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Ampel am Bahnhof: Auf einmal ist das Tacken weg


Autor: Lisa Kieslinger

Kronach, Donnerstag, 10. März 2016

Der Weg vom Kronacher Bahnhof zum Landratsamt war für Joachim Schirmer noch nie ein Problem. Doch vor vier Wochen änderte sich das. (Mit Kommentar)
Ohne das Tacken ist es für Blinde fast unmöglich die befahrene Straße zu erkennen. Ein Defekt, der schnell gefährlich werden kann.  Foto: Lisa Kieslinger


Es war einmal ein Montagnachmittag Anfang Februar. Joachim Schirmer ist mit dem Zug auf dem Weg von Pressig nach Kronach. Am Zielbahnhof angekommen, tastet sich der Rentner mit seinem Blindenstock seinen Weg zur Ampel. Allein der Bahnhofsvorplatz macht ihm das nicht gerade einfach: keine Absenkungen zwischen Straße und Gehsteig. "Für Barrierefreiheit ist der Kronacher Bahnhof nicht berühmt."

Doch zum Glück kennt sich Joachim Schirmer in der Stadt aus. Viele Jahre arbeitete er im Kronacher Landratsamt. Die Fußgängerampel, die auf den Bahnhofsvorplatz folgt, kennt er eigentlich nur zu gut. Doch an diesem Tag ist sie für den Mann, der kaum noch etwas sieht, nicht zu lokalisieren. "Der Tacker war nicht zu hören", erinnert sich Joachim Schirmer. Das Gefährliche: Wenn ein Blinder die Ampel nicht bemerkt, kann es schnell passieren, dass er vom Bahnhofsvorplatz direkt auf die Straße läuft.

Die Trennung zwischen Gehsteig und Straße ist mit dem Blindenstock nur schwer zu ertasten.

Gleich am selben Abend setzt sich der Rentner an seinen Computer und schreibt dem Ordnungsamt der Stadt Kronach. "Es kann ja sein, dass die Anlage kaputt ist. Das kann ja mal passieren." Am nächsten Tag eine Antwort: Das Ordnungsamt sei dafür nicht zuständig, habe die Mail aber an den Zuständigen bei den Stadtwerken weitergeleitet.


Vier Wochen später: nichts

Mittlerweile sind über vier Wochen vergangen. Selbst nach mehreren Nachfragen bei den Stadtwerken scheint sich keine wirkliche Lösung gefunden zu haben. "Für Sehende ist das vielleicht uninteressant, ob die Ampel Geräusche macht oder nicht. Aber für blinde Menschen ist das lebensnotwendig", verdeutlicht Joachim Schirmer die Dringlichkeit.

Er könne überhaupt nicht verstehen, dass die zuständige Behörde da nicht dran geblieben ist. "Ich hätte erwartet, dass sich die Zuständigen die Ampel vor Ort anschauen und dann sofort aktiv werden."
Während des Interviews mit Joachim Schirmer ruft Dieter Föllmer von den Kronacher Stadtwerken an. Er ist für die defekte Ampel zuständig. Auf Nachfrage teilt Dieter Föllmer folgendes mit: "In der Ampel ist ein Teil defekt. Der Bauhof hat bereits eine Auftragsbestätigung an Siemens geschickt, dass sie es reparieren dürfen", erklärt er das Prozedere. Das sei auch der Grund, warum es so lange gedauert hat. Das Ersatzteil müsse nun von Siemens bestellt werden, der Bauhof baue es dann ein.

Joachim Schirmer ist gespannt, ob und wann sich etwas tut. Das für ihn plötzliche Handeln nach vier Wochen Warten verknüpft er mit dem Besuch der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung vor ein paar Tagen. "Wahrscheinlich musste erst Verena Bentele die Ampel entdecken, dass die Behörden aktiv werden."

Meinung 
Das kann doch nicht wahr sein

Das behördliche Vorgänge immer etwas länger dauern ist bekannt. Mag ja sein. Schließlich muss alles immer von sämtlichen Stellen abgesegnet werden. Doch es kann nicht angehen, dass dadurch Menschenleben in Gefahr gebracht werden. Für die meisten Sehenden ist das Tacken an der Ampel wahrscheinlich eher ein nerviges Nebengeräusch. Doch für Blinde ist das ein lebensrettender Orientierungspunkt. Und nein, damit übertreibe ich nicht. Ein Schritt zu weit und man steht direkt auf der Fahrbahn, wo Autos mit bis zu 50 km/h drüber rauschen. Woher soll ein Blinder, der aus einer anderen Stadt kommt, wissen, dass da eine Ampel steht? Er braucht das Tacken. Eine Ampel, die nicht die Signale für Blinde aussendet, ist genauso sinnlos, wie für diese ein Schild aufzuhängen, auf dem steht: "Achtung hier ist eine Straße. Bitte nur bei Grün gehen." Die Behörden wurden von Joachim Schirmer mit der Nase auf dieses Problem gestoßen. Und trotzdem dauert es vier Wochen, bis etwas angeleiert wird. Das kann und darf einfach nicht wahr sein. Spätestens hier muss unsere Bürokratie ein Ende haben.