Günter Grass: Einer der letzten deutschen Großschriftsteller ist gestorben
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Montag, 13. April 2015
Der Tod von Günter Grass signalisiert, dass die Zeiten vorbei sind, als Schriftsteller große öffentliche Beachtung fanden.
Der Bezeichnung "Großschriftsteller" haftet etwas rührend Antiquiertes an. Sie evoziert Erinnerungen an eine Zeit, als Literatur noch Skandale provozieren konnte, als einer Vereinigung wie der Gruppe 47 auch Bedeutung außerhalb literarischer Zirkel zukam. Das ist nur vor dem Hintergrund der (bundes)deutschen Nachkriegsgeschichte zu verstehen. Die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit wurde ins Künstlerische verschoben. Und hier liegen auch die Verdienste des Günter Grass: Seine "Blechtrommel", die Kleinbürger-Saga im Gewand des Schelmenromans, erschien 1959 exakt zur richtigen Zeit und verstieß dosiert gegen politische und erotische Tabus der Adenauer-Ära. Dieses Buch ist ein Meilenstein, und es wird seinen Status in der Literaturgeschichte behalten. Einigermaßen plausibel könnte man Grass als einen Ein-Buch-Autor einschätzen, und das ist auch getan worden.
Engagierter Literat
Mutig war sein Engagement für die SPD jedoch zu einer Zeit, als die Sozialdemokratie, heute kaum vorstellbar, als fünfte Kolonne des Sowjetkommunismus galt und der Autor andererseits seine Verteidigung der schneckenhaft voranschreitenden Reformpolitik gegen jüngere 68er-Revoluzzer rechtfertigen musste.
Die ihm zuwachsende Rolle als moralische Instanz verleitete den von Eitelkeit keineswegs freien Schriftsteller, dessen Romane in den 1970er und 80er Jahren immer noch als Ereignisse gefeiert wurden, jedoch dazu, sich zu allem und jedem zu äußern. Als er, wohlweislich nach dem Nobelpreis von 1999, ungeschickt seine einstige Mitgliedschaft in der Waffen-SS offenbarte, musste er mit viel Häme zurechtkommen. In den Wiedervereinigungs-Wirren der frühen 1990er Jahre lief er noch einmal zu großer Form auf. Dennoch: Grass' Zeit war vorbei, was er nicht so recht realisieren mochte. Mit umstrittenen Äußerungen zu Mohammed-Karikaturen und mit unsäglicher Israel-Kritik wollte er die alte Rolle wiederbeleben, was ihm nicht gelang. Nach dem Tod von Siegfried Lenz im vergangenen Jahr ist Grass' Ableben jedoch ein trauriges Zeichen dafür, dass gloriose frühere Literatur-Zeiten und die der Großschriftsteller ein für allemal vorbei sind.