Mit den beschlossenen Lockerungen der Corona-Maßnahmen wurde das momentane Chaos in Politik und Gesellschaft nochmals auf ein neues Level gehoben. Unsicherheit und Verwirrung sind der neue Normalzustand.
Darf man am Montag nun öffnen - oder doch nicht? Vor dieser Frage standen am Sonntag zahlreiche Einzelhändler. Wenn in einem Landkreis die 7-Tage-Inzidenz an drei Tagen in Folge unter 50 liegt, dürfen Einzelhändler ihre Läden öffnen. Ist das in meiner Stadt so? Welche Zahlen sind dafür eigentlich entscheidend? Die vom Robert-Koch-Institut? Oder doch die vom Landesamt für Gesundheit? Und wird dabei berücksichtigt, dass die Zahlen wegen der Testpraxis am Wochenende meist niedriger sind, dafür am Montag aber höher?
Ein Bamberger Ladenbesitzer erzählte mir, wie er am Sonntag noch versuchte, sich durch das Regelwerk zu kämpfen. Er kam zu dem Schluss: Nein, in Bamberg lag die Inzidenz keine drei Tage unter 50. Also darf er nicht öffnen. Am Montagmorgen erfuhr er aus dem Radio: Die Geschäfte in Bamberg dürfen öffnen. Also fuhr er in seinen Laden - und öffnete eben. Kundschaft brachte ihm das allerdings wenig: Auch die potenziellen Kunden waren sich wohl nicht sicher, ob die Geschäfte nun offen haben würden oder nicht.
Chaos auf dem trägen Dampfer
Es wäre sicher nicht übertrieben, würde man diese Zustände als "chaotisch" bezeichnen. Dass dies viele Menschen gar nicht mehr so drastisch wahrnehmen, liegt vor allem an einem: Dank Corona ist das Chaos Normalität geworden. Erinnern Sie sich? Im Januar 2020 hatten wir uns noch mit der Frage beschäftigt, ob die neue Bonpflicht den Tod des Einzelhandels bedeutet. Die gefühlte Unsicherheit war groß, die Wut über die Regelungen auch. Ein paar Wochen später wussten wir nicht mal mehr, ob wir am nächsten Tag noch die Wohnung verlassen durften. Da wussten wir plötzlich, was wahre Unsicherheit ist.
Der Bundesrepublik Deutschland wurde immer gerne vorgeworfen, sie sei wie ein schweres, träges Schiff: Die Politik würde sich nur langsam bewegen, viel zu oft auch gar nicht. Ein schneller Kurzwechsel sei praktisch ausgeschlossen. Man hatte das Gefühl, die Regierung, ja die ganze Gesellschaft, sei viel zu behäbig, um sich noch in der sich rasend schnell verwandelten globalisierten Welt zurechtzufinden. Nun gibt es alle paar Tage neue Corona-Regelungen. Ja, manchmal hat man den Eindruck, die Regelungen würden sich schneller verändern als die eigentliche Lage. Träge kann man das nicht unbedingt nennen, besser fühlt es sich deshalb aber auch nicht an.
Man kann von der Bürokratie halten, was man will. Eins hat sie immer geschafft: Verlässlichkeit erzeugen. Sie mag oft absurd wirken. Aber wenn ich mich an die formalen Vorgaben halte, werde ich am Ende auch Passierschein 38A bekommen (um es mit Asterix & Obelix zusagen). Und wenn ich einen Antrag zu spät einreiche, dann weiß ich, dass er nicht mehr bearbeitet werden wird. Bürokratie kennt keinen Spielraum.
Verwirrung um Ladenöffnungen in Bamberg
In der Corona-Zeit ist das scheinbar anders. Begibt man sich auf die Suche, warum die Läden in Bamberg am Montag öffnen durften, obwohl die Fallzahlen keine drei Tage unter 50 lagen, wird man kaum fündig. Das Landratsamt hielt sich an Vorgaben des Ministeriums. Die konnten oder wollten laut Bericht im Fränkischen Tag jedoch keine Angabe dazu machen, warum die Entscheidung so getroffen wurde, wie sie getroffen wurde. In Bamberg vermutet man, in München habe man einfach im Sinne des Einzelhandels entschieden. Allein: Der hätte sich eben gefreut, wenn er das im Vorfeld erfahren hätte. Immerhin: Dafür hat nun scheinbar die Stadt Bamberg entschieden, dass die Geschäfte auf jeden Fall diese Woche geöffnet bleiben. Egal, ob die Inzidenz wieder über 50 steigt oder nicht. Das könnte dann auch die Einwohner vom nahen Kulmbach freuen: Denn die können trotz einer Inzidenz von weit über 200 in Bamberg shoppen gehen. Vorausgesetzt, sie sind rechtzeitig bis zur Ausgangssperre um 21 Uhr zurück. Ach nein, die gilt ja jetzt erst ab 22 Uhr - oder gar nicht mehr?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Politik, Wirtschaft und jeder Einzelnen müssen seit mehr als einem Jahr mit einer Extremsituation zurechtkommen. Natürlich kann da nicht alles klappen, natürlich werden da Fehler gemacht, natürlich muss man da ständig alle bisherigen Maßnahmen überprüfen und anpassen. Aber genauso natürlich führt das zu skurrilen Situationen. Mit diesem Chaos und dieser Unsicherheit umzugehen - vor dieser Herausforderung stehen wir alle seit über einem Jahr. Als Privatpersonen, als Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch als Wissenschaftler, Politiker und Journalisten.
