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Bundestagswahl: Was vier Erstwähler vor der Wahl beschäftigt


Autor: Marian Hamacher

Kronach, Donnerstag, 21. Sept. 2017

Die 18-jährige Isabella Fuchs hat zudem für infranken.de den "Wahl-O-Mat", eine Wahl-Entscheidungshilfe im Internet, getestet.
Zweimal hatte die Kronacherin Isabella Fuchs die 38 Fragen des "Wahl-O-Mat" bereits beantwortet. Bei ihrer dritten Runde ließ sie sich vom Fränkischen Tag über die Schulter schauen. Foto: Marian Hamacher


Die Schule hat Isabella Fuchs längst hinter sich. Seit diesem Monat befindet sich die junge Frau in Kronach im zweiten Lehrjahr zur Industriekauffrau. Am Sonntag zieht es sie wieder zurück - wenn die Schule zum Wahllokal wird. Es seien aber gemischte Gefühle, mit denen sie auf den Wahltag blicke, erklärt die 18-Jährige. "Einerseits freue ich mich, dass ich nun endlich wählen gehen darf, andererseits ist mir aber auch etwas mulmig, wenn ich daran denke, dass die AfD in den Bundestag einziehen könnte."

Politisch sei sie schon immer interessiert gewesen, wählen durfte sie aber nicht. Was bedeutet es ihr da, nun die magische Altersgrenze überwunden zu haben und ihre Stimme abgeben zu dürfen? "Wählen gehen zeigt, dass man zu einem gewissen Grad Verantwortung übernehmen kann", ist Fuchs überzeugt.


Politisch selbst einbringen

Doch sie will nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern auch mitgestalten - weshalb sie vor einem Dreivierteljahr in die Junge Union, der gemeinsamen Jugendorganisation von CSU und CDU, eintrat. Da erübrigt sich die Frage, ob sie schon weiß, bei welcher Partei sie am Sonntag ihr Kreuz setzten wird.

Dennoch nutzte Fuchs den Wahl-O-Mat (www.wahl-o-mat.de). Auch, um zu vergleichen, ob ihre Standpunkte mit der Partei übereinstimmen, in die sie sich nun selbst politisch einbringen möchte.

Denn genau darum geht es bei dem Informationsangebot der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB). Eine Plattform bieten, verschiedene Positionen zu vergleichen und sich eine eigene Meinung bilden zu können.

Man klickt sich dafür durch 38 Thesen zu den unterschiedlichsten Themenbereichen - und ist jedes Mal aufgefordert, seine Zustimmung, Ablehnung oder eine neutrale Haltung zu signalisieren.


"Ich bin da mega unschlüssig"

Zweimal hat sich Fuchs bereits vor dem Bildschirm mit den Thesen auseinandergesetzt - in der FT-Redaktion lässt sie sich bei ihrem dritten Anlauf von uns über die Schulter schauen. Doch noch immer gibt es Themen, bei denen sie sich für das Feld "neutral" entscheidet. Eine mögliche Obergrenze für Asylsuchende ist so ein Fall. "Da musste ich mich erst mal schlau machen", sagt die 18-Jährige. Doch weder die Argumente der Befürworter noch der Gegner haben sie überzeugt. "Ich bin da mega unschlüssig."

Bei anderen Thesen ist die Entscheidung hingegen schon getroffen, sobald die Frage auf dem Bildschirm erscheint - etwa, ob der Ausbau erneuerbarer Energien vom Bund dauerhaft finanziell gefördert werden soll oder die Bundeswehr im Inland für die Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden darf. Klares "Ja", findet Fuchs.


Überraschung beim Ergebnis

Bevor das Ergebnis angezeigt wird, dürfen Thesen, die einem besonders wichtig sind, mit einem Stern markiert werden. Der sorgt dann dafür, dass sie stärker ins Ergebnis einfließen. Fuchs entscheidet sich für die Themen Tempolimit (dagegen), Abschaffung des Euro (dagegen), Projekte gegen Rechtsextremismus (dafür) und die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags (dafür). Das Ergebnis: 79,1 Prozent Übereinstimmung mit der CSU, gefolgt von der SPD (67,4). "Das hat mich überrascht", sagt Fuchs. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass sie einer größere Übereinstimmung mit der FDP hat.

Und was ist ihr Rat an Unentschlossene? "Zieht euch nicht aus der Verantwortung! Die Zukunft ist ungewiss - und man sollte sie auf der Basis der Vernunft mitgestalten."

Robin Büttner (21)

"Derzeit schwanke ich noch zwischen zwei oder drei Parteien. Es kann gut sein, dass ich bei der Erst- und Zweitstimme jeweils eine andere Partei wähle. Ich habe mich dieses Jahr sehr auf den Wahl-O-Mat gefreut. Die Politik sagt zwar einen Haufen Zeug, man weiß aber trotzdem nicht immer genau, wofür sie steht. Im Wahl-O-Mat sind die Thesen genau ausformuliert, sodass man sich daran besser orientieren kann. Ein Thema, das mir wichtig ist, ist die Rente. Die ist bei mir zwar noch etwas hin, doch speziell in Nürnberg sehe ich viele Rentner, die Flaschen sammeln gehen. Da mache ich mir schon Gedanken, wie es aussieht, wenn ich in die Rente gehe."

