Biografie über Martin Schulz: "Er kann Gänsehaut hervorrufen"
Autor: Franziska Rieger
Kronach, Dienstag, 01. August 2017
Der Journalist Manfred Otzelberger hat eine Biografie über Martin Schulz geschrieben. Am Mittwoch stellt er sein Buch in Kronach vor.
Biografien über Politiker gibt es viele. Der Journalist Manfred Otzelberger war der erste, der in Deutschland eine Biografie über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz verfasst hat. Diese stellt er heute in Kronach vor. Geboren wurde der 58-Jährige in Forchheim. Seine journalistische Karriere startete er beim Fränkischen Tag, heute lebt und arbeitet er in München. Obwohl es laut Otzelberger ein Geschenk ist, ein Buch zu schreiben, bleibt seine Hauptaufgabe der Tagesjournalismus. Im Interview mit dem Fränkischen Tag spricht er über seine Arbeit an der Biografie und warum Martin Schulz jetzt ein Wunder braucht.
Herr Otzelberger, warum haben Sie ausgerechnet eine Biografie über Martin Schulz geschrieben?
Manfred Otzelberger: Martin Schulz ist für mich der interessanteste Politiker in Deutschland neben Christian Lindner, ein Mann, der Irrungen und Wirrungen erlebt hat, eine aufregende Story hat. Ganz viele hatten Mr. Europa Anfang 2017 immer noch nicht auf der Rechnung. Er kam völlig überraschend. Als Kandidat wurde er von Sigmar Gabriel den Wählern auf dem Silbertablett serviert. Er ist aus dem Raumschiff Brüssel sozusagen in die Champions-League der deutschen Politik hineingesprungen. Viele hatten sich auf ein ebenbürtiges Duell mit Angela Merkel gefreut, er braucht jetzt schon ein Wunder, um über 30 Prozent zu kommen.
Was macht Schulz so interessant?
Das Interessante an ihm ist, dass er ein Mensch mit Brüchen in seiner Biografie ist. Er versucht diese Brüche nicht geheim zu halten. Die Wähler wissen, dass er Kraft und Selbstdisziplin hat. Er war als junger Mann mehrere Jahre dem Alkohol verfallen und hat sich da selbst wieder herausgezogen. Dass es möglich ist, so eine große Krise zu überstehen, führt dazu, dass er selbstbewusst ist und furchtlos auftritt. Denn er weiß, dass er in seinem Leben schon ganz andere Probleme gemeistert hat.
Die Tatsache, dass er die Schule abgebrochen hat, kein Abitur besitzt, dass er kein Studium absolviert hat, hat ihn stärker gemacht. Seine vermeintlichen Schwächen hat er zu seinen Stärken gemacht. Er ist ein Selfmademan, kein Karrierist von der Uni.
Wie bewerten Sie den "Schulz Hype", der nach seiner Kanzler-Kandidatur ausgebrochen ist?
Dieser Schulz-Hype ist wie durch Zauberkraft gekommen. Schulz hat das, glaube ich, selbst nicht ganz verstanden.
Inzwischen ist der ja wieder abgeflacht.
Dass die Begeisterung wieder abgeschmolzen ist, lag an einer merkwürdigen Passivität von Schulz selbst. In der Mediengesellschaft ist es so, dass man die Menschen nicht wochenlang auf ein Programm, das die SPD verabschiedet, vertrösten kann. Man muss als Herausforderer immer nachlegen. Das hat er einfach versäumt. Warum nicht 16 große Reden zu 16 Themen in 16 Bundesländern? Die SPD hat keine Events erzeugt.
Gleichzeitig muss man sagen, dass Angela Merkel ihre Schwäche, die sie in den letzten zwei Jahren hatte, überwunden hat und auf einmal wieder hellwach und in Topform erscheint. Sie macht einfach keine Fehler mehr und wirkt kein bisschen amtsmüde.
Welche Vorteile hat Schulz gegenüber Merkel?
Seine mitreißende Rhetorik. Er redet frei, kann Gänsehaut hervorrufen. Schulz wurde deshalb freudig - auch parteiübergreifend - begrüßt, weil er die Emotion wieder in die deutsche Politik zurückbringen sollte. Merkel hat ja alles versachlicht, alles herunter gedimmt.
Schulz präsentiert sich sehr heimatnah. Besteht die Gefahr, dass er abheben könnte und seine Versprechungen, die er im Wahlkampf macht, nicht realistisch sind?
Das glaube ich nicht. Für mich ist er noch zu wenig Visionär. Und ich glaube nicht, dass Schulz abhebt. Seine Heimatstadt Würselen hat 40 000 Einwohner. Das erdet. Schulz ist sozusagen eine Geburt aus der Provinz. Er weiß, wie Menschen ticken. Er ist noch näher dran am Leben der normalen Menschen, die da in Würselen durch die Stadt laufen. In ihm steckt immer noch ein Stück weit ein kleiner Mann. Behauptet nicht nur sein Friseur, der ihm in Würselen den Bart perfekt schneidet.
Wenn man Kritik an Schulz äußern müsste: Welche wäre das?
