Druckartikel: Wegen Corona-Infektion im künstlichen Koma: Oberfränkin kämpfte um ihr Leben

Wegen Corona-Infektion im künstlichen Koma: Oberfränkin kämpfte um ihr Leben


Autor: Redaktion

Kronach, Sonntag, 05. Juli 2020

Bei ihrer Arbeit im Pflegeheim infizierte sich Angela Turner aus dem Landkreis Kronach mit dem Coronavirus und musste ins künstliche Koma gelegt werden. In diesem Interview schildert die Fränkin ihren Kampf ums Überleben.
Ein künstliches Koma und ihr Überlebenswille retteten ihr das Leben: Angela Turner. privat


Das Coronavirus kennen die meisten von uns nur aus den Medien und von Hinweisschildern. Einige unserer Mitmenschen hatten nicht so viel Glück: Sie sind erkrankt und haben mit dem Virus gekämpft. Eine von ihnen ist Angela Turner aus dem Landkreis Kronach. Als erste Patientin ist sie Anfang April in der Helios-Frankenwaldklinik Kronach stationär intensivmedizinisch wegen Covid-19 behandelt worden. Als die Beschwerden schlimmer wurden, blieb nur eine Chance: das künstliche Koma.

Mittlerweile hat Angela Turner das Virus besiegt und kämpft sich in der Reha zurück in ihren Alltag. Wir hatten kurz davor die Gelegenheit, mit ihr über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Interview mit Corona-Patientin aus Kronach:

Redaktion: Wie geht es Ihnen denn momentan?

  • Angela Turner: Einwandfrei!

Keine Beschwerden?

  • Naja, wenn man aus einem künstlichen Koma kommt, mit dem Arm über Kopf gelagert über fast einen Monat, da kommt man schon weg mit einigen Sachen. Man ist schwach, wenn man rauskommt. Mein rechter Arm geht nicht richtig, aber mit Therapie kommt das schon wieder! Wegen der Lagerung hat sich die Sehne in der Schulter entzündet, ich bekomme meine Finger noch nicht wieder ganz zusammen, aber das ist das Einzige bis jetzt. Ansonsten ist alles in Ordnung!

Wie hat sich denn die Krankheit bei Ihnen entwickelt?

  • Ich war bei der Arbeit - in einem Pflegeheim. Einer meiner Bewohner war infiziert. Ich habe seine Temperatur gemessen, sie war erhöht, die Anzeichen waren da, er kam ins Krankenhaus. Im Stationszimmer habe ich dann meine Temperatur gemessen, auch sie war erhöht. In der Zwischenzeit habe ich herausgefunden, dass drei meiner Patienten Corona hatten. Ich hatte mich angesteckt. Mein Chef hat mich nach Hause geschickt und dann mein Hausarzt zum Abstrich-Zelt. Auf dem Parkplatz davor ging es mir so schlecht, dass mich die Leute zur Notaufnahme geschickt haben.

Als Sie in die Frankenwaldklinik kamen, haben Sie sich also vor allem fiebrig gefühlt?

  • Genau, Husten hatte ich keinen. Ich hatte Fieber, fühlte mich schlapp und mein Geschmack war weg. Das hatte sich alles in den zwei Tagen zu Hause entwickelt. Atemnot hatte ich auch nicht. Es war, wie wenn man eine Grippe bekommt. Deswegen hat man mich in die Notaufnahme geschickt.

Und dann ist es schnell schlimmer geworden?

  • Ja, innerhalb von einem, anderthalb Tagen. Sehr schnell ging das. Ich war zuerst auf der Isolierstation, dann auf der Intensivstation. Der Arzt dort hat gesagt: "Frau Turner, ich empfehle Ihnen, wir sollten Sie ins künstliche Koma versetzen. Wenn es noch schlimmer wird, können wir das vielleicht nicht mehr." Ich habe mit meinem Mann gesprochen, am Telefon natürlich, mit dem Arzt im Zimmer, und wir haben uns entschlossen: Machen!

Und dann waren Sie quasi "raus", haben nichts mehr mitgekriegt?

  • Erst hinterher habe ich herausgefunden: Ich war die erste Corona-Patientin und ich war die erste Corona-Patientin im künstlichen Koma. Das ganze Team war nervös. Ich war jung. Jeder denkt:  "Corona ist nur etwas für ältere Leute", aber das ist nicht wahr. Sie haben sich gedacht: "Jetzt ist Corona bei uns in Kronach angekommen, was machen wir jetzt?". Das ganze Team hat mitgefiebert, jeden Tag sind Leute vorbeigekommen. Und dann ging es mir so schlecht, dass das Gespräch geführt worden ist mit meinem Mann, ob man die Geräte abschaltet.

Wie hat Ihr Mann darauf reagiert?

  • Mein Mann hat den Arzt gefragt: "Schaut es so aus, als ob die Angela, als ob ihr Körper noch kämpft?" Der Arzt hat gesagt: "Ja, aber es ist sehr schlimm. Wir müssen jetzt eine Entscheidung treffen." Dann hat mein Mann gesagt, wir wollen es versuchen, und dann haben die Ärzte die Entscheidung getroffen, mich nach Regensburg zu verlegen. Dort haben sie die künstliche Lunge. Gott sei Dank: Wir haben sie nicht benutzt. Das nächste Gespräch hat mein Mann dann mit Regensburg geführt, denn ich musste irgendwann aus dem künstlichen Koma wieder raus, wegen der Spätfolgen. Über eine Woche, Tag für Tag, wurde das dann gemacht. Beim dritten Gespräch war ich dann wieder dabei. Da wurde mir gesagt: "Frau Turner, wenn Sie zwei Nächte ohne Maschine atmen können, können wir Sie von der Maschine nehmen." Ich habe mich konzentriert und sofort angefangen!

