Winterdienst bedeutet Millimeterarbeit
Autor: Diana Fuchs
Kitzingen, Montag, 21. Januar 2013
Winterdienst mit Tücken: Wenn parkende Autos die Straße eng machen, ist im Mega-Mercedes Millimeterarbeit angesagt. Das Winterwetter macht aber nicht nur dem Bauhof zu schaffen.
Das Schweinchen hat ihm seine Tochter Lisa geschenkt. Harald Schulze hat das Glückssymbol im Führerhaus seines Räumfahrzeugs befestigt. So hat er es immer im Blick. "Guten Rutsch" steht auf dem Ferkelchen, das auf einem Schlitten sitzt. Harald Schulze grinst. Er weiß: Die Betonung liegt auf "gut", nicht auf "Rutsch".
Der 50-jährige Kitzinger hat seit Mittwoch Winterdienst-Bereitschaft. Zusammen mit seinen Kollegen vom Kitzinger Bauhof ist er seitdem mehr oder weniger im Dauereinsatz. Vor allem der Eisregen am Wochenende hat ihm kaum Schlaf gelassen. Harald Schulze nimmt's hin. "Das ist halt so in unserem Beruf." Sein Sonntag war ein harter Arbeitstag: Von 3.30 Uhr bis 7 räumte Schulze Schnee, legte sich dann daheim kurz hin, ehe er von 9.30 bis 12 Uhr zum ersten Eisregen-Einsatz aufbrach. Von 16.30 bis 22 Uhr ging es weiter.
"Eh' schon wurscht"
Fünf Stunden später sitzt er erneut "auf dem Bock". Wie jede Nacht schält er sich zwischen 2.30 und 3 Uhr aus seinem warmen Bett und schwingt sich ins kalte Führerhaus seines Allradräum- und -streufahrzeugs, das der glühende Gladbach-Fan mit Wimpeln seiner Borussia geschmückt hat - "ein Geschenk meines Sohnes Kevin".
Zwischen 3 und 3.30 Uhr bricht er mit seinem ratternden Räumgerät zu einer Kontrollfahrt durchs Stadtgebiet auf und veranlasst die nötigen Räum- und Streuvorgänge. Gegen Mittag schneit es in Kitzingen zwar immer noch, aber die Stadt ist trotzdem erstmal "sauber"; Schulze freut sich darauf, sich ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen. Doch da blökt noch einmal das Funkgerät.
Harald Schulze erschreckt kein bisschen. Er kennt das durchdringende Geräusch, das die Musik im Führerhaus locker übertönt. Diesmal ist der Leiter des Bauhofs, Georg Günther, dran. Er meldet seinem erfahrenen Mitarbeiter, dass ein Anlieger aus dem Mühlberggebiet angerufen und gebeten hat, den Schnee doch auf die andere Seite der Straße zu schieben. Schulze bleibt cool. "Was soll´s, fahren wir halt noch mal hin. Jetzt ist es eh' schon wurscht."
Während der Fahrt, bei der ein Bordcomputer die Temperatur auf Zehntelgrad genau misst und daraus die nötige Streusalz-/Sole-Menge berechnet, bekommt er per Funk eine weitere Mitteilung. Einer seiner Fahrer ist noch einen weiteren Tag krank gemeldet. "Okay, ich weiß Bescheid", antwortet Schulze, "Danke". Da keine Räum-Tour ausfallen darf, wird er Ersatz für den Kollegen finden müssen.
Im Mühlberggebiet blickt er aus der Fahrerkabine hinunter auf ein gewohntes Bild: Parkende Autos rechts und links an den Straßen, zwischendrin Schneematsch. Nicht überall kommt Schulzes Mercedes mit dem 3,50 Meter breiten Schneepflug so einfach durch. "Oft parken die Autos so eng, dass mir rechts und links grade mal ein, zwei Zentimeter Luft bleiben - gerade auch am Hindenburgring oder am Eselsberg."
Zum Glück hat Harald Schulze, der seit 27 Jahren zum Bauhof-Team gehört, viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit seinem tonnenschweren Brummer. "Meinen Bock" nennt er den orangeroten Riesen, mit dem er die Straßen von Schnee und Eis befreit. Parkende Hindernisse bringen den Kitzinger nicht aus der Ruhe. Zur Not kurbelt er schon mal das Fenster runter und schlängelt sich zentimetergenau zwischen zwei Pkw durch. Staunend bleiben Passanten stehen, um das spektakuläre Manöver zu bewundern.
"Es gibt aber auch Leute, die einem den Vogel zeigen", berichtet Schulze von Begegnungen anderer Art. Selbst dabei bleibt der zweifache Familienvater ruhig. "Ein Räumfahrzeug spritzt halt nun mal, wenn Matsch auf der Straße liegt." Er hat seine ganz eigene Art, mit aufgebrachten Menschen umzugehen: "Ich lache sie einfach an und fahre weiter."
Sein kühler Kopf kommt ihm auch bei Eisregen - "das ist die schlimmste Wetterlage für uns" - zugute. Er erinnert sich lebhaft daran, dass ihm am Krankenhausberg mal ein Bus entgegenschlitterte. "Da gab es nur Entweder - Oder." Gas geben oder Crash. Schulze entschied sich für Ersteres - und niemand bekam einen Kratzer ab.
Etliche Stürze
Apropos Krankenhausberg: Mehr Landkreisbürger als sonst mussten diesen gestern hinaufgefahren werden. Zahlreiche Männer und Frauen waren gestürzt und wurden in der Klinik Kitzinger Land behandelt. "Es ist deutlich mehr Betrieb als sonst", beschrieb Dr. Uwe Pfeifle die Situation in der ambulanten Aufnahme.
Die Kitzinger Polizei dagegen hatte wegen der Eisglätte kaum Mehrarbeit: "Man kann die Verkehrsteilnehmer ruhig mal loben. Sie sind offensichtlich umsichtig gefahren. Es hat nicht mehr Unfälle gegeben als sonst", stellte Polizeioberkommissar Helmut Pfaff gestern erfreut fest. Vielen Bürgern dürfte es vor dem Losfahren allerdings gegangen sein wie Pfaff: "Bevor ich zum Dienst fahren konnte, habe ich erst einmal zehn Minuten die Scheiben freikratzen müssen."
Ohne klare Sicht startet auch Harald Schulze vom Bauhof-Team nie. Völlig übermüdet ebenso wenig. Das Einzige, was er sich gestern Mittag wünschte, war daher ein bisschen Schlaf. "Wenn´s weiter so schneit, müssen wir ja schon bald wieder raus", meinte er mit Blick auf die bleischweren Wolken.