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Nationalfeiertag: 25 Jahre Deutsche Einheit


Autor: Christian Reinisch

Berlin, Freitag, 02. Oktober 2015

Vor einem Vierteljahrhundert endete die Teilung Deutschlands. Wie weit haben sich West und Ost seither einander angenähert? Eine Spurensuche in Zahlen und Geschichten.
Rund eine Million Menschen feierten in der Nacht zum 3. Oktober 1990 in Berlin wie hier vor dem Reichstagsgebäude die wiedergewonnene deutsche Einheit. Am 03.10.2015 jährt sich die Deutsche Wiedervereinigung zum 25sten Mal. Foto: Wolfgang Kumm/dpa


Ein Vierteljahrhundert ist eine kurze Zeit, ein Wimpernschlag der Weltgeschichte. Für ein Menschenleben jedoch ist ein Vierteljahrhundert eine ziemlich lange Zeit, wenn man bedenkt, was sich in 25 Jahren alles geändert hat - evolutionär und revolutionär. Das menschliche Gedächtnis speichert die Revolutionen ungleich intensiver ab, ihre Bilder bleiben hängen. Die Evolution kommt hingegen auf leisen Sohlen daher, man bemerkt sie oft erst in der Rückschau. Aber die Veränderungen, die sie mit sich bringt, sind nicht weniger grundstürzend als die Folgen von Revolutionen.

Wenn wir an diesem Wochenende 25 Jahre deutsche Einheit feiern, dann denken wir an beides: an die revolutionären Ereignisse von 1989/90, die zum Fall der Berliner Mauer und zum Verschwinden des "Eisernen Vorhangs" führten, der nicht nur Deutschland, sondern Europa teilte. Historische Momente erlebte das Land damals in Serie - viele Bilder aus jener Zeit wurden zu weltberühmten Ikonen der Zeitgeschichte.

Zugleich denken wir an die Mühen der Ebene, durch die der lange Weg zur inneren Einheit führte (und immer noch führt). Denn es ist ebenso offensichtlich wie es unvermeidlich war - die evolutionären Prozesse des politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen Wandels verliefen nicht ohne Brüche. Dass die einst von Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, versprochenen "blühenden Landschaften" trotz aller Subventionsanstrengungen nach wie vor eher im Westen und Süden der Republik zu finden sind und nur punktuell im Osten, ist eben auch Teil einer komplexen und heterogenen Realität.

Aber das große Versprechen des 3. Oktober 1990, als das Ende der DDR quasi notariell besiegelt wurde, war ja die Einheit in Demokratie und Freiheit. Dass Freiheit bisweilen anstrengend sein kann, musste von vielen in der SED-Bevormundungs-Diktatur sozialisierten Menschen erst gelernt werden. Mentalitäten wandeln sich eben nicht so schnell wie Mauern fallen. Während sich für die West-Bürger wenig änderte (außer dass sie bald über den "Soli" jammern durften), erlebten die Einwohner der neuen Bundesländer einen rasanten, bisweilen radikalen Wandel. Der schloss bittere Erfahrungen mit abgewickelten Industriestandorten, grassierender Arbeitslosigkeit und Abwanderung junger Talente ein. Wenn heute fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida vor allem im Osten Mit- und Nachläufer finden, obwohl dort viel weniger Zuwanderer leben als im Westen, dann mag das auch - psychologisch - seine Ursachen haben in den Traumata der Nach-Wendezeit.

Dennoch: Im Großen und Ganzen ist die deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte. Gründe dafür gibt es viele. Ein ganz zentraler ist der Umstand, dass sämtliche Regierungen seit 1990, von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis Angela Merkel, dieses größer und stärker gewordene Deutschland immer eingebunden sehen wollten in die europäischen Institutionen. Und zwar als Partner und nicht als Hegemon. Das ist sicher nicht immer einfach, zumal in Krisenzeiten wie diesen, wo es zwischen Ukraine-, Griechenland- und Flüchtlings-Krise vor konfliktträchtigen Herausforderungen nur so wimmelt. Die "Macht in der Mitte" des Kontinents trägt schon allein wegen ihrer ökonomischen Potenz ein hohes Maß an politischer Verantwortung - und zwar nicht allein für sich selbst, sondern für das ganze, (über-)lebenswichtige Projekt Europa.

Ein Vierteljahrhundert deutsche Einheit: Das heißt auch, dass inzwischen eine Generation herangewachsen ist, für die "BRD und DDR" nur noch ein Begriffspaar aus dem Geschichtsbuch ist. Die junge Generation geht ganz selbstverständlich mit all den Dingen um, die es vor 25 Jahren noch nicht gab: mit offenen Grenzen und der Globalisierung, mit Internet und mobiler Kommunikation. Das vereinte Deutschland, das allen nationalistischen Versuchungen widerstanden hat, ist ein weltoffenes Land geworden, das von vielen Menschen in aller Welt als Vorbild gesehen wird. Wenn das kein Kompliment zum Jubiläum ist.