Und Ihre einzige Aufgabe war "atmen"?

  • Ich lag im Bett und habe mich konzentriert. "Finnish Way" heißt das. "Ich muss von der Maschine!", habe ich mir gedacht, eingeatmet, ausgeatmet. Die ganze Nacht habe ich nicht geschlafen, habe nur geatmet und hab's geschafft, am zweiten Tag auch. "Das wird gehen! Ich mach' das!", hab ich mir gesagt, und die Maschine ist weggekommen.

Ab dem Zeitpunkt, als Sie wieder wach waren, haben Sie gemeint: "Jetzt bin ich kämpferisch!"?

  • Genau, ich habe mir gedacht: "Das geht gar nicht! Ich will nicht an der Maschine hängen, ich will mir nicht vorschreiben lassen, wann ich atme, das geht überhaupt nicht!" Das Schlimme, wenn man an der Maschine hängt und aus dem Koma aufwacht, das ist, dass man sich wehrt. Man weiß ja nicht, was los ist. Mein Mann hat am Telefon mit mir gesprochen, damit ich mich orientieren konnte. Dann konnte man's mir erklären und ich hab's akzeptiert und angefangen, mit der Maschine zu atmen. Eine Woche später kam das Sprechventil. Anfangs war da nur ein Kratzen, aber mittlerweile sage ich: "Ich habe meine Stimme wiedergefunden und die nimmt man mir nicht mehr weg!"

Als Sie sich für das künstliche Koma entschieden haben, war Ihnen doch sicher sehr mulmig zumute?

  • Ich habe den Arzt gebeten: "Gib mir eine halbe Stunde!" und habe jeden angerufen, der in meinem Leben wichtig ist. Meinen Vater, meinen Sohn auf Geschäftsreise in Singapur, meine ganze Familie. Ich habe "Auf Wiedersehen!" gesagt. Ich habe ihnen die Lage erklärt, habe Ihnen gesagt, dass es die Möglichkeit für mich gibt, aber dass es schlecht aussieht, und habe mich verabschiedet.

Und dann sind Sie wieder aufgewacht in einer total neuen Situation. Sie wussten, Sie sind da, aber wo und wie?

  • Ja, ich dachte, ich bin noch in Kronach. Ich habe erst später erfahren, was alles gemacht wurde, dass ich verlegt wurde, um mich besser behandeln zu können, und wie sich alle um mich gekümmert haben, als ich im künstlichen Koma war. Viele Leute haben geholfen, haben tolle Arbeit geleistet. Ich weiß nicht, wer alles dabei war, aber ich suche schon. Gestern war ich unten beim Echo und der Arzt hat mich wiedererkannt. "Ach du meine Güte, Frau Turner!", hat er gerufen "Sie haben es geschafft, Sie haben es geschafft!" Ich habe erfahren, dass er mit dabei war und habe ihm Danke gesagt. Ich möchte jeden umarmen und "Danke!" sagen.

Sie haben sich bei der Arbeit angesteckt. War dann auch Ihre Familie betroffen?

  • Mein Mann und mein zweiter Sohn haben sich infiziert, ich habe das Virus heimgebracht, beide sind positiv geworden. Das ging sehr schnell. Mittlerweile sind sie wieder gesund, aber sie waren in Quarantäne.

Sie haben sicherlich in den letzten Tagen auch die Nachrichten verfolgt. Viele Leute zweifeln und hinterfragen die Schutzmaßnahmen und fordern schnelle Lockerungen. Kommt Ihnen das merkwürdig vor?

  • In Regensburg habe ich einen echten Notzustand erlebt, da gab es auch Patienten aus Italien. Hier im Haus war auch auf der anderen Station im Nachbarzimmer ein Verdachtsfall. Ich möchte die Demonstranten da mit hinnehmen und ihnen sagen: "Schau dir an, worüber du redest!" Ich habe es gekriegt, ich war tot ... fast!

Sie haben gekämpft!

  • Ja, aber das kann nicht jeder. Wir reden über das Leben und den Tod von vielen Leuten und über die Einschränkungen, die sie vielleicht hinterher haben, wenn sie aus dem Koma kommen. Ich kann und will es nicht verstehen, dass man das kleinredet und auch instrumentalisiert.

Gibt es etwas, worauf Sie sich freuen?

  • Ich habe meine Familie, meinen Mann, meine Söhne...aber eben auch mein soziales Umfeld, meine Kollegen und die Bewohner in meinem Pflegeheim. Ich arbeite jetzt schon zwei Jahre dort, da baut man Beziehungen auf. Ich vermisse das. Mein ganzer Ausblick hat sich komplett verändert!

Inwiefern? 

  • Mein Blick auf meinen Job hat sich komplett verändert. Manchmal klingelt es hier und gleichzeitig dort und man denkt nur noch "Ach Gott, ich muss erst mal das und jenes machen, bevor ich dahingehe!". Jetzt weiß ich: Sozialer Kontakt, darauf kommt es an. Ich liebe meine Arbeit und habe mir das genau überlegt. Meine Patienten, meine Bewohner werden jetzt anders behandelt. "Was brauchen Sie, wie kann ich behilflich sein, was kann ich für Sie tun?" Das wird jetzt jeden Tag mein Arbeitsmotiv sein. Das Interview führte Stefan Studtrucker, Referent für Unternehmenskommunikation an der Helios Frankenwaldklinik Kronach.