristischen und epidemiologischen Grundlage - Ihrer pauschal ausgesprochenen Einstufung aller Beschäftigten in die Kategorie als Kontaktperson 1 und den damit verbundenen Auflagen." Das Gesundheitsamt gestalte seine eigenen Regeln - "in offensichtlicher Überforderung der Situation". Damit verlasse es offenkundig den Boden rechtsstaatlichen Handelns.
Der Betriebsrat bezieht sich mit diesem Vorwurf auf die Definitionen von Kontaktpersonen. Medizinisches Personal könne laut Robert-Koch-Institut keine Kontaktpersonen der ersten Kategorie sein, weil es mit Schutzausrüstung arbeitet. Dafür gilt eine Sonderregelung, die Kategorie 3. Das bedeutet: keine häusliche Quarantäne, sondern strikte Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen. "Wenn man der Logik des Gesundheitsamts folgen würde, müsste man diese Maßnahme in ganz Deutschland anwenden", sagt Pietz.
Auch die Ärztin Diana Konhäuser und der Arzt Thomas Wendrich sind im Betriebsrat engagiert und zeigen wenig Verständnis für das Einschreiten des Gesundheitsamts. Die Ärztin erklärt, dass jeder Mitarbeiter täglich bei Dienstantritt mit einem Antigen-Test auf eine Covid-Infektion getestet wird. Auch für den Arzt kommt die Maßnahme unerwartet und zur falschen Zeit.
"Die Stimmung der Belegschaft ist am Boden", sagt Heribert Pietz. Neben der anstrengenden Arbeit in voller Schutzausrüstung breche nun über die knapp 620 Mitarbeiter eine Stigmatisierungswelle herein. In der Öffentlichkeit, haben ihm Kollegen erzählt, werden sie gemieden oder belehrt, sich zuhause einzuschließen statt einkaufen zu gehen - Kollegen im Urlaub. Eine Mitarbeiterin, die Bus fährt, dürfe weiterhin mit dem Bus zur Arbeit fahren, muss aber anschließend in Quarantäne. Er berichtet von Kollegen, die ihre Angehörigen nicht mehr pflegen dürfen.
Die Klinikleitung sei für die Belegschaft in der Krisenzeit "unsichtbar", sagt der Betriebsrat. Die Situation sei zuvor bereits von Personalmangel geprägt gewesen und er berichtet auch im offenen Brief von "abwandernden Ärzten".
Das Landratsamt reagiert
Später am Abend reagiert das Landratsamt mit neuen Ergebnissen der zweiten Reihentestung an der Klinik: Fünf weitere Mitarbeiter haben ein Positiv-Ergebnis erhalten. "Damit hat sich die anfängliche Befürchtung bewahrheitet, dass es zu weiteren Infektionen unter den Mitarbeitern kommen könnte", heißt es im Antwortschreiben. Zudem erklärt das Landratsamt, dass die Regierung von Oberfranken sowie das Landesamt für Gesundheit (LGL) die Maßnahme angeordnet haben.
Das bestätigt auch Landtagsabgeordneter Jürgen Baumgärtner (CSU) in einer Stellungnahme: "Mir ist bewusst, dass ihnen (dem Klinikpersonal, Anm. d. Red.) mit der Quarantäneanordnung nun noch mehr abverlangt wird und ich habe daher größtes Verständnis für den Unmut, der im Rahmen des Briefes des Betriebsrats ausgedrückt wird. Allerdings ist diese Anordnung nach Einschätzung der oberen Gesundheitsbehörden unbedingt erforderlich, um das derzeit massive Infektionsgeschehen im Landkreis Kronach einzudämmen."
Sowohl das Landratsamt als auch der Landtagsabgeordnete zeigen Verständnis für den Ärger der Belegschaft, weisen aber die Kritik an den Mitarbeitern des Gesundheitsamts entschieden zurück. "Die nun vom Betriebsrat der Klinik geäußerte Kritik am Personal des Gesundheitsamtes zerschneidet das Band der Solidarität derjenigen, die im Gesundheitsbereich zusammen einen Beitrag leisten, um die Pandemie in den Griff zu kriegen", schreibt Baumgärtner. Er bekräftigt außerdem seine Forderung nach mehr Personal und besseren Arbeitsbedingungen in der Klinik.
Die Geschäftsführung der Klinik erklärt, dass der Brief ohne ihr Wissen verfasst wurde. Den Mitarbeitern bietet sie Anpassungen im Dienstplan an, "um die Betreuung von Kindern und Angehörigen zu regeln" sowie eine regelmäßige Sprechstunde beim Klinikseelsorger. "Wir teilen die Sorgen der Behörden in Anbetracht der aktuellen Infektionslage im Landkreis und arbeiten konstruktiv mit ihnen an einer Verbesserung der Situation."