Svenja Wohlrath (18)

"Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen und Briefwahl gemacht. Ich finde es wichtig, wählen zu gehen, denn die Bundestagswahl ist eine Chance, die man nutzen sollte. Sie bestimmt schließlich zu einem großen Teil unser Leben in den nächsten vier Jahren. Das Interesse an der Politik ist bei mir allerdings erst im letzten Jahr aufgekommen, vorher hatte ich mich weniger damit beschäftigt und sie war auch in meiner Schulzeit selten Thema. In der Berufsschule wurden nun aber die Wahlprogramme der Parteien und der Wahlkampf im Sozialkundeunterricht durchgenommen. Das hat mir bei der Entscheidungsfindung sehr geholfen."

Raphael Thoma (18)

"Da ich nun mitwählen darf, höre ich bei den Nachrichten viel intensiver zu. Eine Wahlentscheidung habe ich noch nicht getroffen. Dafür werde ich mich jetzt noch einmal mit den Inhalten der 25 Parteien auseinandersetzen. Denn ich finde es wichtig, sich nicht nur auf die großen Parteien zu konzentrieren. Abstimmen werde ich per Briefwahl. Da ich von Geburt an blind bin, habe ich eine Schablone mit den Zahlen von 1 bis 25 erhalten, die ich auf den Wahlzettel auflegen kann. Vorher muss man sich eine CD anhören, auf der vorgelesen wird, welche Partei und welcher Kandidat sich hinter welcher Zahl verbirgt. Die muss man sich dann merken und sein Kreuz setzen."

Kommentar von Marian Hamacher: Errungenschaften der Demokratie nutzen

Natürlich ist es auch diesmal passiert. Mittlerweile kann ich mich wohl darauf verlassen. Dabei ist es egal, ob ein neuer Bürgermeister, Landrat oder nun Bundeskanzler gesucht wird: Sobald eine politische Wahl näher rückt, befinde ich mich gedanklich plötzlich wieder in einem lichtdurchfluteten Seminarraum.

An dessen Kopfseite sitzt ein älterer Mann, Ende 60, mit kurz geschnittenen Haaren rund um seine Glatze und einem ebenso kurzen grauen Dreitagebart im Gesicht. Sein Name: Rainer Eppelmann.

Der Dozentin war es 2010 gelungen, den evangelischen Pfarrer, DDR-Bürgerrechtler und späteren CDU-Politiker anlässlich des sich jährenden 20. Jahrestags der Wiedervereinigung zu einer Diskussion an die Universität einzuladen.
Nun hat Eppelmann an jenem Tag einiges erzählt, das es wert wäre, auch sieben Jahre später noch daran zurückzudenken.

Geschafft hat es aber letztlich ein Satz - und die dazugehörende Anekdote. Sie spielt zu einer Zeit, in der Eppelmanns Haare zwar bereits ähnlich licht waren wie 2010, der Bart aber noch schwarz und deutlich voller: am 18. März 1990. Tränen hätten ihm an diesem Tag in den Augen gestanden, als ihm ein Freund auf der Straße begegnete. Weshalb er weine, habe der wissen wollen. Die Antwort: "Ich habe gewählt!" Es waren Tränen des Glücks.

Was für viele längst eine Selbstverständlichkeit ist, war für die Bürger der ehemaligen DDR damals etwas Historisches. Schließlich war die Volkskammerwahl 1990 die erste und einzige, die demokratischen Grundsätzen entsprach.
Auch für Eppelmann war es die erste freie Wahl. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits 47 Jahre alt. Womöglich müssen sich gerade jene Generationen, die in einem demokratischen, vielleicht sogar wiedervereinigten Deutschland geboren wurden, in Erinnerung rufen, dass das Recht zu Wählen nicht selbstverständlich ist - gerade, wenn es die Parteien dem Wähler mitunter wieder schwer machen, eine Wahlentscheidung zu treffen.

Frühere Generationen haben dafür demonstriert, noch frühere gar ihr Leben verloren. Jede Stimme zählt gleich viel. Eine Errungenschaft der Demokratie, die aber auch Verantwortung bedeutet.

Um nicht zu wählen, ist eine Wahl schlicht zu wichtig. In diesem Jahr womöglich sogar noch einmal ein bisschen mehr. Jüngste Sonntagsfragen sehen die AfD nahe der zehn Prozent, teilweise sogar darüber. Wer seinen Stimmzettel heuer in die Urne wirft, muss sich so zumindest nicht vorwerfen, teilnahmslos mit zugesehen zu haben, wie erstmals eine rechtspopulistische Partei in den deutschen Bundestag einzieht.