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Babyleichen-Prozess: Angeklagte Andrea G. ist schuldfähig


Autor: Marco Meißner

Wallenfels, Donnerstag, 14. Juli 2016

Am dritten Verhandlungstag um die Babymorde von Wallenfels hatten Sachverständige das Wort. Dabei wurde deutlich, dass die Angeklagte schuldfähig ist.
Am Landgericht wird derzeit der Prozess um die Babymorde von Wallenfels verhandelt. Angeklagt sind Andrea und Johann G. Foto: Marco Meißner


Es war ein Bild des Grauens, das der medizinische Sachverständige Stephan Seidl am Donnerstag im Coburger Gericht zeichnete. Er sprach von Zersetzungsprozessen, von Faulleichengewebe, von nicht mehr erkennbaren Organen, von Fäulnisflüssigkeiten und vom Zusammensetzen der Knochen nach dem Fund von acht Babyleichen in Wallenfels. Die Mutter der Neugeborenen, Andrea G. (45), soll die Leichen der Kinder versteckt haben. Vier der Babys soll sie laut Anklage mit Handtüchern erstickt haben. Weiter hinterfragt das Gericht in diesem Verfahren, inwieweit ihr Mann Johann G. (55) von diesen Vorgängen wusste und sich gegebenenfalls der Beihilfe schuldig machte.

Von den sechs Jungen und zwei Mädchen, die in Tüten und Müllbeuteln verpackt worden waren, wären nach Seidls Erkenntnis fünf zumindest von ihrem Entwicklungsstand potenziell lebensfähig gewesen. Zwei der Kinder waren Frühgeburten, die ohne medizinische Versorgung nicht hätten überleben können. Ein Kind war eine Fehl- oder Todgeburt. In den Tüten wurden nicht nur die Kindesleichen vorgefunden. Auch Bettwäsche, Damenbinden, Bekleidungsstücke und sogar eine Zigarettenkippe und ein Kaugummi waren mit hineingestopft worden, wie weiter erklärt wurde.

Was Seidl bei der Untersuchung der Kindesleichen noch feststellen konnte, war, dass keine stumpfe oder scharfe Gewalt zum Tod der Babys geführt hatte. Was ebenso sicher ist: Die Angeklagten sind Mutter und Vater der Babys. "Daran gibt es keinen vernünftigen Zweifel", betonte der Sachverständige.

In die Psyche von Andrea G. blickten die beiden Sachverständigen Karoline Pöhlmann und Cornelis Stadtland. Pöhlmann bescheinigte der 45-Jährigen eine durchschnittliche bis in Teilbereichen leicht überdurchschnittliche Intelligenz. Hinweise auf hirnorganische Auffälligkeiten konnte sie nicht feststellen. Im Gespräch mit der Angeklagten hatte sie jedoch eine geringe Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion festgestellt. "Sie schien Schwierigkeiten auszublenden", meinte die Sachverständige.

Nach Pöhlmanns Ansicht habe die 45-Jährige ihre Schwangerschaften zumindest zum Teil wahrgenommen. Immerhin habe sie auch Maßnahmen ergriffen, diese zu verheimlichen. Andrea G. habe ihre Situation in der Schwangerschaft einfach ignoriert. Irgendwann sei der Angeklagten alles egal gewesen. Allerdings habe sie sich nicht von den Kindern trennen wollen, sie deshalb gelagert. Sie habe die Leichen sogar in eine neue Wohnung nachholen wollen. Eine Tötungsabsicht habe Andrea G. im Gespräch bestritten.


Schock und Erleichterung

Die Entdeckung der Babys sei für die 45-Jährige ein Schock gewesen, aber letztlich auch eine Erleichterung. Gegenüber der Psychologin habe sie später betont, dass sie öfter an die Kinder denke. "Aber es ist auch nicht so gewesen, dass dies ihr Leben maßgeblich beeinflusst hätte", führte Pöhlmann aus.

Cornelis Stadtland ging in seinem Gutachten vor allem auf die Schuldfähigkeit der Angeklagten ein. Diese zeige zwar außerhalb und innerhalb der Familie durchaus zwei Gesichter, im Großen und Ganzen sah er allerdings keine psychischen Probleme bei der 45-jährigen Angeklagten vorliegen. Kindheit, Schulzeit und Arbeitsleben sind seiner Ansicht nach in geordneten Bahnen verlaufen. Auch den Haushalt erledige sie. Die Kinder habe sie nicht vernachlässigt. Der Alkoholkonsum der Angeklagten sei zwar "riskant", habe bisher aber noch keine spürbaren Folgen. Und auch ihr "Horten" spricht nach Ansicht von Fachmann Cornelis Stadtland nicht für eine schwere Zwangsstörung.

"Es ist keine Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren", betonte Stadtland. Er unterstrich auf Nachfrage von Oberstaatsanwalt Martin Dippold weiter, dass die Vielzahl der Fälle nicht zwingend mit einer psychischen Erkrankung im Zusammenhang stehen muss. Jedenfalls lag aus seiner Sicht kein Anlass dafür vor, auf die Paragrafen 20/21 des Strafgesetzbuches zurückzugreifen. Diese würden die Schuldfähigkeit eines Angeklagten wegen einer schweren seelischen Störung verneinen oder vermindern.