Markus Söder reitet zurzeit auf einer Welle der Beliebtheit: Von dem Moment an, als der bayerische Ministerpräsident aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus verkündete, dass die Schulen und Kitas in Bayern schließen, galt er als der mutige Macher - als einer, der anpackt.
Viele Menschen bekunden dieser Tage ihre Begeisterung und ihre Zustimmung: Anstatt zu zaudern handele Söder wenigstens. Doch ist das so? Wenn man sich die letzten drei Anlässe ansieht, ist ein Muster erkennbar und das lässt einige Fragen nach den Motiven des Ministerpräsidenten offen.
Geht es um mehr als nur um die Sicherheit?
Jedes Mal - ob bei den Schulschließungen, bei den Einschränkungen für Geschäfte oder eben jetzt bei den Ausgangsbeschränkungen - gab es Absprachen zwischen Bundesländern und Bundesregierung. Jedes Mal scherte Bayern aus und verkündete ein oder zwei Tage vor allen anderen Bundesländern Maßnahmen, die über das vereinbarte Vorgehen hinausgingen.
Hier liegt der Verdacht nahe, dass es um mehr geht als nur um die Sorge um die Bevölkerung, denn Markus Söder lässt es natürlich auch nicht aus, klarzustellen, dass Bayern vorangehe und der Bund folge. Muss das sein? Erneut wird am Mythos des anpackenden Freistaats gestrickt. Mal wieder tut Bayern so, als wäre es ein bisschen besser als die anderen Bundesländer und irgendwie auch besser als "die in Berlin".
Es ist durchaus verständlich, wenn Söder betont, dass in Bayern nun mal mehr Fälle auftreten, dass mehr Tote zu beklagen sind und die Maßnahmen hier schneller und härter sein müssen. Aber ist das ein Grund, gemeinsame Absprachen zu unterlaufen? Markus Söder als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sollte es besser wissen und nicht sein Wissen um die Absprachen nutzen, um ein ums andere Mal als der Einzige dazustehen, der die Lage ernst nimmt und handelt.
Bayern spielt das alte Spiel - auch in Zeiten des Coronavirus
Wenn Bayern schon schneller oder härter handelt, dann wäre es doch wenigstens angebracht, in der Kommunikation nicht so zu tun, als müsste Bayern den trödelnden Rest antreiben. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, wenn einerseits die altbekannte Rhetorik des ewigen Klassenbesten bemüht wird, aber Kritik genau daran dann als "Stilspiele" diskreditiert werden.
Es geht auch gar nicht um die Frage, ob es nicht richtig war, Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. Diese sind durchaus zu rechtfertigen und hoffentlich zeigen sie Effekte - Söders Aussage, dass so weitere Infektionen über das Wochenende schon verhindert worden seien, ist schwer nachzuprüfen, klingt aber natürlich nachvollziehbar.
Aber: Es geht um das "Wie", es geht um den Umgang in einer Demokratie. Wie gehen wir mit essenziellen Freiheitsrechten um, wie leichtfertig wischen wir Diskussionen darum und Kritik beiseite?
Berauschen sich die Bayern an Autorität?
Denn das bayerische Vorpreschen ist eigentlich eine recht durschaubare Taktik. Das Problem ist nur: Sie funktioniert. Wenn man sich ansieht, mit welcher vorbehaltlosen Begeisterung nun viele Menschen auf das auf den ersten Blick so konsequente Handeln Bayerns reagieren, dann ist Vorsicht geboten: Wie schnell rutschen wir in Autoritätsbesoffenheit ab? Wir müssen alle gemeinsam ganz genau hinsehen und wir dürfen, nein, müssen jeden Schritt kritisch begleiten und darüber lebhaft diskutieren.
Sobald Töne auftauchen, dass Kritik gerade nicht hilfreich sei und wir doch in diesen Zeiten das Primat des Handelns über jenes des freien Meinungsaustausches stellen, wird es gefährlich. Entschlossenes Handeln in Zeiten der Krise: Ja. Blind und taub für jede Kritik alles abnicken, was sich irgendwie hilfreich anfühlt? Sicher nicht.
Rigorose Maßnahmen geben das Gefühl, dass wir die Krise unter Kontrolle haben, sie geben Sicherheit, aber wir müssen wirklich immer wieder fragen: Ist diese konkrete Maßnahme sinnvoll? Was bringt sie und wie lange müssen und können wir sie durchhalten?
Kein Grund für Heldenverehrung
Noch einmal, um es ganz deutlich zu machen: Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln sind nicht falsch und sind jetzt notwendig. Es ist auch gut, dass nicht wochenlang diskutiert wird. Führende Virologinnen und Virologen sagen immer wieder: Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.
Aber sich jetzt in dieser Krise zu profilieren, ist ganz und gar kein Grund für Jubelstürme und Heldenverehrung, im Gegenteil: Es sollte uns wachsam machen und anspornen, weiterhin kritisch zu hinterfragen, welche Entscheidungen aus welchen Gründen getroffen werden.
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