Die Bundeskanzlerin will bei ihrem Besuch in der Türkei die Beitrittsverhandlungen mit der EU voranbringen. Doch zunächst muss Europa sein eigenes Selbstverständnis klären.

Es ist nicht davon auszugehen, dass bei Angela Merkels Türkei-Besuch mehr als Lippenbekenntnisse zum Thema EU-Beitritt des Landes herauskommen. Die Kanzlerin hat ein gutes Gespür für Stimmungen im Volk. Ein Beitritt der Türkei wäre nicht populär, und das nicht nur bei Islamhassern und Ausländerfeinden. Die verbreitete Skepsis hat tiefer liegende Gründe. Denn in den Verhandlungen mit der Türkei wird irgendwann unweigerlich die Frage aufkommen, was Europa ist und sein soll. Es geht um Europas kulturelle Identität, nicht nur um Wirtschaft.

In der Türkei ist angesichts der Verzögerungen bei den Beitrittsverhandlungen schon vor Jahren die Frage aufgekommen, ob die EU ein Christenclub ist. Diese Frage trifft den Kern. Europa begann in der Tradition des lateinisch-katholischen Westens, zu der auch Protestantismus, Aufklärung und Säkularisierung gehören. Inzwischen umfasst die EU nicht nur das lateinische Europa, sondern auch einen Teil des orthodoxen. Schon hier gibt es Schwierigkeiten durch unterschiedliche kulturelle Traditionen.

Kann dieses Europa auch noch ein islamisches Land integrieren? Diese Frage ist noch nicht beantwortet und wird es so schnell auch nicht sein. Und solange dies so ist, wird sich auch bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nichts bewegen, so sehr sich das manche in der Wirtschaft auch wünschen.