Der Fall Edathy entwickelt ungeahnte Fliehkräfte. Plötzlich fliegen Figuren aus dem Spiel, die sich eben noch sicher auf dem politischen Parkett fühlten - und erfassen dabei, womöglich, noch weitere Kandidaten. Das Zentrum der Debatte ist noch nicht erreicht, weil einzig das Polit-Theater die öffentliche Aufmerksamkeit bestimmt.

Im Kern jedoch ist es eine dunkle Geschichte, die sich hier - fern der temporären Aufregung um angeblichen Geheimnisverrat oder echter Aufrichtigkeit eines Ministers - offenbart. Es geht um menschliche Abgründe und um die Grenzbereiche der sexuellen Selbstbestimmtheit. Seit Dienstag bekommen nun endlich die Gehör, die für die eigentlichen Opfer Partei ergreifen. Der Kinderschutzbund zum Beispiel. Denn es geht um Opfer sexueller Gewalt, um Kinder zuvorderst. Und um deren Ausbeutung, egal wie im konkreten Fall die rechtliche Bewertung durch Staatsanwälte und Richter letztendlich ausfallen wird.

Und das ist der eigentliche Skandal. Dass Tage vergehen mussten, bis sich die Debatte nicht mehr nur noch um Macht und Machterhalt und das Sichern politischer Biografien dreht, sondern dahin steuert, wo das Dunkle, das Unerträgliche, lauert. Wo dienstliche Laptops verschwinden, wo zuvor zwielichtes Bildmaterial erworben wurde - und der Käufer bereits kurz nach Bekanntwerden der Vorgänge "fahrlässig eine Existenz" vernichtet sieht. Seine Existenz, wohlgemerkt. Unerträglich ist hierbei die Selbstgerechtigkeit, die das eigene Tun nachträglich zu legitimieren sucht, nur, weil dies möglicherweise nicht strafbewehrt ist. Noch nicht.

Im politischen Geiste, im Bewusstsein eines ganzen Landes, muss sich daher etwas ändern. Vor allem in Anbetracht der Rollen von Tätern und Opfern. Nicht der Homo Politicus ist das vordringlich schützenswerte Subjekt, sondern der Mensch als solcher. Anders gesagt: Nicht ein Hans-Peter Friedrich hat sich hier eines Missbrauchs zu verantworten, sondern ein Sebastian Edathy. Denn Letzterer muss sich seiner eigenen Rolle stellen, sein Handeln ist Ursprung des Entsetzlichen, nicht der Warnruf des (Ex-)Ministers.

Wenn Herr Edathy einen Rest an Würde behalten möchte, sollte er sein Tun vor sich und der Öffentlichkeit erklären und dazu stehen, was er - und nur er - zu verantworten hat. Hier mit juristischen Winkelzügen, mit dem Fingerzeig auf andere zu agieren, ist schäbig. Bilder von nackten Kindern sind tabu, Herr Edathy! Sie sind nicht kaufbar. Und mag man noch so sehr an einem abenteuerlichen Kontext basteln, der den Besitz moralisch zu erklären versucht.