Europa als Idee und Ideal
Autor: Christian Reinisch
Bamberg, Samstag, 13. Oktober 2012
Der Träger des Friedensnobelpreises hat in diesem Jahr kein Gesicht, sondern zwölf Sterne.
Im ersten Moment ist es immer etwas ernüchternd, wenn eine anonyme Institution mit dem wichtigsten politischen Preis der Welt geehrt wird. Noch dazu, wenn diese Institution wahlweise als bürokratischer Moloch oder als müder Riese in der Dauerkrise wahrgenommen wird. Der Nobelpreis für eine Person - das ist immer auch eine Geschichte, ein Schicksal, eine tapfere Tat. Und meist auch eine humane Idee, für die zu kämpfen sich lohnt.
Man muss natürlich stark abstrahieren, um zu erkennen, dass das Nobel-Komitee mit der Auszeichnung für die Europäische Union sehr wohl die große humane Idee im Sinne hatte und nicht die real existierende Wirtschafts- und Währungsunion. Europa als Friedensprojekt, als leuchtendes Vorbild für die Welt, wie sich auf den Trümmern zweier verheerender Kriege eine gemeinsame Zukunft bauen lässt. Wie aus Feinden Freunde werden. Wie sich das Gift des Nationalismus überwinden lässt. All das ist die historische Leistung der EU.
Diese Leistung ist nicht so selbstverständlich, wie wir Kinder von bald 70 Jahren Frieden oft meinen. Vor allem ist sie keine Garantie auf die Zukunft. Auch wenn das Europa des Friedens als Idealbild in den Sonntagsreden auch heute noch beschworen wird - es klingt wie Routine. Zumindest im Vergleich mit dem Pathos der frühen Jahre, als junge Europäer dies- und jenseits von Rhein und Alpen regelrecht brannten für die Idee Europa.
Die EU der 27 leidet heute auch an ihrer Größe, an ihrer Komplexität. Sie hat unbestritten Demokratie-Defizite. Und die Dauerkrise um Währung und Schulden hinterlässt Schleifspuren, die auch das Fundament Europas ankratzen. Zum einen ganz oben, wenn Regierungen wieder die nationalen Interessen über die gemeinsamen Interessen der Gemeinschaft stellen. Zum anderen unten, wo die Krise auch die antieuropäischen Fliehkräfte nährt.
Der Friedensnobelpreis an das Friedens-Projekt Europa darf als Ermutigung und Mahnung zugleich verstanden werden. Dieses Europa als Wertegemeinschaft ist jede Anstrengung wert. Wem angesichts der endlosen Euro-Rettung bange wird, der sollte sich vor Augen halten, was auf dem Spiel steht. Wenn Europa scheitert, dann scheitert mehr als eine Währung. Das dürfen wir Europäer, die wir nun alle Nobelpreisträger sind, auf keinen Fall zulassen.