"Sehr geehrte Damen und Herren" - weg damit!
Autor: Io Görz
Stuttgart, Dienstag, 04. August 2020
Die Stadt Stuttgart will die Anrede "Sehr geehrte Damen und Herren" und andere Begriffe in Zukunft abschaffen. Eigentlich doch kein Problem, sondern eher überfällig, findet unser Kommentator.
Das Stuttgarter Rathaus wird demnächst in Behörden-Briefen und E-Mails womöglich nicht mehr die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ verwenden – zumindest sieht das laut Bildzeitung eine Vorlage vor, die Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) unterzeichnet hat. Auch klischeebelastete Begriffe wie „Mutter-Kind-Parkplatz“ sollen aus der behördlichen Kommunikation verschwinden. Stattdessen sollen Anreden wie etwa „Liebe Menschen“ oder „Sehr geehrte Teilnehmende“ verwendet werden.
Manch alter, weißer Mann wie jüngst Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht angesichts solcher Nachrichten schon eine „Sprachpolizei“ patrouillieren. Kretschmann geht sogar so weit, vor einem „Tugendterror“ zu warnen und zeichnet dunkelste Bilder von Diktat der politischen Korrektheit.
Die Sprachpolizei - sie bleibt zu Hause
Wer die Nachrichten aus Städten wie Hannover verfolgt, in denen es solche Änderungen der offiziellen Kommunikation bereits gab, wird feststellen, dass die Welt auch dort noch nicht untergegangen ist, ja noch nicht einmal das Patriarchat in seiner Wirkweise ist dort nachhaltig angekratzt. Warum also die Aufregung?
Zunächst einmal: Alle, die wie Kretschmann fürchten, sich in Zukunft Gedanken über ihren persönlichen Sprachgebrauch machen zu müssen, dürfen aufatmen: In dem konkreten Fall in Stuttgart geht es um behördliche Kommunikation, also um Briefe und Mails, die von der Stadt versendet werden. Also werden ein paar Briefköpfe überarbeitet und Mitarbeitende der Stadtverwaltung müssen sich beim Schreiben von E-Mails etwas umgewöhnen. Dazu werden Bezeichnungen in offiziellen Schreiben geändert – etwa die genannten „Mutter-Kind-Parkplätze“, die nun mal ein Rollenbild vermitteln, das nicht zeitgemäß und angemessen ist.
Das war es dann aber auch schon mit der Sprachrevolution. Keine marodierenden Bilderstürmenden, die alten weißen Männern wütend Strafzettel ausstellen.
Schluss mit Zurücklehnen
Nun werden viele fragen, ob wir denn keine anderen Probleme in Deutschland hätten. Die Antwort ist klar: Natürlich haben wir die, aber es dürfte auch kein Geheimnis sein, dass man mehr als ein Problem gleichzeitig behandeln darf. Ja, natürlich beseitigt eine behördliche Sprachregelung keine Ungerechtigkeiten, die seit Jahrhunderten bestehen. Außerdem braucht es natürlich mehr als Änderungen nur in der Sprache.
Aber und das ist sehr wichtig: Irgendwo muss man anfangen und es ist ein absurdes Scheinargument, sich die kleinen und leicht umzusetzenden Maßnahmen zu verbieten, solange nicht „der große Wurf“ getan ist. Letztlich bedeutet dieses Argument nur, dass man eigentlich keine Lust hat, überhaupt irgendetwas zu ändern und kommt in der Mehrzahl von Menschen, die sowieso seit Jahrhunderten von althergebrachten Regelungen profitieren und diese Privilegien als Normalität betrachten. Genau. Männer – Cis-Männer, um genau zu sein, also Männern, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.