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Babyleichen in Wallenfels: Das sagt die Mutter vor Gericht aus


Autor: Peter Groscurth

Coburg, Dienstag, 12. Juli 2016

Der Fall der Babyleichen in Wallenfels wird seit Dienstag in Coburg verhandelt. Im Mittelpunkt stand zunächst die Aussage der Angeklagten.
Foto: Ronald Rinklef


Müde und mitgenommen sieht die Frau aus. Zögernd wirkt sie, als sie von Polizeibeamten in den großen Verhandlungsraum des Landgerichts Coburg gebracht wird. Andrea G. richtet den Blick zu ihrem Verteidiger und spricht kurz mit ihm. Die Frau ist angeklagt, vier Säuglinge nach heimlichen Geburten zuhause in Wallenfels (Landkreis Kronach) getötet zu haben. Sie verdeckt ihr Gesicht mit einer Mappe zu Prozessbeginn, hält auch danach immer wieder ihre Hand fast scheu vor das Gesicht.


Babyleichen-Fund in Wallenfels: der Fall

Das war passiert: Polizisten entdeckten am 12. November 2015 nachmittags die sterblichen Überreste von acht Babys im Abstellraum eines Hauses in Wallenfels (Landkreis Kronach). Die 45-jährige Mutter, Andrea G., gestand, einige Säuglinge im Stehen lebend geboren und danach sofort umgebracht zu haben. Die Frau war kurz nach dem grausamen Fund in einer Pension in Kronach verhaftet worden, nur etwa 15 Kilometer vom Fundort der acht Säuglingsleichen entfernt.

Die Angeklagte hatte kurz nach der Entdeckung der Babyleichen ein Geständnis vor Polizei abgelegt - ohne einen Verteidiger an ihrer Seite. Seit ihren ersten Erklärungen hatte die Frau aber geschwiegen; bis heute.

Laut Anklage wird ihr vorgeworfen, nach den Geburten die schreienden Säuglinge im eigenen Haus mit Handtüchern erstickt zu haben. Nach ihren Aussagen soll sie die Geburten ohne einen Arzt und ohne ihren Mann durchgeführt haben. Möglicher Grund für die Morde war, dass das Ehepaar keine weiteren Kinder wollte. Von 2003 bis 2013 war sie acht Mal schwanger - beim letzten Kind habe es sich um eine Totgeburt gehandelt.



Laut Ermittlungen wollte sich die Angeklagte weitere finanzielle und zeitliche Belastungen durch die Kinder ersparen. Eine Sterilisation oder Verhütungsmittel zur Vermeidung weiterer Schwangerschaften habe sie abgelehnt. Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Trotz der acht Geburten hätten die Angeklagten ihr Leben uneingeschränkt und in gewohnter Weise fortgeführt. Das zeuge von sexuellem Egoismus, Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit. Oberstaatsanwalt Martin Dippold blickt zur Angeklagten und wirft ihr vor: "Ihnen kam es nur darauf an, weiterhin uneingeschränkt sexuell aktiv zu sein - ohne jegliche Bedenken gegen die Folgen und den Wert ungeborenen Lebens aufkommen zu lassen."

Lange Zeit war unklar, ob auch der Ehemann der Mutter angeklagt wird. Ihm wird nun vorgeworfen, dass er Kenntnis von den Schwangerschaften erlangt und auch damit gerechnet habe, dass seine Gattin die Neugeborenen umbringe. Zudem unterließ Johann G., Behörden oder Ärzte zu verständigen.


Die Geschichte der Angeklagten Andrea G.

Die Angeklagte Andrea G. macht gegenüber dem Landgericht über ihren Anwalt Till Wagler erstmals öffentlich Angaben zur Anklage: "Meiner Mandantin fällt es schwer, darüber zu reden. Sie hat auch Sachverständigen in der U-Haft nur knapp geantwortet. Sie machte ihr Leben lang nur die Dinge mit sich aus und baute eine Fassade um sich auf." Anwältin Julia Gremmelmaier sagt zudem zur Kindheit von Andrea G.: "Mit drei Jahren kam sie in den Kindergarten in Wallenfels. Nur an den Wochenenden war sie bei den Eltern. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu den Großeltern." Mit ihren Eltern hatte sie kein gutes Auskommen, sie soll auch geschlagen worden sein und Kälte prägte die Beziehung zuhause.