Wie geht es weiter?
Für die Zukunft ist laut Ministerium und Landratsamt die Drei-Tage-Folge – dann aber wirklich – maßgebend. „Sollte er in einer Kreisverwaltungsbehörde drei Tage über 50 liegen, muss die Be- hörde dies feststellen und die Lockerun- gen nach zwei Tagen wieder rückgängig machen“, erklärt Förtsch. Ein Beispiel: Würde der Kreis am Montag, Dienstag und Mittwoch die 50er-Marke reißen, dürften ab Freitag keine Kunden mehr in die Geschäfte.
So „einfach“ ist das. Gilt aber nur wenn freitags Dr. Lauterbach gesprochen hat und die Pummelriege aus Berlin sich nicht gerade mit Massenprovisionen rumärgern muss und Weihnachten und Ostern nicht zusammenfallen mit Ramadan
"Statt einer globalen gesundheitlichen und ökonomischen Katastrophe mit unzähligen, teils widersprüchlichen Aspekten, wähnen sich sie sich einer guten, alten Weltverschwörung im klassischen Schwarz/Weiß-Schema."
Man hat zumindest klare Linien vor Augen und muss nicht erst morgens mühselig in Radio, Tageszeitung und Internet suchen, wo man heute was darf und was nicht. Dass uns die bürokratischen Regeln beim Infektionsschutz nicht unbedingt weiter gebracht haben, kann man eigentlich recht einfach feststellen. Man trage sich die Daten, an denen verschärfende oder lockernde Maßnahmen getroffen wurden, in die Infektionskurve ein und schaue, ob man in der Kurve einen entsprechenden Effekt sehen kann. (Spoiler: nein, kann man nicht!).
Diese ganzen Maßnahmen haben letztendlich mit dem eigentlichen Sinn eines Infektionsschutzes nicht mehr viel zu tun sondern sind letztlich nur noch Ausdruck einer Ohnmacht und gleichzeitigen Machttrunkenheit sämtlicher politischer Ebenen. Und es lenkt hervorragend von der eigenen Unfähigkeit ab. Wenn auch sonst in Coronazeiten nichts funktioniert (Impfstoffbeschaffung, Impfung, Maskenbeschaffung, Testbeschaffung, Maskenverteilung, Onlineunterricht, Digitalisierung, ...), das fast schon tägliche Ausrufen neuer Ver- und Gebote klappt immer noch prima.
@Fettwebel
Laut heutigem FT (Papierausgabe) dürfen in der Stadt Bamberg die Geschäfte DIESE WOCHE öffnen. Wie es in der kommenden Woche aussieht, weiß der Teufel.
Die Politik eiert nur noch planlos herum. Gestern erzählte Vizekanzler Scholz "dass es bis zu zehn Millionen Impfungen pro Woche geben werde", Jens Spahn kontert ihn aus und sagt "die Menge der verimpften Dosen werde nicht gleich auf zehn Millionen in einer Woche wachsen".
Wenigstens ein bisschen Abstimmung innerhalb der Bundesregierung wäre wünschenswert für das Fußvolk, dass sich diesen ganzen Mist von zu oft unfähigen Ministern immer wieder anhören muss.
hi Fettwebel
Die Berechnungen von Spahn werden durch eigene Berechnungen vom ZDF gestützt. Auch das ZDF kommt zu dem Schluss, dass diese 10 Millionen Impfungen pro Woche nicht machbar sind. Nachlesen dazu unter "Deutschlands Impf-Infrastruktur - 40 Millionen Impfungen pro Monat - geht das? 10.03.2021 11:19 Uhr".
Siehe dazu hier - samt aufbereiteter Grafiken - beim ZDF:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-impfstoff-lieferung-kapazitaet-100.html
Das zeigt: diese Pläne von Scholz sind komplett unrealistisch und damit werden wir noch bis mindestens Ende 2021 im Lockdown hocken. So sieht die traurige Realität aus. Zwei Jahre verloren für nichts und wieder nichts!
Diese (unten von "Sommerflieder" dargestellten) Regelungen sind einfach grotesk und für die Bevölkerung schlichtweg unzumutbar.
Es ist nicht zu begreifen, warum die Stadtverwaltung nicht einfach auf ihrer Internetseite mitteilt, welche Geschäfte gerade öffnen dürfen.
Dann würde jeder Unternehmer und jeder potentielle Kunde sofort Bescheid wissen, und es wäre Rechtssicherheit geschaffen.