Der Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens wird in der Politik mit spitzer Zunge geführt. Spaniens Bürger fordern von ihren Landesoberen indes Vernunft.

Es ist paradox: In einer Situation, in der die politischen Akteure und selbst der König den Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens zuspitzen, diesen mit verbalen Angriffen und Polizeigewalt vergiften, spricht das Volk die Sprache der Vernunft. Zu Tausenden fordern die Menschen die Regierenden auf, die Auseinandersetzung im Dialog zu lösen. Befürworter der Autonomie ebenso wie Gegner der Abspaltung. Sie gehen in weiß auf die Straße, in der Farbe des Friedens. Das Volk will die Spirale der Eskalation stoppen.
Die Politik muss dies als Chance begreifen, die Menschen endlich umfassend einzubinden. Sie muss den Spaniern eine ebenso freie wie demokratisch legitimierte Mitsprache ermöglichen und am Verhandlungstisch für alle transparent über (neue) Autonomierechte streiten.
Es war falsch, diesen Konflikt über eine Volksabstimmung zu eskalieren. Es war falsch, diese mit unverhältnismäßiger Gewalt unterbinden zu wollen. Und es ist falsch, wenn Spaniens Ministerpräsident nun weiter Öl ins Feuer gießt und von "einem Kampf, von einer Schlacht Europas" spricht. Spaniens Premier Mariano Rajoy wäre gut beraten, nun verbal abzurüsten. Auf Seiten der Abspaltungsbefürworter kann man mit gutem Willen zaghafte Versuche erkennen. Die für diesen Montag geplante Abstimmung über die Autonomie im Parlament wurde zunächst verschoben.
Noch stimmt der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont leisere Töne allerdings nicht aus innerer Überzeugung heraus an. Er sieht, dass sein Bild von einem starken Katalonien Kratzer, sogar Beulen bekommt: Die separatistischen Bestrebungen in dieser extremen Ausprägung verunsichern die Wirtschaft. So stark, dass wichtige Unternehmen der Region den Rücken kehren wollen.
Puidgemont muss auch erkennen, dass 90 Prozent Zustimmung im Referendum bei einer Wahlbeteiligung von 43 Prozent noch keine Mehrheit aller Katalanen für die Abspaltung von Spanien darstellen. Inzwischen gehen auch die Gegner auf die Straßen. Sie formieren sich in sozialen Netzwerken. Die Menschen erkennen, dass eine Abspaltung Kataloniens auch deshalb zum Pyrrhus-Sieg werden könnte, weil der Streit inzwischen Familien und Freundeskreise spaltet.