Druckartikel: Verhalten der Kirche wird zur Zerreißprobe für den Glauben

Verhalten der Kirche wird zur Zerreißprobe für den Glauben


Autor: Diana Fuchs, Ralf Dieter

LKR Kitzingen, Dienstag, 19. November 2013

Erst Missbrauch, jetzt Luxusbau: Etliche Christen sind enttäuscht - und nehmen das Kreuz ab.
Ausgedient? Nicht alle Christen tragen das Kreuz, ein Symbol ihres Glaubens, noch mit Stolz und Freude.  Foto: Diana Fuchs


Das Image der Kirche? Dekan Johannes Hofmann sagt: "Manchmal hat man schon den Eindruck, wir seien nur noch Sexmonster oder geldgierige Haie. Aber wir sind ja auch selbst Schuld an diesem Image."

Der Missbrauchsskandal vor drei Jahren, jetzt die Affäre um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst: Spurlos sind diese Schlagzeilen und ihre Aufarbeitung nicht an der Kirche vorbeigegangen. In der Bischofsstadt Würzburg haben im Oktober 100 Katholiken ihren Austritt beantragt. Im September waren es 36.

Ein ähnlicher Trend ist in Schweinfurt auszumachen. Im Kitzinger Standesamt ist es aktuell relativ ruhig. 69 Austritte gab es vergangenes Jahr, "heuer sind wir bei 73", berichtet Leiter Dieter Borawski. "Vor drei Jahren war das aber anders", gibt er zu bedenken. "Da lag die Austrittszahl fast doppelt so hoch."

Zu viel Distanz zur Kirche

Für den katholischen Pfarrer und Dekan Hofmann ist jeder Austritt einer zu viel. Er versucht, in Kontakt mit den Gläubigen zu treten, die der Kirche den Rücken gekehrt haben. "Ich schicke einen Brief, der auf die jeweilige Situation eingeht", erklärt er. "Und einen Fragebogen." Sein Kollege Dr. Manfred Bauer, katholischer Pfarrer in Kitzingen, tut das Gleiche. Der Fragebogen kommt manchmal ausgefüllt zurück, aber längst nicht immer. "Die wenigsten reagieren darauf", gibt Bauer zu. Er und Hofmann erfahren deshalb auch nicht jede einzelne Motivation, die hinter einem Kirchenaustritt steht.

Ihre Beobachtungen lassen sich aber so zusammenfassen: Es ist in der Regel nicht - oder nicht allein - der Ärger über die aktuellen Vorfälle, über den Papst oder den Pfarrer vor Ort, der über einen Austritt entscheidet, sondern die verloren gegangene Nähe zur Kirchengemeinde und/oder der abhanden gekommene Glaube. Dr. Bauer formuliert es so: "Die meisten Menschen, die jetzt austreten, sind schon eine Zeit lang auf Distanz zur Kirche."

"Den Ärger äußern"

Diese Entwicklung bedauert Dekan Hofmann ganz besonders. "Manchmal sind auch ganz tragische Geschichten ausschlaggebend", ergänzt er. Und sehr oft wollen die ehemaligen Katholiken mit ihrem Austritt die Kirche finanziell schädigen.

Dr. Bauer hat die Erfahrung gemacht, dass die finanzielle Vorsorge, die die Kirche zum Beispiel im Hinblick auf Pensionen ihrer Bediensteten getroffen hat, aber auch manch caritatives Engagement falsch eingeschätzt wird: "Viele sagen pauschal, die Kirche sei viel zu reich."

Solche Argumente kennt auch der evangelische Dekan Hans-Peter Kern. Der Luxusbau zu Limburg führte auch in der evangelischen Kirche zu Austritten - obwohl Tebartz-van Elst ein katholischer Priester ist. "In diesen Punkten wird zwischen den beiden Kirchen oft gar nicht unterschieden." In Würzburg haben im Oktober 35 Menschen die evangelische Kirche verlassen - fast doppelt so viele wie im September. Im Dekanat Kitzingen ist kein eklatanter Unterschied zu erkennen. 105 Austritten im gesamten Jahr 2012 stehen heuer bislang 90 gegenüber.

Wie lassen sich Austritte abwenden? Für Dekan Kern ist es entscheidend, die Beziehungen zu pflegen, immer wieder ins Gespräch zu kommen. "Natürlich sollen die Christen auch ihren Ärger äußern können", meint er.
Das findet auch Manfred Bauer. "Wer sich mit der Thematik beschäftigt, der soll auch gehört werden." Zwar bräuchten Änderungen oft ihre Zeit, aber: "Steter Tropfen höhlt den Stein." Bauer betont, dass Papst Franziskus auf Gespräche setzt: "Er entscheidet nicht über Köpfe hinweg, sondern will erfahren, was die Menschen an der Basis beschäftigt." Das sei ein Signal für die Zukunft.