Ich finde, Schulz hat einen großen Nachteil: Er hat kein Amt. Er hätte auch Außenminister werden können, dann wäre er heute möglicherweise so beliebt wie Sigmar Gabriel. Dass Gabriel heute beliebter ist als Schulz wird den Kanzlerkandidaten sicher nicht amüsieren. Aber ein Minister Schulz wäre auch in der Kabinettsdisziplin gewesen.
Er wollte die totale Beinfreiheit, die volle Unabhängigkeit von Merkel haben. Aber lange hat er sie mit Wattebäuschen beworfen, überhaupt nicht attackiert. Er hat immer nur von der "Mitbewerberin" gesprochen. Später kamen dann die Attacken, aber die waren ein bisschen hilflos. Indem er ihr einen "Anschlag auf die Demokratie" vorwirft - das war deutlich zu viel Attacke, es war falsch formuliert. Damit kann man in die Schlagzeilen kommen, aber es nutzt einem nicht viel. Mir fehlt der griffige Slogan für die SPD und ein Konzept, für das man sich begeistern kann. Da reicht es nicht aus, wenn man auf mangelnde soziale Gerechtigkeit verweist.
Zurück zu der Arbeit an ihrem Buch. Wie lange haben Sie für die Biografie recherchiert?
Ich kenne Schulz seit 2012. Da haben wir das erste Interview geführt, als er Präsident vom Europaparlament wurde. Da fiel mir eben auf, dass er ein lockerer Typ ist, der nicht ständig diese Politikerphrasen im Mund führt. Ich habe ihn dann immer wieder beobachtet. Und im Herbst 2016 habe ich mit einem Kollegen vom "Stern" nach einer Veranstaltung mit Schulz gewettet, dass Schulz Kanzlerkandidat wird und nicht Gabriel. Und die Flasche Champagner, die Wettschuld, ist inzwischen beglichen.
Mit welchen Personen haben Sie für die Biografie gesprochen?
Ich habe mit über 30 Personen gesprochen, die Schulz kennen und ihn beurteilen können. Das Zentrale in dem Buch ist: Woher kommt Schulz? Und wie ist er zu diesem Machtpolitiker geworden, der immer noch den Eindruck erweckt, als ob man mit ihm ein Bier trinken kann.
Ganz wichtig für mich war der Kontakt zur Familie Schulz. Seine Frau war für mich nicht zu sprechen, Schulz hält sie vollkommen aus dem Wahlkampf raus, aber ich konnte trotzdem sehr viel über sie herausbekommen, indem ich sehr viele Leute in Würselen befragt habe. Ganz wichtig für mich war die Schwester von Martin Schulz, Doris, die mir ganz viel darüber verraten hat, wie die Familie Schulz tickt.
Denn Schulz ist ein absoluter Familienmensch. Die Politik hat er quasi am Küchentisch gelernt. Seine Mutter war ironischer Weise CDU-Vorsitzende in Würselen. Aber die Kinder und der Vater waren eigentlich alle Sozis. Dadurch kam es dazu, dass eine sehr klare Weltanschauung bei Schulz entstanden ist. Er ist roter als Blut. Aber ein Pragmatiker.
Wie lange haben Sie an der Biografie geschrieben?
Für Bücher braucht man normalerweise Monate, wenn nicht Jahre. Dieses Buch musste ganz schnell auf den Markt, weil natürlich Konkurrenten da waren. Aber auch, weil man rasch wissen wollte, wie Schulz tickt. Geschrieben habe ich es letztendlich in vier Wochen, von Februar bis Anfang März 2017. Das war absolute Selbstausbeutung. Da drehte sich mein Leben nur noch um Schulz. Ich wurde zum Schulzologen.
Über welchen Politiker würden Sie noch gerne eine Biografie schreiben?
Mich interessieren schillernde Politiker, die als Mensch interessant sind. Ich habe ja auch schon über Gabriele Pauli eine Biografie geschrieben. Mich würde zum Beispiel Markus Söder interessieren - eine wunderbar kontroverse Figur, die bewundert und verteufelt wird. Kein Wischi-Waschi-Typ.
Interessant.
Für mich ist Söder ein ganz großes politisches Talent. Eigentlich der kompletteste Politiker, den wir in Bayern haben. Aber eben auch ein Mensch, der möglicherweise über seinen Ehrgeiz fallen kann. Und der momentan systematisch von Horst Seehofer ausgebremst wird.
Welche Arbeit gefällt ihnen denn besser? Die journalistische oder schriftstellerische Arbeit?
Mein Hauptjob ist der Tagesjournalismus bei der "Bunten", Europas größtem Promimagazin. Das macht schon wahnsinnigen Spaß. Ein Buch zu schreiben, das ist so zu sagen ein Geschenk, dass man sich zwischendurch mal selber macht. Vorausgesetzt man hat etwas zu sagen und mitzuteilen.
Das Gespräch führte Franziska Rieger
Manfred Otzelberger zu Gast in Kronach
Manfred Otzelbergers Buch "Martin Schulz - Der Kandidat: Die Biografie" ist im April 2017 im Herder-Verlag erschienen.
Am Mittwoch, 2. Juli 2017, ist er ab 19 Uhr in der Kronacher Synagoge zu Gast, um sein Buch vorzustellen. Mit Doris Aschenbrenner, der Coburger SPD-Bundestagskandidatin, wird er über Martin Schulz diskutieren. fr