Man sollte vorsichtig sein mit allzu einfachen historischen Parallelen. Geschichte wiederholt sich eben nicht , auch wenn gerne und oft das Gegenteil behauptet wird.

Geschichte kann sich schon deshalb nicht einfach wiederholen, weil die Akteure andere sind, die politischen und sozialen Umstände sich geändert haben, die ökonomischen und technischen Möglichkeiten. Und trotzdem bleibt wahr: Es gibt Lehren aus der Geschichte. Und es gibt Grundmuster politischen Handelns, die sich wiederholen - und bisweilen tun sie das auf bedrohliche und beängstigende Weise.

In der Ukraine-Krise erleben wir zur Zeit eine Eskalation in Worten und Taten, die Schlimmstes befürchten lässt. Dabei bedurfte es gar nicht der düsteren Worte des amtierenden Ministerpräsidenten der Ukraine, der Russland die Vorbereitung eines "dritten Weltkriegs" unterstellte. Tatsächlich erinnert manches von dem, was derzeit in der Ukraine, aber auch in anderen Staaten aus der Erbmasse des Sowjet-Imperiums geschieht, an die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges. Und zwar in dem Sinne, dass eine Kette aus gezielten Provokationen und Eskalationen am Ende zu einer Explosion führt, die eigentlich so niemand gewollt hat.

Der Historiker Christopher Clarke hat das engstirnig nationalistische Wirken der Diplomatie vor dem Ersten Weltkrieg auf den Begriff "Die Schlafwandler" gebracht. An deren Ende stand eine Katastrophe, die ein ganzes Jahrhundert prägte. Und zum Teil auch die Ursachen prägte, mit denen wir es noch heute zu tun haben. Zum Beispiel in der Ukraine-Krise.



Etwas ganz Entscheidendes ist jedoch 2014 anders als 1914: Es gibt heute supra-nationale Organisationen, die den unseligen Nationalismus wenn schon nicht gänzlich überwunden, so doch eingehegt haben. Es gibt zum Beispiel eine Europäische Union, die auf den Trümmern zweier Weltkriege eine friedliche und gedeihliche Zukunft gebaut hat, indem sie aus ehemaligen "Erbfeinden" Partner und Freunde gemacht hat. Diese historische Leistung der EU sollten sich gerade auch all die notorischen EU-Nörgler in Erinnerung rufen - gerade in Zeiten wie diesen, in denen wieder Krieg droht in Europa.

Das große Problem ist, dass Russlands Präsident Putin in geopolitischen Machtkategorien denkt, die fatal an das 19. Jahrhundert erinnern. Da geht es um imperiale Größe, um nationale Einflusszonen. Und der dehnbare Begriff vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker" wird mal aggressiv reklamiert (Krim), mal aggressiv bekämpft (Tschetschenien) - ganz nach Belieben, wie es der Absicherung der Macht nutzt. Das ist eine Art Zarentum im modernen Gewand.

In der Ukraine-Krise ist nun eine Situation entstanden, in der die harten Nationalisten auf beiden Seiten Hass schüren und eine unheilvolle Spirale in Gang setzen. Wie weit die Diplomatie da noch eine Chance hat, ist unklar. Sie muss aber auf alle Fälle genutzt werden. "Schlafwandler" haben in der Geschichte schon zu viel Unheil zugelassen. Noch ist es nicht zu spät.