Am Sonntag ist der Bloomsday, das ist eine Art Nationalfeiertag in Irland, der nie offiziell ausgerufen wurde und doch fast gleichrangig neben dem St. Patrick's Day steht. Das Besondere: Der Tag geht auf einen Roman zurück.

Am Sonntag ist der Bloomsday, das ist eine Art Nationalfeiertag in Irland, der nie offiziell ausgerufen wurde und doch fast gleichrangig neben dem St. Patrick's Day steht. Dieser Tag ist deshalb so bemerkenswert, weil er auf einen Roman zurückgeht und alle Shitstorms des Facebook-Zeitalters unbeschadet überstanden hat.

Mit dem Bloomsday gedenkt Irland und die mit großer Literatur noch vertraute Welt dem Titelhelden in James Joyces "Ulysses". Der epochale Roman, um die 1000 Seiten stark, erschien erstmals 1922 und schildert einen einzigen Tag im Leben des Leopold Bloom: den 16. Juni 1904. Das fiktive Geschehen trägt sich an realen Orten in der irischen Hauptstadt Dublin zu und lehnt sich im dramaturgischen Aufbau an die "Odyssee" Homers an. Ansonsten schert sich Joyce nicht groß um literarische Vorbilder, er löst die klassischen Erzählmuster auf und bricht radikal mit den Konventionen der Sprache.

Joyces Helden sind Antihelden. Das macht "Ulysses" zusammen mit "Manhattan Transfer" und "Berlin Alexanderplatz" zum Prototyp des modernen Romans, kontrovers diskutiert zur Erscheinungszeit und bis heute eine wahre Fundgrube für tiefschürfende Interpretationen jeder Art.

1000 Seiten über nichts?

Die Kernfrage stellt sich allerdings seit 1922 und kann erst heute so langsam beantwortet werden: Wie um alles in der Welt schafft man es, über einen stinknormalen Tag, an dem aber auch gar nichts passiert, 1000 eng bedruckte Seiten zu schreiben? Robinson Crusoe oder die Bibel, das geht an, weil da für Action gesorgt ist. Aber ein Roman über den Alltag und was ein alltäglicher Mensch darüber denkt?

Kein Problem. Führt man sich plastisch vor Augen, wie oft heute der "Ulysses" in jeder Sekunde durch die Handynetze geschickt und in sozialen Netzwerken gepostet wird, welcher Shitstorm von Belanglosigkeiten pausenlos um den Globus rast, dann darf man froh und dankbar sein, dass es in James Joyces Dublin weder E-Mail noch Facebook gab. Sonst wäre er nie fertig geworden mit diesem Tag im Leben des Leopold Bloom, und das literarische Niveau wäre ins Bodenlose gesunken. Solche Gedanken treiben viele Iren am Bloomsday um, und sie tun am 16. Juni auf James' und Leopolds Spuren das einzig Richtige: Saufen und mit St. Patrick anstoßen.