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Darf man einen Trainer feuern?


Autor: Eike Lenz

Kitzingen, Freitag, 06. Oktober 2017

Schweigen ist dieser Tage Gold, bei den Kickers wie beim FC Bayern. Das führt zu kuriosen Situationen, wie man in diversen Sportsendungen des Fernsehens erleben kann.


Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles ist erst seit ein paar Tagen im Amt und gibt sich schon gönnerhaft. „Martin Schulz hat einen guten Job gemacht“, ruft sie dem blamierten Kanzlerkandidaten ihrer Partei hinterher. Über Stephan Schmidt hat das dieser Tage niemand behaupten mögen. Die Würzburger Kickers haben sich am Montag wie erwartet von ihrem Cheftrainer getrennt: nach nur 133 Tagen.

Carlo Ancelotti hielt sich beim FC Bayern immerhin 454 Tage – und doch eher kurz nach den Maßstäben des Klubs. Auch der sanfte Italiener entlassen, freigestellt, gefeuert. Gefeuert? Darf man das sagen?

Um das Wörtchen ist in Zeiten politischer Korrektheit ein Streit entbrannt. Der Leseranwalt dieser Redaktion hat die Kollegen ab-, sagen wir angemahnt, ihre Wortwahl zu überdenken. Feuern, übernommen vom amerikanischen hire and fire, sei bissig und respektlos. Dabei spiegelt die übers Internet ausgetragene Debatte ein Grundproblem dieser Zeit: Statt über Inhalte wird über Stilfragen gestritten. Das Beispiel Kickers ist nur eines von vielen.

Statt über Gründe der Talfahrt, die Säumnisse des Trainers, die Fehler der Entscheider, von mir aus auch über die unerträgliche Machtfülle eines Präsidenten Daniel Sauer zu debattieren, statt also in die Tiefe des Themas einzutauchen, ergeht man sich im Netz immer wieder in Oberflächlichkeiten und semantischen Feinheiten, so, wie es die CSU mit ihrer Obergrenze tut. Das bringt den gesellschaftlichen Diskurs kein bisschen voran.

Helfen würde es vielleicht auch, wenn man mal wieder miteinander reden würde und nicht nur übereinander – oder gar nicht. Das Schweigen der Männer in den Klubs gegenüber den öffentlichen Medien war zuletzt virulent. Ancelotti war in München ein nicht minder schweres Missverständnis als Schmidt bei den Kickers. Offen zugeben mochte das niemand.

In Würzburg gab es nichts weiter als eine dürre Presseerklärung, die vor Formelhaftigkeit triefte. Klar: Man will dem schon an seinen zwei Stationen vorher gescheiterten Trainer nicht gänzlich die berufliche Zukunft verbauen. Und bei den Bayern? Abgetaucht die Helden von Hoeneß bis Rummenigge. Sie entziehen sich dem öffentlichen Diskurs, wollen in allen Prozessen die Deutungshoheit wahren.

Jetzt, da es Twitter gibt und Facebook, BayernTV und KickersTV, all die schönen Internetformate, mit denen die Vereine sich ihre eigenen Fantasiewelten zusammenschustern, braucht keiner mehr die klassischen Medien. In diesen Traumwelten stören sie bloß mit ihrer tiefen Skepsis, ihren bohrenden Zweifeln und lästigen Fragen.

Aus Mangel an kompetenten Gesprächspartnern greift das ZDF auf einen der alten Wilden zurück, der fachkundig genug erscheint, die aktuellen Vorgänge in München erklären zu können: Stefan Effenberg, der einstige Revoluzzer, soll nun im Sportstudio über das zerrüttete Verhältnis zwischen Ancelotti und den Bayern plaudern. Wesentlich Neues aus dem offenbar verkrachten Binnenleben des FC Hollywood erfährt man von ihm nicht.

In „Blickpunkt Sport“ des Bayerischen Fernsehens kommt Klaus Augenthaler zu Wort. Die Jüngeren werden ihn kaum kennen, so lange ist er beim FC Bayern schon raus aus dem Geschäft. Als der Moderator ihn auf das jüngste Spiel der Bayern in Berlin anspricht, sagt Augenthaler, oh, sorry, das habe er gar nicht gesehen. Dafür spricht er über das Spiel gegen Wolfsburg, das zwar schon zwei Wochen alt ist, aber egal, auch da verspielten die Bayern eine 2:0-Führung – und schließlich war Augenthaler ja auch mal Trainer in Wolfsburg.

Sein Vermächtnis dort ist eine Pressekonferenz, die das damalige Selbst- und Medienverständnis des inzwischen 60-Jährigen aufs Beste illustriert. „Meine Herren. Es gibt vier Fragen und vier Antworten. Die Fragen stelle ich, die Antworten gebe ich auch.“ Nach 43 Sekunden war die skurrile Vorstellung vorüber. Neun Tage später wurde Augenthaler entlassen.