Gnaden- oder Scharfrichter: Die 16 000 Fälle des Herbert Fehrer
Autor: Eike Lenz
Würzburg, Freitag, 23. Oktober 2020
Was lernt man über die Gesellschaft nach 22 Jahren als Sportrichter? Einiges, wie Herbert Fehrer sagt. Nach seinem Abschied gibt er Einblicke in eine sonst eher verschlossene Welt.
Wer sich als Fußballer etwas zu Schulden kommen lässt, landet in der Regel vor dem Sportgericht – nicht immer persönlich. Die meisten Fälle werden auf Grundlage schriftlicher Einlassungen verhandelt. Nur bei schwereren Vergehen muss ein Täter vor Gericht erscheinen, um dort auszusagen und zur Aufklärung beizutragen. Er sitzt dann vor einer dreiköpfigen Kammer – und vor Leuten wie Herbert Fehrer, der 22 Jahre lang Mitglied erst im Kreissportgericht Würzburg und dann im Jugendsportgericht Unterfranken war. Jetzt hat der langjährige Funktionär des SV Theilheim mit 75 Jahren – nicht ganz freiwillig – aufgehört. Fehrer blickt zurück auf mehr als 16 000 Fälle. Welcher war sein spektakulärster? Was war die härteste Strafe, die er aussprach? Und: Sieht er sich im Rückblick eigentlich als strenger Richter?
Herbert Fehrer: Man lernt vor allem, dass sich die Gesellschaft und der Fußball immer wieder wandeln. Ich erinnere mich noch lebhaft, als mein Heimatverein, der SV Theilheim, vor 20 Jahren gegen Randersacker gespielt hat: Da herrschte – wie bei vielen Derbys – einerseits Festtagsstimmung, andererseits war es eine regelrechte Schlacht. Das hat sich danach zum Glück wieder beruhigt, weil die meisten der beteiligten Spieler einander von Partys oder aus der Schule kennen. Leider muss man feststellen, dass seit einiger Zeit die Gewaltdelikte auf dem Fußballplatz wieder steigen.
Fehrer: Ja, die gab es. In meiner Zeit beim Kreissportgericht hatten wir im Jahr vier, fünf mündliche Verhandlungen, immer nach schweren Delikten. Im Jugendsportgericht hatten wir in sieben, acht Jahren eine einzige. Das hat auch mit den Entfernungen zu tun. Wenn in der U15 die eine Mannschaft aus Aschaffenburg kommt und die andere aus Großbardorf, überlegt man schon, ob man eine mündliche Verhandlung in Würzburg ansetzt. Da muss schon was Schlimmes vorgefallen sein.
Fehrer: Das liegt immer im Ermessen des Vorsitzenden. Von der Schwere der Fälle war das aber meistens nicht nötig. Es gab mal einen Fall in Kitzingen mit der U17, bei dem wir sagten: Da müssen wir die Beteiligten anhören. Das haben wir dann auch getan. Bei der Jugend werden die Spiele ja oft von jungen Schiedsrichtern gepfiffen, und da gab es mal den Fall, dass sich der Schiedsrichter und derjenige, der sich daneben benahm, am nächsten Tag in der Schule wiedersahen.
Fehrer: Die Gefahr liegt nahe, ja. Man muss aber differenzieren. Die Erwachsenen sind in der Regel für sich selbst verantwortlich. Bei den Jugendlichen, vor allem den ganz Kleinen, stecken mitunter die Eltern dahinter. Typisches Beispiel: Der eigene Sprössling wird auf dem Platz angegangen und der Vater schreit von außen sein: Lass dir das nicht gefallen!
Wie oft hatten Sie speziell bei Jugendlichen den Eindruck, dass das Elternhaus versagt hat?Fehrer: Ach, gar nicht mal so oft. Die Eltern waren ja froh, wenn ihre Sprösslinge etwas Vernünftiges machen, und standen auch dahinter.
Muss das Sportgericht bisweilen ausbaden, was die Gesellschaft an Problemen verursacht hat?Fehrer: Na ja, die Leute machen es sich einfach und sagen: Dafür sind die ja da beim Sportgericht, um den einen oder anderen auf den richtigen Weg zu bringen. Aber man steht bei mündlichen Verhandlungen oft da und weiß: Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Wir schauten uns dann bei der Urteilsfindung an und fragten uns: Wer sind die Guten, wer die Schlechten? Wenn einer immer nur Unsinn erzählt, braucht man Fingerspitzengefühl und Erfahrung.