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Afghane (23) in Kronacher Asylunterkunft getötet: Jetzt beginnt der Prozess


Autor: Sandra Hackenberg

Kronach, Montag, 07. Dezember 2020

Vor acht Monaten wurde ein 23 Jahre alter Afghane in der Kronacher Asylunterkunft getötet, der junge Mann starb. Morgen beginnt der Prozess gegen seinen mutmaßlichen Mörder.
Hinter den kargen Wänden der Kronacher Asylunterkunft hat sich die tödliche Messerattacke im April ereignet.  Foto: Sandra Hackenberg


Binnen eines flüchtigen Augenblicks wurden in der Kronacher Asylunterkunft im April diesen Jahres zwei Leben zerstört. Wie wurde aus einem Widerstandskämpfer gegen die Taliban ein mutmaßlicher Mörder? Auf diese Frage versucht das Landgericht Coburg ab dem morgigen Mittwoch (8. Dezember 2020), eine Antwort zu finden. Auf der Anklagebank sitzt ein Afghane, zum Tatzeitpunkt 28 Jahre alt. Er soll einen fünf Jahre jüngeren Landsmann im Streit abgestochen haben. Wird H. wegen Totschlags verurteilt, drohen ihm mindestens fünf Jahre Haft.

Der Angeklagte kam 2015 in den Landkreis Kronach, nachdem er aus seinem Heimatland geflohen war. In Afghanistan hatte er sich einer Widerstandsgruppe gegen die Taliban angeschlossen - die Terroristen trachteten ihm nach dem Leben. Doch seine zweite Chance in Deutschland hat H. nicht genutzt. Gewaltausbrüche bestimmen sein Leben. Schlägereien. Anzeigen. Immer wieder gerät er mit dem Gesetz in Konflikt. Im vergangenen Sommer bekommt er dafür die Quittung: die Abschiebeaufforderung.

"Das war ein enormer Druck, dem er leider nicht standgehalten hat." Barbara Heinlein von der Flüchtlingshilfe Kronach hat in den Monaten vor der Messerattacke miterlebt, wie sich der psychische Zustand des Angeklagten verschlechtert hat. H. flüchtete zu Bekannten nach Frankreich, die Polizei griff ihn auf und brachte ihn zurück. In der Asylunterkunft - sieben Männer aus verschiedenen Ländern auf einem Zimmer - kam es immer wieder zum Streit, auch zwischen dem Opfer und dem vermeintlichen Täter.

Suizidversuch und Psychiatrie

In den Wochen vor den tödlichen Messerstichen hat H. keinen Sinn mehr in seinem Leben gesehen. Das berichtete im April ein langjähriger Weggefährte. Eine hoffnungslose Zukunft. Dazu die Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, wo die Terroristen auf ihn warten. Selbstmordversuch, Psychiatrie. Die Behandlung zeigt nicht den erhofften Erfolg. H.s innere Dämonen sind zu laut und zu stark.

Was genau an besagtem Morgen in der Asylunterkunft in der Alten Ludwigstädter Straße passiert ist - noch unklar. Fest steht, dass es gegen 11.30 Uhr zu einem Streit zwischen dem Opfer und H. kam, der zu diesem Zeitpunkt bereits in einer anderen Unterkunft außerhalb des Landkreises gewohnt hat. Wenige Sekunden später wird der Afghane mit dem Messer niedergestochen und stirbt. Er wird nur 23 Jahre alt.

H. flüchtet erneut nach Frankreich, die Polizei setzt eine Belohnung von 3000 Euro für Hinweise aus. Wenige Tage, nachdem der Fall bei der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" vorgestellt wurde, wird er in Frankreich festgenommen. Seitdem wartet er im Gefängnis auf seinen Prozess.

Mord oder Totschlag?

Egal, wie dieser ausgehen wird: "Für einen Menschen mit seiner Vorgeschichte gibt es keine Hilfe. Er wäre auch vor der Tat nie wieder froh geworden", ist sich H.s Bekannter sicher. Der Angeklagte sei nicht von Grund auf ein schlechter Mensch gewesen, doch die traumatischen Erlebnisse in seiner Heimat hätten ihn für immer verändert.

Als H. glaubte, dass er selbst nichts mehr zu verlieren hatte, hat er das Leben eines anderen genommen. Da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, die den tödlichen Messerangriff als Totschlag wertet. Ob Merkmale für einen Mord vorliegen - die Folge wäre eine lebenslange Freiheitsstrafe -, muss das Gericht nun prüfen.