Novemberpogrom: Denken und Ge-denken
Autor: Günter Flegel
Bamberg, Freitag, 08. November 2013
Mit dem Gedenken tut man sich in Deutschland schwer, noch heute, 75 Jahre nach dem Novemberpogrom. Sogar beim Schreiben der Artikel auf dieser Doppelseite gab es im Kollegenkreis Dispute: Klingt das flapsig? Ist das Nazi-Jargon? Steht genügend Betroffenheit zwischen den Zeilen?
Nicht nur, aber gerade in Deutschland macht man das Gedenken gerne zu einer Institution, am besten festgeschrieben, optimal als Feier-Tag. An solchen wiederholen sich die Rituale der Betroffenheit und des schlechten Gewissens. Nicht selten bis zur Abnutzung und Lethargie, aus der die Nation nur kurzzeitig erwacht, wenn Promis in eines der vielen Fettnäpfchen tappen und dabei ihren persönlichen Reichsparteitag, Verzeihung, ihr Waterloo erleben.
Betroffenheit ist wichtig. Deswegen ist der 9. November mit seinen zahlreichen historischen Landmarken ein bedeutender Tag für Deutschland. Nein, dieser Tag ist kein Feiertag. Am 9. November 1938 hat sich mitten in Deutschland, vor aller Augen, Ungeheuerliches abgespielt. Viele haben mitgemacht, ganz viele zugeschaut, noch mehr es bebilligt oder zumindest geduldet: Aus dem abstrakten Hass gegen die Juden wurde konkrete Gewalt, aus Vorurteilen Terror, aus Ignoranz ein Nährboden für einen staatlich verordneten Massenmord.
Der 9. November 1938 ist ein einzigartiges Ereignis, unvergleichlich im schlimmsten Sinn des Wortes wie der Holocaust, der ihm folgte. Die Faktoren aber, die das Unvorstellbare möglich machten, können sich wiederholen. Überall, immer wieder. Darüber muss man heute nach-denken. Ge-denken allein reicht nicht.