Joachim Gauck bereitet gerade seine erste Weihnachtsansprache vor. Gut neun Monate im Amt des Bundespräsidenten liegen hinter ihm - für eine Bilanz ist das natürlich noch zu früh. Aber eine Tendenz zeichnet sich ab.

Neun Monate können rasch vorüber gehen. Gefühlt noch rascher, betrachtet man die bisherige Amtszeit von Bundespräsident Joachim Gauck. Ruft man sich die Höhepunkte des Gauckschen Wirkens ins Gedächtnis, entsteht ein indifferentes Bild. Da ist ein freundlicher Herr im gesetzten Alter zu sehen, grau meliert, wortgewandt zwar, aber nicht sprachgewaltig - ansonsten ganz dem Benimm verpflichtet, unaufgeregt. Die Menschen im Land goutieren das, die Zustimmungswerte geben Gauck in seiner Amtsführung recht.
Nach dem Treiben seines Vorgängers, von dem noch immer das Verb wulffen im Umlauf ist, ist der pastorale Unterton im Wirken des amtierenden Bundespräsidenten wohltuend. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack. Joachim Gauck müht sich redlich, ist fleißig, vor Ort, da, wo man ihn braucht und wo er sichtbar sein muss. Aber ein echter Menschenfänger, ein Aufrüttler, ein Vordenker, ein prägnanter Staatsmann weizsäckerscher Prägung - all das ist Joachim Gauck nicht.

Richard von Weizsäcker, das muss man indes zugeben, ist und bleibt ein Ausnahme-Bundespräsident. Das natürlich auch vor der historischen Kulisse seiner Amtszeit. Ein Roman Herzog fällt da im Vergleich schon ab - die "Ruck-Rede" aber, sie bleibt immerhin im kollektiven Gedächtnis.

Nun ist es nach gut neun Monaten natürlich noch zu früh für eine Bilanz, aber eine gewisse Tendenz scheint sich abzuzeichnen. Man möchte derweil dem freundlichen Herrn Gauck zurufen: Genug der ehrenwerten Zurückhaltung! Ein wenig mehr Kante! Aufrütteln, bitte! Vielleicht gelingt dies ja schon in der Weihnachtsansprache. Zu wünschen wäre es.