Das Traurige speziell an den Vorfällen um Tebartz-van Elst sei, dass die Gläubigen das Vertrauen in Kontrollgremien verlieren, "denn man hat den Eindruck, dass diese versagt haben". Deshalb sei es wichtig, dass der Fall aufgearbeitet wird. Vor Ort in der Kitzinger Kirchenverwaltung werde "Gott sei Dank" ganz offen miteinander gesprochen. "Offenheit ist das A und O." Und: "Der Glaube braucht Gemeinschaft."

Dekan Hofmann wünscht sich, dass die katholischen Gläubigen ihre Kirche mehr als menschliche und einladende Kirche erleben. "Wir müssen uns viel mehr um den Glauben kümmern", fordert er. "In letzter Zeit hat sich vieles nur um unsere Strukturen gedreht."

Gute Ansätze sieht in dieser Hinsicht Manfred Bauer. "Von der Kinderkirche über Jugend- und Ministrantenangebote bis hin zu musikalischen Einladungen bieten wir niederschwelligen Zugang zum Glauben."

"Mehr Demokratie"

Eine demokratischere Kirche wünscht sich Magnus Lux von der Bewegung "Wir sind Kirche". Er bedauert, dass "es keine echte Wahl von Bischöfen" gibt. "Obwohl viele Gremien innerhalb der Kirche existieren." Ein autoritärer Führungsstil sei fehl am Platz. "Das Wort Hierarchie kommt in der Bibel nicht vor", sagt Lux.

Der Skandal um den Bischofspalast von Limburg hat das Image der katholischen Kirche laut Lux noch mehr erschüttert als der Missbrauchsskandal vor drei Jahren. Ein Austritt aus der Kirche sei aber der falsche Schritt. "Die Gläubigen sollten sich vielmehr lautstark zu Wort melden", wünscht er sich. "Denn sie sind die Kirche."


Kirche, ade
Vielerorts in Deutschland kehren mehr Menschen als üblich der katholischen Kirche den Rücken. Grund dafür ist auch die Affäre um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, wie Recherchen der Nachrichtenagentur dpa ergaben. Die Probleme in der katholischen Kirche färben auch auf die evangelische ab: Sie verzeichnet zwar deutschlandweit nicht so viele Austritte wie die katholische, aber trotzdem mehr als gewöhnlich.


Ein Kommentar von Diana Fuchs: Abhauen kann jeder


Sexmonster, geldgierige Haie - solche Begriffe zeigen, wie stark das Image der katholischen Kirche beschädigt worden ist - erst durch den Missbrauchsskandal und jüngst von "Luxusbischof" Tebartz-van Elst. Viele Menschen sind aus der katholischen (und einige auch aus der evangelischen) Kirche ausgetreten. Ein Teil dieser Menschen glaubt weiter an Gott, will aber die Institution Kirche nicht mehr unterstützen. Glaube und Kirche seien trennbar, sagen diese Menschen. Aber ist das wirklich so einfach?

Vordergründig ja. Schließlich kann einen niemand daran hindern, zu Gott zu beten, sein Wort zu lesen oder Gottesloblieder zu singen. Doch mutterseelenallein ist das mit Sicherheit ein ganz anderes Gefühl als in der Gemeinschaft.

Der Glaube gibt den Menschen nicht nur Orientierung, sondern auch so etwas wie ein Nest - ein Nest, in das man sich vertrauensvoll zurückziehen kann, wenn ein kalter Wind übers Land fegt.

Dieses Nest ist nicht das steinerne Kirchengebäude - das im Winter oft genug nicht wirklich kuschelig warm zu kriegen ist -, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen. Diese Gemeinschaft bietet einem Halt in den großen und kleinen Katastrophen des Lebens. Sie fängt einen auf, teilt Verzweiflung und Hoffnung mit einem, wenn zum Beispiel ein geliebter Mensch krank ist oder stirbt.

Genau deshalb lassen sich Glaube und Kirche eben nicht so einfach voneinander trennen. Und genau deshalb lohnt es sich vielleicht auch, das "Nest" immer wieder gründlich zu säubern. Wenn viele Christen für eine moderne, weltoffene Kirche - "ihre" Kirche - eintreten, werden sie auch in den hohen Etagen der Institution Kirche Gehör finden. Und für ein neues Image sorgen.