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Weltweiser Schmidt wird 95


Autor: Rudolf Görtler

Berlin, Montag, 23. Dezember 2013

Helmut Schmidt wird gefeiert, wie er es zu seinen Zeiten als Bundeskanzler niemals erfuhr. Offenbar haben Journalisten und Publikum ein sehr schlechtes Gedächtnis.
Der Altkanzler in ungewohnter Pose. Meist gibt er den Allwissenden. Foto: dpa


Nehmen wir an, wir bekämen die Chance auf Wiedergeburt: Als wer oder was möchte man reinkarnieren? Ganz klar: als Dalai-Lama oder als Helmut Schmidt. In beiden Fällen könnte man sagen, was man will, und eine ergriffene Menge schlürfte jedes Wort von den Lippen. Dabei hat Helmut Schmidt wesentlich Substanzielleres zu sagen als der stets lächelnde Platitüdenverbreiter in Orange.

Freilich macht die Begeisterung der Deutschen für den Altkanzler ein wenig misstrauisch. Vergessen scheint die Hardliner-Politik Schmidts in Sachen Nato-Doppelbeschluss, die den Aufstieg der Grünen begründete, irrelevant sein unbedingtes Eintreten für die Kernenergie, und wüssten viele der Schmidt-Verehrer aus kleineren Verhältnissen von seinen nicht gerade gewerkschaftsnahen Positionen, müsste es sie gruseln. Lauert hinter der Schmidtomania vielleicht das urdeutsche Bedürfnis nach dem starken Mann, der sagt, wo's langgeht? Immerhin ist Schmidt ein Fossil aus einer Epoche, als Politiker noch Charaktere waren und nicht austauschbare Charaktermasken.