Während Kinder unter den Einschränkungen während der Coronakrise leiden, werden Öffnungen in anderen Bereichen wieder diskutiert. Offenbar sind Kinder doch nicht so wichtig, wie alle behaupten. Eine Polemik.

Langsam öffnen wieder Geschäfte und auch viele Fußball-Fans freuen sich auf mögliche Fußball-Nachmittage zu Hause vor dem Fernseher, denn die Bundesliga könnte demnächst wieder (ab dem 9. Mai) starten - wenn auch zunächst in Form von "Geisterspielen". Wer bei all dem völlig in die Röhre schaut, sind kleine Kinder und deren Familien. Die Diskussionen der letzten Tage darüber, welche Corona-Maßnahmen gelockert werden sollten, zeigen in drastischer Weise vor allem eines: Uns als Gesellschaft sind Kinder, besonders Kleinkinder, ziemlich egal. 

Während die jetzt traurig vor gesperrten Spielplätzen stehen und den Kindergarten seit langen Wochen nicht mehr gesehen haben, dürfen die Großen bald wieder in die Schule, und im Fernsehen regiert samstags bald wieder König Fußball. Das Problem der Kleinen ist: Ihr kurzfristiger Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist leider einfach zu gering.

Kinder und Jugendliche als bloße Funktion

Wenn mich meine fünfjährige Tochter mal wieder fragt, warum sie eigentlich gar nichts mehr darf, müsste ich ihr wahrheitsgemäß wohl antworten: "Leider sorgst du weder für millionenschwere Umsätze mit Fernsehgeldern, noch beschäftigst du viele Menschen in einem Unternehmen. Leider bist du so gar nicht (system-)relevant. Daher finden zwar alle möglichen Politiker immer wieder mal, dass wir schon irgendwann etwas tun sollten, aber bei den konkreten Beratungen geht es dann doch um andere, finanziell wichtigere Themen als um dein Wohlbefinden."

Geht es um Kinder und Jugendliche, dann wird vor allem zunächst an Abschlussklassen gedacht. Auch hier werden Kinder und Jugendliche weniger als Menschen mit Bedürfnissen und momentan stark belasteten Psychen gesehen, sondern als Funktion. Sie dürfen nicht etwa wieder zur Schule gehen, weil es ihnen gut tut, sondern weil es hier um angeblich so "harte Fakten" geht - Abschlüsse, Noten, Schulabgänger, Berufsanfänger. So werden junge Menschen gesehen von Gesellschaft und Politik - machen wir uns nichts vor. 

Zur Funktion der hoffentlich bald wieder funktionierenden Wirtschaft tragen kleine Kinder herzlich wenig bei. Sie stören vielmehr. Sie halten uns vom Arbeiten ab und sorgen für Kopfzerbrechen bei so lästigen und kostenintensiven Themen wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.  Dabei fällt leider komplett unter den Tisch, dass Kinder unter der derzeitigen Situation leiden und das eben auch durchaus schon nach einigen Wochen - für Kinder ist das eine lange Zeit. Ihnen drohen jetzt bereits "psychosoziale Schäden", wie etwa Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), erklärte. Wir müssen diese Folgen stärker in den Blick nehmen. 

Wie soll ich das erklären?

Doch Vorsicht: Wer jetzt glaubt, dieser Text sei eine flammende Rede für die völlige Aufhebung aller Corona-Maßnahmen, irrt!  Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben waren und sind natürlich eine sinnvolle Methode, um einen dramatischen Verlauf der Covid-19-Pandemie zu verhindern. Mir erscheinen Sonntagsreden mit dem Tenor "Kinder sind unsere Zukunft!" jedoch als blanker Hohn. Wenn es hart auf hart kommt, zählen Kinder und ihre Bedürfnisse nichts. Dann geht es ums Funktionieren - und kurzfristig ist ja scheinbar kein Problem zu erkennen: Die Kleinen sind zu Hause (meist bei der Mutter, aber das wäre ein Thema für einen ganz eigenen Kommentar) verräumt und drohende Traumatisierung hat keinen kurzfristigen Einfluss auf die Wirtschaft. 

Ich bin absolut nicht dafür, sofort alle Schulen und Kindergärten wieder komplett zu öffnen. Es wird nur einfach immer schwerer zu erklären, warum welche Maßnahmen getroffen werden und andere nicht einmal diskutiert werden. Der Mangel an Diskussion über mögliche Maßnahmen, um das Leben der Kinder wieder etwas freundlicher zu gestalten, ist jedoch entlarvend. Wenn für Fußballspieler Sonderregeln gelten, bevor unsere Kinder auch nur wieder daran denken dürfen, auf einen Bolzplatz zu gehen, dann sind die Prioritäten in der Politik eindeutig. Keine schöne Perspektive fürs Aufwachsen in so einer Gesellschaft.