Die Angeklagte soll aber als Jugendliche äußert sportlich gewesen sein, doch die Eltern lehnen eine Aufnahme in ein Sportinternat ab. Nach dem Hauptschulabschluss macht sie eine Ausbildung, mit 18 Jahren wird sie erstmals schwanger und beginnt sie trotzdem eine Arbeit am Fließband bei Loewe. Bis kurz vor der Geburt will sie nichts bemerkt haben. 1995 wird sie zum zweiten Mal Mutter und auch in diesem Fall ist sei sie ahnungslos gewesen.

Im Jahr 2000 lernt sie ihren späteren Mann Johann G. kennen und wird erneut schwanger. Mit 35 Jahren gibt sie ihren Job auf und die Familie lebt nur noch vom Gehalt ihres Mannes. Wenige Wochen vor der Entdeckung der Babyleichen lernt sie nach eigenen Worten einen neuen Mann kennen.


Manchmal schrie ein Kind, manchmal nicht

Rechtsanwalt Wagler sagt über seine Mandantin: "Andrea G. ist extrem verschlossen. Selbst ihre beste Freundin wusste nicht viel davon, was in ihr vorging. Es zeigt sich in den weiteren Schwangerschaften, dass Andrea G. spät erfasste, was da vorging, sie bemerkte das extrem spät. Einer möglichen Sterilisation wich sie aus. Ihre Mutter hatte zwar einen Termin im Waldkrankenhaus in Erlangen vereinbart, ihr Mann brachte sie auch dorthin. Meine Mandantin ging stattdessen aber in eine Pension und ließ sich einen Tag später abholen."

Ihr Mann soll sich nie nach der Abtreibung erkundigt haben. Ein halbes Jahr später aber wird sie wieder schwanger. Johann G. fordert die Abtreibung, es kommt zum Streit. Die Angeklagte soll verzweifelt gewesen sein, hat niemanden zum Reden. Sie führt ihr normales Leben weiter, verdrängt die Schwangerschaft.

Ihr Anwalt: "Sie brachte ihr Kind in der Küche im Stehen zur Welt, die Nabelschnur zerriss. Sie wickelte das Kind in ein Handtuch ein. Sie weiß aber nicht, ob es schrie oder lebte. Sie kann sich an keine weiteren Details mehr erinnern. Sie brachte das Baby in die ehemalige Sauna und bekam Heulkrämpfe. Das alles wiederholte sich sieben Mal und sie schwieg gegenüber ihrem Partner."

Sie sei von der Geburt jedes Mal überrascht worden. Manchmal habe ein Kind geschrien, manchmal nicht. Aber jedes Mal soll die Angeklagte die Säuglinge in Handtücher eingepackt haben. Dazu erklärt Wagler: "Sie hat es aber nicht geschafft, diese Taten zu verdrängen. Sie hat sich daher in den Alkohol geflüchtet, kümmerte sich nicht mehr um ihre Kinder zuhause. Sie hat auch während eines Streits ihrem Mann gestanden, dass es im Haus ein totes Baby gibt. Und sie hat ihm auch eine spätere Schwangerschaft gestanden."


Die Mutter wollte die toten Babys mitnehmen

Ihr Partner habe damals nur hämisch gelacht. Wagler weiter: "Danach war ihr alles egal. Darunter haben vor allem die Kinder gelitten. 2015 lernte sie einen neuen Mann kennen und fasste Hoffnung. Sogar die toten Kinder wollte sie in ihr neues Leben und in die neue Wohnung mitnehmen." Ihr Ehemann, ein gelernter Metzger-Meister, habe zunächst bezweifelt, dass die ersten Kinder von ihm seien, soll das auch seiner Partnerin erklärt haben. Laut eigenen Aussagen habe Johann G. sie nach Kronach zur Sterilisation gefahren. Später aber sei sie erneut schwanger geworden. Ihr Mann dazu: "Danach habe ich sie zum Wegmachen nach Erlangen gefahren." Dort sollte auch Abtreibung und Sterilisation erfolgen. Zu weiteren Details schwieg Johann G. vor Gericht.

Im Mittelpunkt des Prozesses wird ein psychiatrisches Gutachten stehen, das sich auch mit der Schuldfähigkeit der Angeklagten befasst.

Das Töten von Säuglingen ist kein Einzelfall: In Bad Alexandersbad (Landkreis Wunsiedel) waren bereits im Oktober 2013 bei Bauarbeiten zwei Babyleichen gefunden worden, die Mutter soll sie in den 1980er Jahren geboren, aber nicht versorgt haben. Vom Landgericht Hof wurde sie vor fast genau einem Jahr jedoch freigesprochen: Mord sei ihr nicht mehr nachzuweisen - und Totschlag sei bereits verjährt.